Mittwoch12. November 2025

Demaart De Maart

KinowocheDer Horror des nicht Gezeigten

Kinowoche / Der Horror des nicht Gezeigten
Sandra Hüller als Hedwig Höss in einer Szene des Films „The Zone Of Interest“ Foto: Leonine/dpa

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Der britische Filmemacher Jonathan Glazer schreibt mit „The Zone of Interest“ das nächste Kapitel in der Diskussion um die (Un-)Möglichkeiten der Repräsentation des Horrors der industriellen Tötungsmaschinerie der Nazis. Eine Diskussion, die auch nach diesem „film monstre“ über das Alltagsleben von Rudolf Höss und seiner Familie an den Pforten von Auschwitz so bald nicht beendet sein wird

„Die Banalität ist die angenommene Verkleidung eines sehr mächtigen Willens zur Abschaffung des Gewissens.“ Obwohl Jonathan Glazer einen Roman mit dem gleichen Titel von Martin Amis sehr, sehr lose verfilmt, ist sein Film eigentlich die filmische Adaptation von Hannah Arendts Grundgedanken aus ihrem Schreiben über den Eichmann-Prozess. Das titelgebende Interessengebiet war das etwa 40 Quadratkilometer große Sperrgebiet der SS, auf dem der Lagerkomplex Auschwitz entstanden ist. Ein Komplex aus Stamm-, Neben- und Vernichtungslager sowie Werkstätten und Wirtschaftsbetrieben. Glazers Film ist auf den ersten Blick aber kein Film über das KZ Auschwitz, sondern über das Leben inmitten des Todes einer Familie. Neben dem Eingang am nordöstlichen Rand des Stammlagers lebte die Familie Höss, mit an ihrer Spitze Rudolf Höss, dem Lagerkommandanten von Auschwitz. Das Wohnhaus der Familie – welches übrigens noch heute steht und von der polnischen Familie bewohnt wird, die es nach der Befreiung 1945 wieder bezogen hatte – ist der zentrale Spielort von „The Zone of Interest“. Ein heute ebenso wenig vorstellbarer Ort wie das Konzentrations- und Vernichtungslager selbst. Die Familie Höss lebt, von Wachtürmen, Stacheldraht und vor allem der Lagermauer umgeben, in einem relativen Idyll, inklusive großem Garten und Schwimmbecken. Während sie ihre spießbürgerliche Existenz führt, wird nur wenige Meter weiter, auf der anderen Seite der Lagermauer, die Tötungsmaschinerie des Dritten Reichs perfektioniert.

Drei Filme

„The Zone of Interest“ sind eigentlich drei Filme. Zuerst ist es der Film, den man sieht, dann jener, den man hört und als Letztes ist es der Film, den man sich selber im Kopf macht. Vordergründig im Bild bewegen sich die Nazis in ihrem häuslichen Alltag, der daraus besteht, am Abendtisch zu sitzen, im Gewächshaus zu arbeiten, am Abend durchs Haus zu gehen und überall die Lichter auszumachen, die dreckigen Stiefel vor der Haustür abzustreifen, den neuen Mantel vor dem Spiegel auszuprobieren und im Kinderzimmer mit Goldzähnen zu spielen. Alles ganz normal, wären da nicht die kleinen Details, die, je nachdem, ob man sie wahrnimmt, einem das Blut gefrieren lassen.

Die technischen Mittel aus fest im Haus installierten Kameras verleihen diesem hundsgewöhnlich biederen Leben der Familie einen gespenstischen Anstrich. Wie auf die Kandidat*innen einer sehr makaberen Reality-Show gafft das Publikum regelrecht auf Rudolf, Heddy und die Kinder. Von Protagonisten, also Helden der Erzählung, kann schwerlich die Rede sein. Regisseur Glazer und sein Kameramann für diesen Film, der Pole Lukasz Zal („Cold War“, „Loving Vincent“ und „I’m Thinking of Ending Things“) entledigen ihre Bilder jeglicher Ästhetisierung. Die Montage unterstreicht diesen Effekt und findet im niedersten Fernsehformat die adäquate Handhabe für die Repräsentation der Figuren. „The Zone of Interest“ weiß aber, dass auch dieses Prozedere, das einfache Zeigen, ein ästhetischer Akt an und für sich ist und stellt dem Zuschauer die offene Frage der Legitimität und Notwendigkeit dieser Bilder, wenn sich doch im Off der eigentliche, nicht fassbare Horror abspielt.

Der wirkliche Star dieses Films ist der Tonmann Johnnie Burn. Seine Klanglandschaft, Geräuschkulisse – es ist tatsächlich manchmal schwer, im Kontext der Besprechung eines Filmes wie dieses die angemessenen, richtigen Wörter auszusuchen – ist das Element, das aus „The Zone of Interest“ den Film macht, der er ist. Mal mehr oder weniger gedämpft und egal, ob man sich mit den Nazis tagsüber am Planschbecken oder nachts im Schlafzimmer befindet – die Tonkulisse der Realität hinter der Mauer ist ein permanenter Begleiter. Schreie, Rumoren, ankommende Züge, Schüsse – der Tonmix ist der Soundtrack, aus dem Albträume sind. Auch hier setzt Jonathan Glazer den Zuschauer einer unausgesprochenen Prüfung aus: Bleibt die Tonkulisse über die Länge des ganzen Films ein furchteinflößender Begleiter, der einen zweiten Film im Film und im Kopf bildet, oder mutiert sie zu einem weißen Rauschen, welches das Publikum mehr mit den Figuren gleichstellt, als ihm lieb ist? In diesem Kontext stellt sich dann die Frage der Notwendigkeit des tatsächlich sporadisch auftauchenden Soundtracks des musikalischen Ausnahmetalents Mica Levi.

Wie ein Gewissen

„The Zone of Interest“ ist eigentlich frei von einem dramatischen Bogen. Alleine aus diesem Grund ist Glazers Film auch nur eine sehr lose Verfilmung von Martin Amis’ Buch. Dieser ließ gleich drei Handlungsstränge parallel laufen. Das Drama um die Versetzung von Rudolf Höss ist weniger narrativer Strang an und für sich als ein Mittel, Einblicke in die existenziellen Ängste von Heddy Höss zu geben, die ihren Traum vom bürgerlichen Leben auf Auschwitz und auf Kosten von Millionen aufbaut, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Überhaupt stellt der aktive Zuschauer jedes narrative und visuelle Element des Films in Frage. Was jedoch für und keineswegs gegen die Entscheidungen des Films und seiner künstlerischen Verantwortlichen spricht. Natürlich ist „The Zone of Interest“ in Form und Ansatz ein direkter Begleitfilm zu László Nemes’ „Son of Saul“. Die Abstammungslinie kann natürlich zurückgeführt werden zu Spielbergs „Schindler’s List“, „Shoah“ von Claude Lanzmann und natürlich Resnais’ „Nuit et brouillard“ und Ceylans „Todesfuge“. In allen diesen Arbeiten bleiben die zentralen Fragen: Was darf, soll und muss – oder eben nicht – Kunst im Angesicht des Horrors der Shoah? Jonathan Glazer bietet mit „The Zone of Interest“ eine Oberfläche für Diskursmöglichkeiten und macht den Versuch, der Banalität so etwas wie ein Gewissen zurückzugeben.

„The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer, mit u.a. Christian Friedel und Sandra Hüller, zu sehen im Ciné Utopia sowie den Regionalkinos von Cinextdoor.

Robert Hottua
2. Februar 2024 - 21.29

Um Banalität und Gewissen geht es auch in diesem sehr langen Artikel von Herrn Ernst KLEE von 1986 aus der "Zeit". Durch die aktuelle "Bettlerdiskussion" erhält er auch für die luxemburger Geschichte einen großen Wert. Er berichtet über viele Fakten, die sich womöglich auch in Luxemburg abgespielt haben.
https://www.zeit.de/1986/18/geldverschwendung-an-schwachsinnige-und-saeufer
MfG
Robert Hottua