Samstag25. Oktober 2025

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Netflix-SerieDer Hype um „Adolescence“ macht sich in Luxemburg bemerkbar, doch ist nur bedingt berechtigt

Netflix-Serie / Der Hype um „Adolescence“ macht sich in Luxemburg bemerkbar, doch ist nur bedingt berechtigt
Owen Cooper spielt Jamie Miller in der britischen Netflix-Serie „Adolescence“ Foto: Netflix/dpa

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Die Netflix-Produktion „Adolescence“ führt weltweit die Liste der meistgesehenen Serien an und wird sowohl in Großbritannien als auch in Luxemburg als Fallbeispiel herangezogen: Im Mittelpunkt stehen ein Frauenmord und die Lebensrealität von Jugendlichen. Ist der Hype berechtigt? 

In den frühen Morgenstunden stürmt ein Polizeiteam das Wohnhaus der Millers und nimmt den 13-jährigen Jamie (Owen Cooper) fest. Die Familienidylle ist hin: Jamie muss sich wegen Mordes an einer Mitschülerin verantworten. Vier Folgen skizzieren die Ermittlungsarbeit. Dabei geht es weniger um die Rekonstruktion des Tathergangs als vielmehr um die Zurschaustellung einer gewaltbereiten Jugend und ihrer Codes. Die Produzenten von „Adolescence“, Jack Thorne und Stephen Graham, wollen eigenen Aussagen nach eine Debatte über toxische Männlichkeit, Gewalt und soziale Medien lostreten. Mit Erfolg: Die Serie zählt zu den meistgesehenen Produktionen weltweit. Der britische Premierminister Keir Starmer lud die Produzenten Anfang April zum Gespräch über Gewalt (besonders gegen Frauen) ein und befürwortet die Bereitstellung der Serie an Sekundarschulen. In Luxemburg nimmt die Beratungsplattform „Bee Secure“ sie zum Anlass, um über die Nutzung von Emojis aufzuklären. Kaum eine Kritik kommt ohne Superlative aus: Die Schauspielleistungen, die Regiearbeit von Philip Barantini sowie die Themenwahl werden über den Klee gelobt.

Die überschwänglichen Reaktionen sind jedoch nur bedingt nachvollziehbar: Zwar überzeugt die Serie aus filmischer Sicht und ist inhaltlich durchaus wichtig, doch „Adolescence“ erzählt nichts Neues. Frauenhass, Gewalt und Mobbing sind weder online noch offline ein Jugendphänomen, sondern ein anhaltendes Gesellschaftsproblem.

Was ist Revenge Porn?

Revenge Porn beschreibt die unerlaubte Weitergabe von Intimfotos und -videos, um die Person online oder offline anzugreifen. Das geht oft mit Mobbing einher.

Das vermittelt die Serie nicht, denn immer wieder zeigen die Produzenten mit dem Finger auf die Kluft zwischen den Generationen: Der Hauptermittler Luke Bascombe (Ashley Walters) weiß nichts von der doppelten Bedeutung von Emojis in sozialen Netzwerken; Jamies Eltern erinnern sich nostalgisch an ihre eigene Jugendzeit zurück und das Lehrpersonal zerbricht an den verhaltensauffälligen Jugendlichen. Das Mordopfer Katie Leonard (Emilia Holliday), das u.a. von „revenge porn“ betroffen war und kein Interesse an Jamie hatte, rückt dabei in den Hintergrund. Die einzige Frau, die Jamie die Stirn bietet und sich ernsthaft um die Dekonstruktion seiner Männlichkeit bemüht, ist seine Psychologin Briony Ariston (Erin Doherty). 

Bewegung oder Einzeltäter?

Das ist ungünstig, da sich die Produzenten in der Serie auf die Incel-Community beziehen. Incel-Communitys bestehen seit Ende der 1990er-Jahre: Die ehemalige Studentin Alana Boltwood rief damals das Forum „Alana’s Involuntary Celibacy Project“ für unglückliche Singles ins Leben. Jahre später entwickelte sich daraus „im engeren Sinne eine Bewegung von Männern, die ihren Frauenhass kultivieren und organisieren“, wie Susanne Kaiser in ihrem Buch „Politische Männlichkeit“ schreibt. Die Mitglieder verwenden einen bestimmten Jargon, der weit über Emojis hinausgeht, und teilen die Ansicht: Andere sind schuld an ihrem Singledasein und sollen dafür bluten. Incel-Foren zählten in der Vergangenheit schon bis zu 40.000 Nutzende. 2014 ermordete einer der ersten Incel-Anhänger sechs Menschen, es folgten weitere Amokläufe.

In „Adolescence“ begrenzt sich die Auseinandersetzung mit Incels auf Flurgespräche mit Teenies und auf Jamies Verhältnis zu Frauen. Die Serie lässt sogar den Interpretationsstrang zu, Katie habe die Konfrontation mit Jamie selbst provoziert: Sie bezeichnete ihn online als Incel, was in Cybermobbing resultierte. Jamie tritt als Einzeltäter auf, der aus Frust über die Abfuhr zum Messer greift.

Vergleichbare Morde ereignen sich in der realen Welt täglich, auch abseits der Incel-Community: 2023 wurde weltweit alle zehn Minuten eine Frau durch eine Beziehungsperson oder ein Familienmitglied (Quelle: Vereinte Nationen) getötet. Die Tatpersonen sind keineswegs nur Jugendliche und ihre Handlungen nicht immer auf die Internetnutzung zurückzuführen. Das Unwissen über digitale Subkulturen ist zweifelsfrei ein Thema, genauso wie Gewalt unter Jugendlichen, aber: Misogynie und Frauenmorde existieren außerhalb dieser Sphären und unabhängig des Alters oder der sozialen Klasse. Ist nicht dies das eigentliche Problem?

Es ist umso frustrierender, dass es einer Netflix-Serie bedarf, damit ein Premierminister sich öffentlichkeitswirksam mit genderbasierter Gewalt befasst. Liegt es daran, dass in der Serie Täter und Opfer minderjährig sind? Ist die Serie trotz ihrer Wucht seicht genug, um jahrzehntelange feministische Anliegen zur Sprache zu bringen? Wenn sich Jamies’ Vater Eddie (Stephen Graham) weinend auf dem Bett seines Sohnes für sein elterliches Versagen entschuldigt, will man ihm jedenfalls beipflichten: Die Ignoranz der Gesamtgesellschaft trägt die Mitschuld daran, dass Menschen wie Jamie mit Messerstichen auf ein „Nein“ und Konflikte reagieren.


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