Montag22. Dezember 2025

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SachbuchDer Mafiaboss im Weißen Haus: Wie Trump den Patrimonialismus etabliert und Loyalität zu seiner Waffe macht

Sachbuch / Der Mafiaboss im Weißen Haus: Wie Trump den Patrimonialismus etabliert und Loyalität zu seiner Waffe macht
Der „Don“, umgeben unter anderem von JD Vance, Marco Rubio und Pete Hegseth am 14. Juli im Weißen Haus Foto: Andrew Caballero-Reynolds / AFP

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In seinem Buch „Trump & Co.“ analysiert der Cineast und Kulturkritiker Georg Seeßlen das Machtsystem des US-Präsidenten und vergleicht es mit dem eines Mafiabosses unter Mobstern sowie der Strategie und Symbolik der globalen Rechten. Und er fragt: „Wie konnte das passieren?“

„Ich bin ein Gespenst!“, behauptete einst Al Capone. „Ein Gespenst, der aus Millionen von Hirnen entstand.“ Der wohl berühmteste US-amerikanische Gangsterboss kontrollierte die Unterwelt von Chicago. Den Höhepunkt seiner Karriere hatte er von 1926 bis 1931. Capone wurde zum Mythos und Symbol des organisierten Verbrechens, der anderen Seite von Kapitalismus und American Dream. „Faszinierend und erschreckend“, findet Georg Seeßlen. „Der Mann dahinter hatte es nur auf Geld, Macht und Sex abgesehen, und er war selbst erstaunt darüber, wie leicht man das alles bekommt, wenn man nur skrupellos, clever und brutal genug ist.“ Ein Gespenst sei Donald Trump, behauptet Seeßlen in seinem neuen Buch „Trump & Co. Der un/aufhaltsame Weg des Westens in die Anti-Demokratie“.

Trumps Amtsantritt stelle nicht nur einen Regierungswechsel dar, „sondern einen Regimewechsel, also eine Änderung unseres Regierungssystems“, konstatiert der US-Journalist und Autor Jonathan Rauch, Senior Fellow der Denkfabrik Brookings Institution – und zwar nicht in Richtung eines klassischen Autoritarismus, sondern hin zu einem Patrimonialismus, der ganz auf den Präsidenten zugeschnitten ist und in dem persönliche Loyalität mehr zählt als Verfassungstreue. Rauch vergleicht Trump mit einem Mafiaboss. Dieser ist der „capo di tutti capi“. Seeßlen sieht dies ähnlich. Auch er sieht Trump auf dem Weg, die USA in einen autoritären Staat zu verwandeln und den Rest der Welt seiner Doktrin von „Make America Great Again“ (MAGA) zu unterwerfen.

Als Gespenst und Horrorclown kommt der 79-jährige Staatschef Al Capone sehr nah. Aus der Mitte seines Clans inszeniere er das Gangstertum wie einen Karneval, in dem jeder eine Rolle spielt, stellt Seeßlen fest. Im ersten Teil des Buches erklärt er, wie es zu Trumps Wiederwahl kam, auch aufgrund der Fehler des politischen Gegners: „Der fatale Irrtum der Demokraten und der liberalen Gesellschaft war es gewesen, nach dem Wahlsieg von Joe Biden aufzuatmen und sich erleichtert wieder den gewohnten Geschäften zuzuwenden.“

Frauenfeindlichkeit als innerer Kitt

Die Demokraten hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht – und ohne Trumps Truppe aus „Goodfellows & Family Men“, die in der Regierung nun das Sagen haben und die Schaltstellen der Macht besetzen. „Es herrscht das Gesetz der Omertá, des bedingungslosen Gehorsams, und es herrscht das Gesetz der Rache“, schreibt er und weist auf die Parallelen zwischen Trump-Präsidentschaft und Gangstertum hin – in Bezugnahme auf Genreklassiker wie „Goodfellas“, „Casino“ und „Once Upon a Time in America“. Ein Unterkapitel („Manosphere“) führt zu dem tief im Trumpismus verankerten Sexismus und zum „Netzwerk der Misogynie und der patriarchalen Reaktion“ – Frauenfeindlichkeit ist ein innerer Kitt für den Trumpismus. Ebenso wird die Bedeutung des Superheldentums für Comic-Fan Elon Musk und der Griff von Horrorclown Trump nach der Herrschaft erläutert.

Der „capo di tutti capi“ und seine Gefolgsleute Vance, Rubio und Hegseth
Der „capo di tutti capi“ und seine Gefolgsleute Vance, Rubio und Hegseth Foto: Carlos Barria/Reuters Pool via AFP

Der 1948 in München geborene Autor ist vor allem als Cineast sowie als Film- und Kulturkritiker für viele Zeitungen bekannt. Er hat unzählige Bücher über Filmgenres und -regisseure, unter anderem über Western, Gangster-, Horror-, Abenteuer- und Pornofilme, über David Lynch, Martin Scorsese, Quentin Tarantino und die Coen-Brüder, über Popkultur, Tintin bis zu Lucky Luke geschrieben, aber auch über den Zusammenhang von kulturellen Phänomenen und gesellschaftlichen Entwicklungen. In jüngster Zeit befasste sich Vielschreiber Seeßlen verstärkt mit politischen Themen wie etwa dem Rechtspopulismus, über die „Fabrikation der politischen Paranoia“ und über Elon Musk und dessen dunkle Trinität eines Narzissten, Machiavellisten und Soziopathen.

In „Trump & Co.“ geht es nicht zuletzt um die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass ein „wütender Idiot“ mit oranger Haarfarbe eine Kulturrevolution anzettelte. Seeßlen hat sowohl die Programmatik und Strategien als auch Sprache und Symbolik der amerikanischen Rechten ebenso wie die der Rechtspopulisten- und extremen in Europa und Lateinamerika untersucht. Seine These lautet: Die neuen Volkstribune haben nicht nur eine Botschaft, die sie überbringen, sondern sie sind eine Botschaft. Seeßlen versucht, diese zu entschlüsseln und zu begründen, warum sie so erfolgreich ist. Er begreift Trumps zweite Präsidentschaft als „demokratisch legitimierten Staatsstreich“. Dabei hätten weder Trump noch seine Wähler nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie „den administrativen Staat zerlegen“ wollten. Trump sei nicht zufällig, sondern bewusst als Zerstörer des Weiter-So gewählt worden.

„Horrorclown“ und Gespenst

Fast tagtäglich bestätigt der „Horrorclown“ im Weißen Haus das, was man ihm unterstellt – oder toppt es sogar. Dabei schwang anfangs noch Unglaube mit, nach dem Motto: „Ach nein, das kann hier nicht passieren“, wie es Sinclair Lewis 1935 in „It Can’t Happen Here“ darlegte, den Seeßlen weiter zitiert: „Wann in der Geschichte war je ein Volk so reif für eine Diktatur wie unseres!“ Wie in Lewis’ satirischem Roman über den Aufstieg des Politikers Berzelius „Buzz“ Windrip, der Franklin D. Roosevelt besiegt und zum US-Präsidenten gewählt wird, nachdem er Ängste geschürt und drastische Reformen angekündigt hat, richtet sich der Hass auf die politische Elite, auf hochnäsige Intellektuelle, auf Juden und Schwarze, Linke und Migranten. Denn die weiße Arbeiter- und Mittelschicht, vor allem jene, die sich in einer „Liga der vergessenen Männer“ organisiert hat, fühlt sich derweil vernachlässigt und abgehängt. Ihnen hat Trump „MAGA“, die Rückkehr zu Amerikas alter Stärke versprochen.

Im zweiten Kapitel wird untersucht, „wie Gesellschaften auseinanderbrechen“. Seeßlen stellt fest, dass in den USA viele Menschen eine enge Parteibindung entwickelt haben und dass sich die rivalisierenden Parteien verfeindet gegenüberstehen. Er vergleicht dies mit einem Kirchenaustritt und beobachtet ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken. Dabei geht es weniger um Überzeugungen als um Identifizierungen, was polarisierend und auf paradoxe Weise gar entpolitisierend wirkt: „Der politische Kampf wird vom Schlachtfeld der Interessen zum Schauplatz der Affekte.“

„Die neuen Volkstribune“, im dritten Teil des Buches in einer etwas zu knappen „Galerie der Rechtspopulisten“ von Berlusconi und Bolsonaro bis Putin, von Marine Le Pen bis Giorgia Meloni vorgestellt, berufen sich gerne auf „das Volk“, sehen sich über dem Gesetz stehend. Alles, was sie in ihren Reden vortragen, findet sich auch bei Trump, „nur in einer ebenso verschärften wie infantilen Weise“.  Bei ihm prallt die Kritik seiner Gegner ab, er würde die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zerstören. Für ihn ist dies eher ein Kompliment, für seine Wähler gehört es zur Einlösung eines Versprechens. Trump ist der Rächer der Gekränkten. Seine Popularität ist für ihn wichtiger als das Gesetz. Ähnlich ist es auch in anderen Staaten, wo „unendlich viele kleine Trumps und unendlich viele kleine Musks (…) in ihren Systemen andere Menschen belügen, ausbeuten und unterdrücken dürfen“. Das Fazit des Autors ist düster, seine Analyse der umfassenden Transformation der US-Politik und der Gesellschaft umso erhellender. Ist der Weg dessen, der mit allen Regeln bricht, wirklich unaufhaltsam? Bisher konnten ihn weder Prozesse noch Skandale aufhalten.

Der Traum von Amerika

Was ist, wenn es keine Kultur mehr gibt? Was ist, wenn es keine Gesellschaft mehr gibt? (…) Vollkommen ohne Kultur und vollkommen ohne Gesellschaft ist der Mensch nicht vorstellbar.

Georg Seeßlen, Autor

„Was ist, wenn es keine Kultur mehr gibt? Was ist, wenn es keine Gesellschaft mehr gibt?“, fragt Seeßlen und gibt selbst eine tröstliche Antwort: Beide würden sich neu aus den Trümmern des Verlorenen bilden, denn „vollkommen ohne Kultur und vollkommen ohne Gesellschaft ist der Mensch nicht vorstellbar“. Doch bis dahin herrscht der Pate mit seinen Untertanen, mit Ratgebern und Schergen. Schon 2017, in „Trump! Populismus als Politik“, erklärte Seeßlen den Aufstieg Trumps aus dem Geist der amerikanischen Popkultur und mit dem „Wahn, sich vom elitären Instrument der Vernunft befreien zu können“. In der postfaktischen Zeit, in der es um Emotionen und nicht um Fakten geht, kommt es zur „endgültigen Verschmelzung von Pop und Politik“. Die Wurzeln Trumps in der Popkultur sind nicht neu. Vorläufer waren Charles Foster Kane aus „Citizen Kane“ von Orson Welles, Dagobert ebenso wie Bugs Bunny, Batman ebenso wie der Joker.

In dem dieses Jahr in der Zeit erschienenen Essay „Trump: Weit das wilde Land, eng die eigene Welt“ beschreibt Seeßlen bereits das Verschieben von Grenzen, die „moving frontier“, als uramerikanisches Motiv und als Wurzel des Trumpismus. Der Traum von Amerika, dessen Grenzen ausschließlich natürlich-mythologischer Natur sind, ist in der US-Geschichte verankert, ebenso das Sendungsbewusstsein jener, die diese Grenzen erweitern wollen, wie Trump, der den Golf von Mexiko in Golf von Amerika umbenannt hat und Kanada und Grönland beansprucht. Dagegen sind Migranten nichts anderes als Abschaum und Wilde, gegen die Mauern und Zäune errichtet oder Spezialkräfte eingesetzt werden. Zugleich streben Milliardäre wie Musk in den Weltall, statt westwärts zu ziehen, und wollen den Mars kolonisieren. Seeßlen behauptete schon 2017, Trump sei kein Politiker, sondern ein Popstar, eine Mischung aus Billy the Kid und Darth Vader. Vielleicht ist der Tycoon nichts anderes als ein Hochstapler – oder ein Gespenst. Wie Al Capone.

Georg Seeßlen: Trump & Co. Der un/aufhaltsame Weg des Westens in die Anti-Demokratie. Bertz und Fischer Verlag, Berlin 2025. 240 Seiten. 18 Euro.

Die Familie des „Paten“: Bettina Anderson (links), Partnerin von Donald Trump Jr., Donald Trump Jr. (Mitte) und Eric Trump (rechts) wohnen dem Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Schottland bei
Die Familie des „Paten“: Bettina Anderson (links), Partnerin von Donald Trump Jr., Donald Trump Jr. (Mitte) und Eric Trump (rechts) wohnen dem Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Schottland bei Foto: Jacquelyn Martin/AP/dpa