Dienstag28. Oktober 2025

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StimmungsbildDen Menschen in Russland wird der Krieg verheimlicht

Stimmungsbild / Den Menschen in Russland wird der Krieg verheimlicht
Menschen, die sich in Russland gegen den Krieg in der Ukraine aussprechen, werden von den Sicherheitskräften abgeführt und müssen mit bis zu 15 Jahren Gefängnis rechnen  Foto: AFP

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Viele Russen sagen, es werde schon nicht schlimm kommen, und stellen sich dennoch in die Schlangen vor den Apotheken, um sich mit ausländischen Medikamenten einzudecken. Einige von ihnen verlassen über Nacht das Land. Unabhängige Medien werden geschlossen. Immer mehr Internetsites werden blockiert. Eindrücke aus Moskau.

Anastasia Piwowarowa rennt. Schnell noch zu diesem Schrank und dann zu einem anderen. „Wie hieß das Medikament nochmal? Ach ja, habe ich verstanden.“ Die Schlange vor ihr wird immer länger, die Frau an der Kasse rattert die Namen von Tabletten, Sirups, Salben herunter. Aus französischer, schwedischer, ungarischer Produktion. Herzmedikamente, Magentabletten, Päckchen mit Pulver. Anastasia Piwowarowa packt alles in eine Tüte, reicht sie der Frau in schwarzem Mantel und schwarzer Mütze vor ihr. „Der Nächste, bitte.“

In der Apotheke „36,6“ im Moskauer Westen hört die Schlange seit zwei Tagen nicht auf, die Menschen, vor allem solche, die an chronischen Krankheiten leiden, geben teils ihre Monatsgehälter dafür aus, um sich mit Medikamenten einzudecken. Anastasia Piwowarowa, die Apothekerin, sagt: „Unser Lager ist noch voll, aber wie lange noch?“ Nie in ihrem Arbeitsleben habe sie einen solchen Besucherstrom erlebt, sie mache keine Pause, arbeite mit ihrer Kollegin zehn Stunden durchgängig. Die junge Frau rät jedem, der an der Kasse vor ihr steht: „Wenn Sie regelmäßig Tabletten einnehmen müssen, kaufen Sie jetzt so viel wie möglich.“

Ich hoffe, für meine Behandlung haben die Ärzte noch alles da. Unser Präsident tötet nicht nur andere, er tötet auch sein eigenes Volk.

Krebspatientin in Moskau

Die Angst ist groß, dass durch die Sanktionen des Westens nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine sich die Versorgung der Menschen in Russland verschlechtert. Gerade, was die medizinische Versorgung angeht. Und sie ist berechtigt. Bereits jetzt melden sich Ärzte, die aufzählen, wie viel importierte Medikamente sie noch auf Lager hätten und für wie lange diese reichten. Eine Krebspatientin, die gerade vor einer Knochenmarktransplantation steht, sagt: „Ich hoffe, für meine Behandlung haben die Ärzte noch alles da. Unser Präsident tötet nicht nur andere, er tötet auch sein eigenes Volk.“

Der Staat bestimmt, was Russen sehen dürfen

Es sind harte wie klare Worte einer Frau, die für ihre Behandlungen stets in die Hauptstadt reisen muss. An ihrem Wohnort, zwei Tage Zugfahrt von Moskau entfernt, gibt es keine Möglichkeit für eine entsprechende Therapie. Für solche Worte gibt es in Russland dieser Tage kaum Raum. Würde die Frau sie öffentlich äußern, würde sie von den meisten im Land als Verräterin beschimpft werden. Sie könnte nun auch bestraft werden, weil sie ihr Land „diskreditiert“.

Die russische Staatsduma hat am Freitag einstimmig und in aller Eile ein Gesetz angenommen, das „Fake-News“ mit bis zu 15 Jahren Freiheitsentzug ahndet. Darunter sollen auch ausländische Bürger fallen. Damit könnte auch die Arbeit ausländischer Korrespondenten im Land gefährdet sein. „Fake-News“ sind im Verständnis russischer Parlamentarier und auch im Verständnis des russischen Präsidenten Wladimir Putin, wenn der Krieg in der Ukraine auch als solcher bezeichnet wird, wenn Medien über getötete Zivilisten berichten, wenn sie Bilder und Fotos von zerstörten Wohnvierteln quer durch die Ukraine zeigen. Wenn die Menschen die russische Armee schlecht machten und zu Sanktionen aufriefen. „Fake-News“ ist alles, was das russische Regime nicht hören will. Eine staatlich verordnete Zensur. Unabhängige russische Medien haben sich dieser nun entzogen. Manche, wie der TV-Online-Sender „Doschd“ haben ihre Arbeit vorerst eingestellt, andere, wie der kremlkritische Radiosender „Echo Moskwy“, wurden geschlossen. Die restlichen, Online-Medien wie Meduza, Znak, The New Times sind blockiert, auch Twitter ist abgeschaltet, Facebook eingeschränkt.

Es soll lediglich ein Bild vermittelt werden: das der glorreichen russischen „militärischen Spezialoperation“, wie der Kreml den Überfall auf die Ukraine nennt. „Unsere Truppen kommen exakt und schnell voran“, sagt die Moderatorin in den Abendnachrichten des Staatssenders „Erster Kanal“. Dazu liefert der Beitrag Bilder aus Kiew: entspannt spazierende Menschen auf den Straßen, voll besetzte Cafés, lachende Kinder. Ein nächster Beitrag zeigt Putin, wie er den „Heroismus unserer Soldaten“ lobt und an die Familien verletzter und getöteter russischer Militärangehöriger in der Ukraine umgerechnet von bis zu 100.000 Euro zahlen will. Woher das Geld kommen soll, sagt er freilich nicht.

Das Phantom des bösen Westens

Der Rubel verliert derweil weiter an Wert. Die US-amerikanischen Ratingagenturen Fitch und Moody’s haben die Kreditwürdigkeit von Russland auf „Ramsch“-Niveau abgesenkt. Den Menschen auf Moskauer Straßen macht das durchaus Sorgen. Vielmehr aber beunruhigen sie die Nachrichten von geschlossenen Ikea-Läden, geschlossenen H&M-Läden, geschlossenen Apple-Stores. Sie machen sie unsicher. Zeigen ihnen, wie ungewiss die Zukunft ist. „Sollen wir lieber jetzt noch alles Mögliche kaufen oder unser Geld doch lieber für spätere, schlechtere Zeiten behalten?“, fragt eine ältere Frau, die als Putzfrau arbeitet. Dass es schlecht wird, davon ist sie überzeugt.„Doch wie schlecht?“, fragt sie und versucht, sich sogleich selbst zu beruhigen. „Wir haben seit dem Zerfall der Sowjetunion schon so einige Brüche erlebt, haben sie überlebt, sind auf die Beine gekommen. Dann soll uns der Westen halt weiterknechten, wir werden es schaffen. Irgendwie.“ Das Phantom des bösen Westens, das das großartige Russland mit all seinen besonderen Werten, der Kultur, der wunderbaren Landschaft zerstören und in die Knie zwingen wolle, es lebt in vielen Köpfen der Menschen im Land. Die, die das hinterfragen, sind in diesen Tagen wie paralysiert. Geschockt von dem, was ihr Land einem anderen Land antut. Was es fremden und eigenen Bürgern antut. Dass es die Sicherheit eines jeden in der Welt bedroht.

„Ich sehe einfach keinen Sinn mehr darin, mich noch irgendwie anzustrengen. Ich will einfach auf meine Datscha ziehen und Tomaten züchten, Selbstversorger sein. Das Geld, das ich mit meinen Firmen gemacht habe, sollte dafür reichen“, sagt ein Moskauer Kleinunternehmer. Er macht sich Sorgen um seine drei Söhne, die in die Armee eingezogen werden könnten. Seine Frau habe dem mittleren geraten, bloß nicht zurückzukehren. In Ägypten unterrichte dieser derzeit Englisch für Kinder.

Bei einem Spaziergang durch Moskau zeigt sich eine angespannte Ruhe. Die Menschen schlendern durch die Parks, sie passen auf ihre Kinder auf den Spielplätzen auf, sie eilen zur Arbeit. Kaum einer will seinen Namen nennen, wenn er auf Fragen antwortet, auf Gespräche lassen sich Männer wie Frauen lediglich nach der Zusicherung von Anonymität ein. Sie wissen, sie müssten Position beziehen und sind sich nicht sicher, ob nun das, was sie sagen, sich auf ihr Leben, ihre Arbeit auswirken könnte. Zumal, wenn es in einer ausländischen Zeitung erscheint.

Die meisten wollen nichts sagen oder sind für Putin

„Sorgen? Was für Sorgen soll ich schon haben? Unser Präsident macht alles richtig, den Nazis in der Ukraine musste man es endlich mal zeigen“, sagt ein mittelalter Mann mit kurzem Haar im Elektronikgeschäft eines Einkaufszentrums. Der Name der Mall: „Europäisch“, direkt daneben der Europa-Platz. Der Mann schaut sich riesige Bildschirme an, vergleicht die Preise und wiederholt das Narrativ, das in Russland staatstragend ist: Die Ukraine sei kein eigener Staat, die Ukraine begehe „Genozid“ an der russischsprachigen Bevölkerung, in der Ukraine gebe es keinen Krieg. Die meisten laufen ohnehin sogleich weiter, sobald sie auf die Ereignisse in ihrem Nachbarland angesprochen werden. Oder sie sagen: „Ich bin für Putin, voll und ganz.“ Mehr erklären sie nicht. „Mit den Sanktionen schadet sich der Westen selbst. Sie sind ein Schuss ins eigene Knie“, heißt es in den staatlichen Nachrichten.

„Die Sanktionen betreffen natürlich auch mich. Wie soll ich denn überhaupt noch reisen, die Welt kennenlernen? Das habe ich immer gern gemacht, alles vorbei, auf Jahre hinaus wohl“, sagt ein 31-Jähriger am Kiewer Bahnhof. Hier fährt längst kein Zug mehr in die Ukraine. „Es wird dunkel in Russland“, sagt eine 40-Jährige am Telefon. Tagelang hätten ihr Mann und sie kaum geschlafen, hätten schließlich die Koffer gepackt, ihre beiden Mädchen ihre Lieblingsspielzeuge mitnehmen lassen – und sind raus aus dem Land. Erst mal zu Arbeitskollegen in Zentralasien. „Und dann mal schauen. Wir müssen erst mal zu uns kommen. Das, was hier passiert, ist nicht mehr das, was wir als unser Land bezeichnen können.“

HTK
5. März 2022 - 15.11

Was für ein Beruf.Polizist/Soldat zu sein,unter dem Kommando eines Verrückten.Schlagen und Schießen auf Brüder und Schwestern,auf Vater und Mutter. Armselige Helden gegen das Vaterland.