Sonntag21. Dezember 2025

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Forum von Sacha PulliDer 1. Mai – ein Fest der Zukunft

Forum von Sacha Pulli / Der 1. Mai – ein Fest der Zukunft
 Foto: Editpress-Archiv/Fabrizio Pizzola

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„Das Maifest ist keine Erinnerung an die Vergangenheit, es soll nicht der Gegenwart dienen; es ist ein Fest der Zukunft.“1) Mit diesen Worten formulierte der Sozialist Dr. Michel Welter seine Vision vom Maifest. In seiner Ansprache vom 1. Mai 1916 kritisierte er die schlechten Arbeitsbedingungen der Arbeiter, zu einer Zeit, als die Bevölkerung im Zuge der Versorgungsengpässe im Ersten Weltkrieg unter einer großen Lebensmittelknappheit litt.  

Im selben Jahr kam es zu der Gründung der ersten Gewerkschaften, des Luxemburger Berg- und Hüttenarbeiterverbandes (BHAV) und des Luxemburger Metallarbeiterverbandes (LMAV). Eng verknüpft mit der Geschichte der Gewerkschaften ist auch die Tradition der 1.-Mai-Feier in Luxemburg. Laut dem Historiker Henri Hoffmann fand die erste Kundgebung in Luxemburg bereits 1890 statt. Rund 200 Bergleute, die während der Kundgebung von Polizeibeamten überwacht wurden, forderten das allgemeine Wahlrecht, um der Arbeiterschaft eine politische Stimme zu verleihen. Am 3. Mai 1903 hielt der ein Jahr zuvor gegründete sozialdemokratische Verein seine erste offizielle Maifeier ab. Seither wurde der „Tag der Arbeit“, mit Ausnahme der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg, ununterbrochen gefeiert.2)  
 
Die Maifeier verdeutlicht, welche zentrale Rolle der 1. Mai sowohl in der historischen als auch in der aktuellen Auseinandersetzung um gerechte Arbeitsbedingungen spielt. Vor allem im Hinblick auf die Aushandlung fairer Kollektivverträge. 

Kampf um faire Kollektivverträge 

Traditionell standen auf der 1.-Mai-Feier bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen im Vordergrund. Diese sollten durch gerechte Kollektiverträge erreicht werden, ein Instrument, das der Gewerkschaftler Pierre Krier in den 1930er-Jahren angesichts des aufkommenden Faschismus als „beste Abwehr des Faschismus bezeichnete“.3)

Im Jahr 1935 verhinderte Staatsminister Joseph Bech jedoch die Verabschiedung des ersten Gesetzes über Kollektivverträge, indem er mit der Vertrauensfrage drohte. Um ihre Forderungen gegenüber der von Joseph Bech geführten Regierung durchzusetzen, bildeten LBMIAV (Luxemburger Berg- und Metallindustrieverband) und LCGB (Lëtzebuerger Chrëschtleche Gewerkschaftsbond) eine gemeinsame „Gewerkschaftsfront“. Die Massendemonstration vom 12. Januar 1936, an der rund 40.000 Menschen teilnahmen, führte schließlich zu wichtigen gewerkschaftlichen Erfolgen. Infolge der Proteste gründete Arbeitsminister Pierre Dupong den „Conseil national du travail“, ein Gremium bestehend aus je zwei Vertretern der Gewerkschaften und des Patronats. Geleitet wurde dieser Vorläufer der Tripartite von einem Repräsentanten der Regierung. Ziel war es, Arbeitskonflikte gemeinsam zu analysieren und Lösungen zu finden. Laut dem Historiker Denis Scuto wurden 1936/1937 zahlreiche neue Kollektivverträge unter der Führung von diesem Gremium abgeschlossen.4)  

Gesetzliche Verankerung und aktueller Handlungsbedarf 

Trotz dieser Fortschritte sollte es bis 1965 dauern, bis das erste Gesetz über die Kollektiverträge im Parlament verabschiedet wurde. Dieses verpflichtete Arbeitgeber zur Teilnahme an Verhandlungen über einen Kollektivvertrag und sprach nur national repräsentativen Gewerkschaften das exklusive Verhandlungsrecht zu. Dem vorausgegangen war ein Konflikt zwischen Gewerkschaften und Patronat über einen neuen Kollektivvertrag in der Stahlindustrie. Die Lösung des Konflikts ebnete aber nicht nur den Weg zum ersten Gesetz über die Kollektivverträge, sondern auch zur Institutionalisierung des sozialen Dialogs im 1966 neu geschaffenen Wirtschafts- und Sozialrat.5) 
 
Auch sechzig Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zählt das Recht auf Kollektivverträge zu den Grundpfeilern des luxemburgischen Arbeitsrechts. Dennoch ist derzeit nur etwa die Hälfte der Arbeitnehmer in Luxemburg durch einen Kollektivvertrag geschützt. Dies sind deutlich weniger als die von der EU-Richtlinie geforderte Abdeckungsrate von 80%. Daher sollte die CSV-DP-Regierung nicht die bestehenden sozialen Errungenschaften infrage stellen, sondern vielmehr Maßnahmen ergreifen, um die Deckungsrate zu erhöhen. Denkbar wär etwa die Verpflichtung zu einem Kollektivvertrag bei der Vergabe öffentlicher Aufträge oder bei der Gewährung staatlicher Beihilfen.  

Der 1. Mai – Erinnerung und Zukunftsauftrag

Wie die historischen und aktuellen Entwicklungen um die Kollektivverträge zeigen, ist der Tag der Arbeit weit mehr als nur eine Feier. Er ist, wie es Ainhoa Achutegui, die Direktorin der Abtei Neumünster, in der Broschüre zur Maifeier treffend formulierte, „eine Hommage an jene, die über Generationen hinweg für unsere Rechte und Freiheit gekämpft haben“.6) Er ist aber auch ein seit Jahrzehnten existierender „Barometer der politischen, ökonomischen sowie der sozialen Lage“.7)

Gerade in diesem Jahr kommt der Kundgebung eine besondere Bedeutung zu. In Zeiten, in denen die CSV-DP-Regierung soziale Errungenschaften nicht mehr respektiert und auch in anderen Bereichen, wie dem Versammlungsrecht, fundamentale demokratische Prinzipien infrage stellt, sollten die Gewerkschaften von allen progressiven Kräften unterstützt werden. Die Gewerkschaften sind nämlich weit mehr als nur Interessenvertretungen der Arbeitnehmer. Sie sind grundlegende gesellschaftliche Institutionen, die eine zentrale Rolle für unsere Demokratie und für den sozialen Zusammenhalt spielen.8) Deshalb ist der 1. Mai mehr als nur eine Feier der Gegenwart. Er ist, wie es Dr. Michel Welter bereits vor mehr als hundert Jahren formulierte, ein Fest der Zukunft.   


Sacha Pulli ist Geschichtslehrer am „Lycée Bel-Val“, LSAP-Generalsekretär und Mitglied des Escher Gemeinderats
Sacha Pulli ist Geschichtslehrer am „Lycée Bel-Val“, LSAP-Generalsekretär und Mitglied des Escher Gemeinderats Foto: Editpress/Alain Rischard

1) Die Bedeutung der Maifeier, Rede Dr. Welters gelegentlich der Maifeier in der Villa Louvigny, in: Neues Journal: Central Organ der Sozialdemokratischen Partei Luxemburgs, Nr. 37, S. 1.  

2) Hoffmann, Henri, Der 1. Mai – 126 Jahre Gewerkschaftsgeschichte, in: OGBL (HG.), 100 Joer fräi Gewerkschaften 1916-2016, S. 256-259. 

3) Der kollektive Arbeitsvertrag, in: Escher Tageblatt, 28. Februar 1935.  

4) Scuto, Denis, De la grande grève de mars 1921 à l’intégration dans la nation, Les syndicats libres dans l’entre-deux-guerres, in: OGBL (HG.), 100 Joer fräi Gewerkschaften 1916-2016, S. 256-259. 

5) Fayot, Ben, Les années soixante, étape cruciale de la recomposition syndicale, in: 100 Joer fräi Gewerkschaften 1916-2016, S. 196. 

6) Achutegui, Ainhoa, Feiern wir gemeinsam Vielfalt und Solidarität, in: OGBL aktuell, Das Magazin des OGBL, 2025, S. 39. 

7) Hoffmann, Henri, Der 1. Mai – 126 Jahre Gewerkschaftsgeschichte, in: 100 Joer fräi Gewerkschaften 1916-2016, S. 268. 

8) Negt, Oskar, Wozu noch Gewerkschaft ? Eine Streitschrift, Göttingen 2004.  

Reinertz Barriera Manfred
3. Mai 2025 - 15.51

Die Gewerkschaften sind die "forces vives de la nation" deshalb will das Patronat und deren Lakei Frieden ihre Tätigkeit beschränken...