Mittwoch12. November 2025

Demaart De Maart

KinoDer Gestalt gewordene Stoizismus: Ein Porträt des Schauspielers Mads Mikkelsen

Kino / Der Gestalt gewordene Stoizismus: Ein Porträt des Schauspielers Mads Mikkelsen
In „The Promised Land“ spielt Mads Mikkelsen einen ehemaligen Soldaten, der bemüht ist, das Moor von Jütland fruchtbar zu machen, um so in die Sphäre der Mächtigen aufzusteigen   Foto: Magnolia Pictures 

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Der dänische Schauspieler Mads Mikkelsen ist zum Aushängeschild des gegenwärtigen dänischen Kinos geworden. Bei all der internationalen Aufmerksamkeit, die der 58-jährige Mime genießt, ist er immer noch stark mit der dänischen Filmindustrie in Kontakt. In seinem neuen Film „The Promised Land“ (Originaltitel: „Bastarden“) spielt er unter der Regie von Nicolaj Arcel einen einsamen Soldaten, der sich gegen die dänische Aristokratie des 18. Jahrhunderts auflehnt.

„The Promised Land“ ist ein Film, der ganz auf seinen Hauptdarsteller zugeschnitten ist. Zu den wiedererkennbaren und typischen Äußerlichkeiten dieses Schauspielers zählen die stechenden Augen, der schmale Mund, die markanten Wangenknochen. Es sind besonders diese physischen Eigenschaften, die Mads Mikkelsen auszeichnen, er ist denn auch ein Schauspieler, der zwischen dem Zarten und dem Harten beständig zu oszillieren weiß. Ob er den hochintelligenten und weltgewandten Psychopathen Hannibal Lektor in einer Origin-Story gibt („Hannibal“, Fernsehserie, 2013-2015) oder noch den schurkischen Nazi-Gegenspieler in dem neuen Indiana-Jones-Abenteuer „The Dial of Destiny“ (2023) – Mikkelsen spielt den durchtriebenen Nazi-Wissenschaftler, entgegen dem amerikanisch-tradierten Bild der Nationalsozialisten als das „absolute Böse“, so charismatisch, dass man fast von einer Fehlbesetzung sprechen möchte. Die Bandbreite, die Mikkelsen auf sich als Schauspieler vereinen kann, scheint unerschöpflich. Zu großer Popularität gelang er mit dem 21. James-Bond-Film „Casino Royale“ von 2005. In diesem Reboot des langlebigen Franchises verkörperte er Bonds entstellten Gegenspieler Le Chiffre – kalt, berechnend und skrupellos. Undurchsichtig, beherrscht und glatt auf der Oberfläche, panisch, verzweifelt und verloren unter ihr. Obwohl seine Karriere mit dem Erfolg des Films eine größere internationale Ausrichtung erhielt, blieb Mikkelsen dem Filmschaffen seiner Heimat Dänemark stets verbunden.

Schauspielerische Präsenz

In „The Promised Land“ nun spielt er Ludvig von Kahlen, einen ehemaligen Soldaten, der bemüht ist, das Moor von Jütland fruchtbar zu machen, um so in die Sphäre der Mächtigen aufzusteigen. Eine Feindschaft entbrennt dann, als der Adel versucht, ihm das Land mit allen Mitteln abzuringen. Basierend auf dem Roman „Kaptajnen og Ann Barbara“ von Ida Jessen mag der Stoff dieses neuen Films zunächst an die Adaption der Heinrich-von-Kleist-Novelle „Michael Kohlhaas“ (2013) erinnern. In diesem Film gab Mikkelsen den obsessiven Pferdehändler, der nach ertragenem Unrecht zur Revolte gegen die Obrigkeit aufrief. Mikkelsen beschwor in diesem Film eine eindringliche Idee des Besitzrechtes, das zum anarchistischen Ausdruck einer gebrochenen, aber determinierten Seele wurde. So auch in „Promised Land“.

Zwar dominieren die weiten Landschaftsaufnahmen des ruralen Dänemarks, doch es ist der Schauspieler Mikkelsen, der dem Ganzen zur imposanten Größe verhilft. In seiner feinen Mimik, den stechenden und intensiven Blicken, wird einem der Wert des umkämpften Landes überhaupt erst gewahr. Mikkelsen gibt ihn standfest, resolut, unbeugsam – seine aufrechte Körperhaltung lassen eine Entschlossenheit erahnen, die unumstößlich ist, ja dieser Kahlen ist bereits so tief mit und in dieser Erde verwurzelt, die er bestellt, dass er von seinem Vorhaben nicht mehr ablassen kann.

Es ist seine schauspielerische Präsenz, die den gesamten Film durchdringt: Ludvig von Kahlen ist überwiegend schweigsam, dafür ein umso aufmerksamer Zuhörer, er nimmt jedes Wort, das gesagt wird, regungslos, aber voller Achtung auf; einzig seine hin und her schweifenden Augen verraten das tief sitzende Brodeln dieser entschlossenen Existenz, die äußerlich die absolute Fassung bewahrt. Die daraus resultierende Ambivalenz gegenüber der Figur steht einem Sympathiezuspruch oder gar einer Identifikation freilich im Wege. Nie sind deren Absichten und Gefühle klar zu bestimmen. Vielmehr schiebt sich die spannungsgeladene Frage ins Bewusstsein, was denn als nächstes passiert? Zu was ist dieser Mensch fähig? Das Undurchschaubare, das sich stets in seinen Gesichtszügen hält, prädestiniert Mikkelsen für Kamerafahrten auf ihn zu oder noch für lang anhaltende Nah- und Großaufnahmen. Da er so viel mit seinen Blicken mitteilt, bedarf es mithin weniger Worte. Er versteckt so auch, was er fühlt.

Dunkle Seiten in jedem Menschen

Viele von Mikkelsens Figuren sind überaus wortkarg. Und auch das gestische und mimische Ausdrucksrepertoire will nicht zur Lesbarkeit einladen. Die Augen verharren oft, die Mundwinkel sind starr. Wenn Mikkelsen die Augen dann bewegt, bewegt sich die gesamte innere Emotionswelt der Figur mit ihnen, sie wird dann für wenige Augenblicke ganz spürbar; Mikkelsen kann mit den Augen Äußerungen treffen, für die es keine Worte gibt. So kommt es auch, dass seine Figuren meistens innere Konflikte austragen, die sich dann auf dem Gesicht ablesen lassen. Es ist diesem Ludvig von Kahlen wichtiger, mit sich selbst im Reinen zu sein, als ein Gemeinwohl zu wahren, noch sich einer sozialen Ordnung zu fügen – auf seinem Gesicht liegt das ganze Drama dieser Prinzipientreue. Mikkelsen führt seinen Körper und seine Mimik so, dass man meinen möchte, er sei der Gestalt gewordene Stoizismus. Die Katastrophe scheint mithin so unabwendbar, wie es für diese Figur unmöglich ist umzukehren. Stärker ausgeprägt als Reue oder Einsicht ist der Stolz.

„Promised Land“ ist auch die Geschichte eines Mannes, der nicht weiß, welche anderen Wege er einschlagen könnte. Ludwig Kahlen ist ein Mann, der überhaupt nicht weiß, wie er sonst leben soll. Mikkelsens Figur ist ohne Ausweg – weit ist das Land, doch eng die Gitterstäbe des inneren Gefängnisses. Dieser Umstand findet seine Entsprechung in dem auf das Minimum reduzierten, mimischen und gestischen Spiel. Mikkelsen führt seine Figuren nie vor, er zeigt deren verzweifelten Situationen und die Abgründe, ohne sie zu moralisieren. Manchmal ringt er auch mit ihnen um Würde. Wie etwa in „Jagd“ (2012), wo er einen zu Unrecht des sexuellen Missbrauchs beschuldigten Lehrer spielt. In Erinnerung bleibt die Verschlossenheit dieser Figur, Mikkelsen zeigt wiederholt die Präsenz des Schweigens auf der Leinwand. Er trifft mit seiner Stille die innere Existenzkrise präzise, da wo ausladende Gesten oder große Mimik verfehlt wären.

Der Regisseur Thomas Vinterberg hat dieses ausdrucksstarke Konfliktmoment bei aller Zurückhaltung im Spiel Mikkelsens erkannt und weiter gefördert: In „Druk“ (dt. „Der Rausch“, 2020) gibt er einen frustrierten Gymnasiallehrer in der Midlifecrisis. Die Schüler sehen in ihm nicht die geeignete pädagogische Fachkraft, um sie auf die Abiturprüfung vorzubereiten, sein Eheverhältnis befindet sich aufgrund von Routine und Langeweile an einem emotionalen Tief. Eine wohl dosierte Zufuhr von Alkohol soll das triste Leben wieder in Schwung bringen – ein waghalsiges Experiment, das fatale Folgen birgt. Mads Mikkelsen zeigt gerade in diesem Film, wie nahe unbekümmerter Leichtsinn und schmerzhafter Ernst beieinander liegen. Man kann dementsprechend sagen, Mikkelsen spielt oftmals Anti-Helden, auch dort, wo man sie erst nicht vermutet. Mikkelsens Spiel zeigt uns, dass es dunkle Seiten in jedem Menschen gibt – Menschen, die den rechten Pfad suchen oder verloren haben, ihn wiederfinden wollen. Seine Figuren oszillieren dabei zwischen der inneren Zerrissenheit und der äußeren Ruhe. Je deutlicher sich diese beiden Ebenen durchdringen, desto stärker sind seine Schauspielleistungen.