„Come as you are“ – der Song der Grungeband Nirvana liegt programmatisch über den Bildern, wenn Lee (Daniel Craig) durch die Straßen von Mexiko-Stadt der Fünfzigerjahre schlendert. Die tiefen, dumpfen Gitarrenriffs korrelieren eindrücklich mit dem Zeitlupen-Effekt, der das Gezeigte ungemein entschleunigt. Denn darum geht es in „Queer“, dem neuen Film des italienischen Regisseurs Luca Guadagnino: Es geht um einen leidenschaftlich-verzweifelten Ausbruch homosexuellen Begehrens, ein Begehren, das für seinen Protagonisten auch eine Identitätsfindung ist.
Der amerikanische Schriftsteller William S. Burroughs hielt seine eigene Homosexualität in den Fünfzigerjahren im Verborgenen, sein Roman wurde in der LGBTQ+-Literatur schnell zu einem bedeutenden Werk und trug zu einer positiven Aufladung des Begriffs der „queerness“ bei. Halbautobiografisch angelegt, verarbeitete Burroughs darin nicht nur die eigene sexuelle Orientierung, sondern auch den Tod seiner Frau, den er durch einen Unfall mitverschuldet hatte. Burroughs erzählt in seinem Roman besonders von der Faszination der homoerotischen Anziehung, dem Schmerz der Zurückweisung, der Komplexität von Sexualität und Identität, die er besonders als eine Suche anlegte.
Berauschende Erfahrung(en)
Die Erzählhaltung aus Trägheit und Entschleunigung, die für Guadagninos Filme wie „Io sono l’Amore“ (2009), „A Bigger Splash“ (2014) oder „Call me By Your Name“ (2017) besonders konstitutiv waren, bestimmen auch hier die erste Erzählhälfte von „Queer“. Wir begleiten darin zunächst William Lee, der sich in Mexiko-Stadt aufhält, und in dem jüngeren Eugene Allerton (Drew Starkey), einem ehemaligen Soldaten im Ausland, seinen Partner findet, er wird für ihn zum totalen Objekt der Begierde, er schenkt ihm langanhaltende intensive Blicke, am Bartresen verharrend, umgarnt ihn, stellt ihm nach. Craig gibt diesen Lee als erratisch Suchenden, leidenschaftlich Liebenden an, dessen zeitweilig ungestümes Auftreten auch ein Deckmantel seiner Verletzlichkeit ist. So sehnsuchtsvoll und schmachtend sich die erste Filmhälfte präsentiert, so wild und überbordend gestaltet sich der zweite Filmabschnitt, in dem Lee und Allerton in die Urwälder Ecuadors reisen, um dort eine Pflanze zu finden, die den Namen Yage trägt und zum psychedelischen Rauschzustand verhelfen soll.
Hier nun häuft der Film seine irrationalen und gefühlsbetonten Stränge, die ins Surrealistische übergehen. Der Vorwurf, indes, dem Film fehle es an klarem Fokus und stringenter Erzählweise, ist nicht vollends haltbar: Die Entdramatisierung des Geschehens, die willentliche Aussetzung narrativer Zielgerichtetheit sind Ausdruck für die Irrationalität der Liebe, für die Irrwege des Verlangens. Der beschwerliche Erzählrhythmus spiegelt das sehnliche Verlangen und ist in die zähflüssige Erzählform eingeschrieben. Mehr noch als in früheren Guadagnino-Filmen ist das Begehren in „Queer“ auch eine Frage der Körperlichkeit, für das er ein nahezu verstörend-totales Bild findet: Während der Yage-Episode geben sich Lee und Allerton ihrem Rausch ganz hin und mittels digitaler Tricktechnik und Überblendung lässt Guadagnino ihre Körper da plötzlich verschmelzen, es ist die totale Auflösung des eigenen Körpers im Anderen und ein bizarrer Verweis auf die Arbeiten des kanadischen Filmemachers David Cronenberg, der nicht nur den Body-Horror in den Achtzigern zur Größe führte, sondern mit „Naked Lunch“ (1991) einen anderen Roman von Burroughs für den Film adaptierte.
„Queer“, nur noch am Dienstag, dem 8. April, um 15.05 Uhr, im Ciné Utopia zu sehen
De Maart
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