21. November 2025 - 18.16 Uhr
DeutschlandDer Mittelstand und die AfD: Die Rechten erhalten zunehmend Zuspruch aus der Wirtschaft
An der Präsenz des Bundeskanzlers oder des Vizekanzlers im Ausland liegt es nicht, dass sich so mancher Mittelständler in Deutschland inzwischen der AfD zuwendet. CDU-Chef Friedrich Merz und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil reisen in diesen Tagen um die Welt, Klingbeil trifft Merz nach seiner China-Reise am Wochenende in Südafrika beim G20-Gipfel der führenden Industrienationen, zu denen Deutschland noch immer zählt.
Doch in der Heimat rumort es. Im Bundestag ist die eigene Mehrheit der Koalition für das Rentenpaket in Gefahr, und in der Wirtschaft, insbesondere im Mittelstand, verliert die Merz-Regierung an Rückhalt. Von der Wirtschaftswende, die der Kanzler versprochen hatte, ist bislang nichts zu spüren. Die deutsche Wirtschaft ist seit 2019 insgesamt nur um 0,3 Prozent gewachsen, sie tritt seit fünf Jahren auf der Stelle. Während die USA um zwölf Prozent, China sogar um 27 Prozent zulegen konnten. Die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland nimmt zu, Investitionen bleiben nach wie vor aus, die Arbeitslosigkeit steigt. Für viele Unternehmer ist die Lage inzwischen so dramatisch, dass sie nun auf eine rechtspopulistische Partei setzen, die radikale Umbrüche will.
Ein Teil hat mit Schwarz-Rot abgeschlossen
Ein kleiner, aber wachsender Anteil, so berichten es Mittelstandsverbände, hat mit Schwarz-Rot abgeschlossen – und sieht eine bessere Alternative in der Beteiligung der AfD an der Macht. Eine von Rechtsaußen tolerierte Minderheitsregierung unter Merz oder sogar eine CDU/AfD-Regierung erscheint vielen als Lösung. „Die Unzufriedenheit der Unternehmerinnen und Unternehmer mit der Regierung, vor allem natürlich mit der SPD, ist riesig. Dass auf diesem Boden der Wunsch nach einer grundlegend anderen Politik wächst, ist verständlich“, sagt etwa Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes der Familienunternehmer. Und aus CDU-nahen Wirtschaftskreisen ist zu hören: „Eine Koalition mit der AfD wollen nach wie vor die allerwenigsten. Aber die Sympathie für eine Minderheitsregierung wird größer. Das gilt für Menschen aus der Partei ebenso wie für Unternehmer, die der CDU nahestehen.“
Verbreitet sei hier die Auffassung, „dass die bisherige Strategie der Ausgrenzung der AfD gescheitert ist“, heißt es in diesen Kreisen. „Geben wir denen nicht erst recht Macht, wenn wir alles, was sie wollen und gutheißen, aus genau diesem Grund per se nicht machen dürfen?“, fragt ein Wirtschaftsvertreter, der nicht genannt werden möchte. Und er fügt hinzu: Die CDU-Brandmauer gegen die AfD, verstanden als totales Kontaktverbot, „hilft am Ende nur der SPD, weil es ihnen, egal wie schwach sie wird, eine Regierungsbeteiligung quasi garantiert. Und ihnen dabei hilft, programmatische Konzeptlosigkeit und Rückwärtsgewandtheit zu übertünchen, weil sie sich damit brüsten können, gegen rechts zu sein.“
Aus Sicht der Kritiker von Schwarz-Rot haben die Sozialdemokraten mehr Macht in der Koalition, als ihnen mit einem Wahlergebnis von nur 16,4 Prozent eigentlich zustünde. So argumentiert im Übrigen auch die AfD. Das kategorische Nein der SPD zu Veränderungen am vorliegenden Gesetzentwurf zum Rentenpaket ist eine Bestätigung für diese Sichtweise. In der SPD derweil ist man unsicher, ob mit dem Renten-Aufstand der Jungen Union nicht doch ein „Kulturkampf“ gegen die Merz-Regierung eingeleitet wird – mit dem Ziel, sie frühzeitig zu Fall zu bringen.
„Wirtschaftspolitischer Ritt auf der Rasierklinge“
Ein überzeugendes Gegenangebot für Unternehmen hat die AfD jedoch nicht. Zwar hatten die Rechtspopulisten – um anschlussfähiger zu werden – allzu extreme Forderungen wie den Austritt Deutschlands aus der EU (Dexit) vor der Bundestagswahl aus ihrem Wahlprogramm gestrichen. Doch wirbt die Partei in der Wirtschafts- und Energiepolitik mit nostalgischen Bildern für eine Rolle rückwärts: „Made in Germany“ solle wieder Markenzeichen deutscher Exzellenz werden, heißt es etwa – das klingt ein wenig wie „Make America Great Again“ von US-Präsident Donald Trump.
Für günstige Energie sollen laut AfD Atomkraftwerke sorgen, länger laufende Kohlekraftwerke und russisches Gas über reparierte Nord-Stream-Pipelines. Parteichefin Alice Weidel spricht gerne von Technologieoffenheit, doch gleichzeitig hat man ihre bizarren Äußerungen zu „Windmühlen der Schande“ im Ohr, mit der Ankündigung, alle Windkraftwerke niederzureißen.
Der Heidelberger Sozialforscher Tim Gensheimer ist daher skeptisch, wie weit der Zuspruch für die AfD am Ende tatsächlich geht. „Die Partei steht aus Sicht Vieler nicht für wirtschaftliche Stabilität oder zukunftsfähige Lösungen, sondern für zusätzliche Unsicherheit und Unruhe – das ist Gift für eine strauchelnde Wirtschaft“, betont der Wissenschaftler am SINUS-Institut, das regelmäßig Gesellschaftsmodelle erstellt.
Auch Familienunternehmer-Chefin Ostermann warnt die AfD-Fans in den eigenen Reihen: „Wenn man sich mit Abgeordneten der AfD unterhält, wird schnell klar: die Konzepte sind nur vereinzelt sachkundig, an wichtigen Stellen komplett widersprüchlich, oft wirtschaftspolitisch unbrauchbar – und bei konkreten Nachfragen ist die Partei bei mehreren Themen blank.“ Die AfD fordere zudem ein völlig unfinanzierbares Rentenniveau von 70 Prozent. „Unter solchen Vorzeichen wären sowohl eine Koalition mit der AfD als auch eine Minderheitsregierung unter Duldung der AfD ein wirtschaftspolitischer Ritt auf der Rasierklinge.“
De Maart
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