Dienstag11. November 2025

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GroßbritannienDer Gaza-Krieg bringt die Labour Party erneut in Turbulenzen

Großbritannien / Der Gaza-Krieg bringt die Labour Party erneut in Turbulenzen
In Rochdale finden Nachwahlen statt, zu denen der Labour-Politiker Azhar Ali antreten soll, der jedoch mit antisemitischen Äußerungen negativ aufgefallen ist  Foto: AFP/Paul Ellis

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Wie weit hat sich Großbritanniens Labour-Party vom Antisemitismus früherer Tage befreit? Und wie ist es um das Urteilsvermögen ihres Vorsitzenden Keir Starmer bestellt? Mit diesen bohrenden Fragen muss sich die in allen Umfragen weit vorn liegende Oppositionspartei zu Wochenbeginn wieder einmal herumschlagen.

Anlass ist eine Nachwahl zum Unterhaus: Nachdem antisemitische Äußerungen des Labour-Kandidaten ans Tageslicht gekommen waren, zögerte die Parteiführung – anders als bei Parteilinken – fast zwei Tage mit der fälligen Suspendierung. Der konservative Premier Rishi Sunak spricht triumphierend davon, seit den Tagen des mittlerweile ausgeschlossenen Parteichefs Jeremy Corbyn habe sich bei Labour „nichts geändert“.

Die Kontroverse geht auf Äußerungen des Labour-Kandidaten Azhar Ali zurück. Der erfahrene Kommunalpolitiker hatte im größeren Kreis von Mandatsträgern seiner Partei im Oktober seiner Abscheu über Israels blutigen Gaza-Krieg Ausdruck verliehen und dabei eine Verschwörungstheorie verbreitet: Der jüdische Staat habe „absichtlich“ seine Grenzkontrollen geschwächt und damit den Terrortruppen von Hamas die Massenmorde und Vergewaltigungen vom 7. Oktober erst möglich gemacht.

Nach einer Veröffentlichung in der erzkonservativen Mail on Sunday entschuldigte sich Ali umfassend und verwies auf seine lange Tätigkeit in Arbeitskreisen für interkonfessionelle Zusammenarbeit und in der Gruppe „Muslime gegen Antisemitismus“. Labours Wahlkoordinator Pat McFadden tadelte seinen Kandidaten für dessen „schlimmen Unsinn“, wollte aber die Entschuldigung gelten lassen.

Diese Verteidigungslinie galt bis Montagabend. Dann zitierte die Daily Mail Ali mit der Äußerung, „gewisse jüdische Kreise in den Medien“ seien für Labours harte Linie im Gaza-Krieg verantwortlich. Umgehend verkündete McFadden im Namen des Parteichefs die Suspendierung des Kandidaten: „Keir Starmer hat rasch diese schwierige Entscheidung getroffen.“

Schwierig gewiss, aber rasch? Ohne dass dies offen gesagt würde, dürfte die ursprüngliche Entscheidung der Parteispitze, Ali mit einer Entschuldigung davonkommen zu lassen, auf das Timing der Vorwürfe zurückgehen. Weil die Anmeldefrist verstrichen ist, konnte Labour den Kandidaten nicht kurzerhand auswechseln. Der Wählerschaft präsentiert sich Ali auf dem Wahlzettel also weiterhin als der offizielle Labour-Kandidat. McFadden mochte sich auch nicht dazu durchringen, den Menschen in Rochdale ausdrücklich von seiner Wahl abzuraten.

Muslime als wichtiges Wählerpotenzial

Seit Starmers Amtsantritt vor vier Jahren hat sich Labour klar vom Antisemitismus distanziert, der unter dem früheren Parteichef Corbyn (2015 bis 2000) grassiert hatte. Dies gipfelte im Ausschluss des Parteiveterans aus der Unterhausfraktion, weil Corbyn Vorwürfe der unabhängigen Menschenrechtskommission EHRC nicht akzeptieren mochte.

Seit rund zwei Jahren sehen alle Umfragen die Labour-Party um bis zu 20 Prozent vor Sunaks Konservativen, die das Land seit 2010 regieren. Bei den beiden an diesem Donnerstag anstehenden Nachwahlen gilt es als beinahe ausgemacht, dass die bisher von Torys vertretenen Wahlkreise an Labour fallen – ein düsteres Menetekel für Sunaks Wahlaussichten bei der spätestens im Herbst erwarteten Unterhauswahl.

In rund drei Dutzend innerstädtischen Wahlkreisen beruht die Labour-Mehrheit auf den Stimmen der mittlerweile insgesamt rund vier Millionen Muslimen. Viele sind mit Starmers staatstragender Rhetorik im Gaza-Krieg unzufrieden. Statt Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ und „humanitäre Pausen“ im Dauerbombardement des dicht besiedelten Landstrichs plädieren sie für den sofortigen Waffenstillstand, manche sprechen auch von „Genozid“.

Jüngste Umfragen deuten aber nicht darauf hin, dass viele Muslime deshalb ihre Wahlentscheidung zuungunsten Labours ändern würden: Statt 80 Prozent wie bei früheren Wahlen wollen derzeit 60 Prozent ihr Kreuz bei der Arbeiterpartei machen. Dennoch blicken viele Labour-Mandatsträger mit Bangen auf die Kommunalwahlen im Mai, darunter auch der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan.

Distanz zu Vorgehen Israels

Die Nachwahl in Rochdale wurde nach dem Tod des Mandatsträgers notwendig. Der Sitz gilt als Labour-Hochburg; allerdings sah die Situation für die Oppositionspartei schon vor der jüngsten Kontroverse schwierig aus. Zu den Kandidaten zählt nämlich nicht nur der frühere örtliche Labour-Abgeordnete, der für die neue Rechtsaußen-Partei „Reform“ antritt. Auch der einstige Labour-Linke George Galloway, 69, hat seinen Hut in den Ring geworfen. Er wendet sich ausdrücklich an Rochdales Muslime mit der Aufforderung, seiner früheren Partei einen Denkzettel zu erteilen.

Unterdessen wird die Distanz der konservativen Regierung zum militärischen Vorgehen Israels immer größer: Außenminister David Cameron forderte Jerusalem am Montag zum „Innehalten und Nachdenken“ auf; einer „humanitären Pause“ im Gaza-Krieg solle rasch ein umfassender Waffenstillstand folgen. Zudem halten Regierung und Opposition in London gemeinsam an der Zweistaatenlösung für Israel und Palästina fest, die von Premier Benjamin Netanjahu infrage gestellt wird.

luxmann
13. Februar 2024 - 19.41

Wenn man im jahr 2024 noch immer nicht den unterschied zwischen antisemitismus und antizionismus begriffen hat sieht es allerdings recht dunkel aus.