Damon Fields muss mit den Karten spielen, die das Leben ihm gegeben hat. Als Halbwaise und Sohn einer drogenabhängigen Teenagerin ist sein Deck zugegebenermaßen bescheiden. Aufgrund seines roten Haarschopfs wird er schon früh als „Copperhead“ – eine in den Appalachen heimische Schlangenart – bezeichnet. Wie aus „Damon“ „Demon“ wird, sollte selbsterklärend sein. Tatsächlich ist der Protagonist aber gar nicht so unartig, dafür hochintelligent und leider auch vorlaut sowie impulsiv.
Familiendramen
Als Demons Mutter plötzlich an einer Überdosis stirbt, gerät seine ohnehin chaotische Kindheit vollends aus den Fugen. Bislang durfte er einen Trailerpark in einer der ärmsten Gegenden der USA s/ein Zuhause nennen. Nun wird er von einer „Pflegefamilie“ zur nächsten geschickt und dabei als billige (und illegale) Arbeitskraft ausgebeutet. Irgendwann reicht es dem Waisen: Er haut ab. Auf einem gefährlichen Roadtrip zu dem Ort, an dem sein Vater zu Tode gekommen ist, erfährt Demon Glück im Unglück. Tatsächlich stößt er ausgerechnet dort auf familiäre Bande. Allerdings ist die Großmutter nicht bereit, den (vor-)pubertären Taugenichts aufzunehmen, geschweige denn zu erziehen. Nichtsdestotrotz lässt sie ihre Kontakte spielen und bringt ihren Enkel in einer – vergleichsweise – Traumfamilie unter. Der neue Pflegevater ist Football Coach und überaus wohlhabend. Obwohl der Coach fast nie zu Hause ist, um sich um seinen neuen Sohn und seine leibliche Tochter zu kümmern, hat Demon in seinen Augen endlich das große Los gezogen.
Dabei ist es gerade das Football-Spielen, das Demon in die Drogensucht und damit in eine Abwärtsspirale wirft. Aufgrund einer Knieverletzung, die er sich bei einem Spiel zuzieht, beginnt er Oxycontin (ein in den USA sehr verbreitetes und verschreibungspflichtiges Schmerzmittel) zu nehmen. Er nimmt das Oxy – obwohl er weiß, dass es eine Droge ist, die in seiner Region eine wahrliche Opioid-Krise hervorgerufen hat. Er nimmt es, obwohl er weiß, dass seine Mutter an einer Überdosis Oxy gestorben ist.
Bruchstelle
Genau an dieser Stelle kommt es zu einem Bruch. Zum einen kann man den gesellschaftskritischen Roman von Barbara Kingsolver in zwei Hälften teilen: in eine Storyline vor und nach dem ersten Konsum. Zum anderen fühlt sich das Verhalten des Protagonisten aufgrund seiner bisher beschriebenen und etablierten Persönlichkeit unorganisch an. Im Nachhinein muss man der Autorin, die selbst in Kentucky aufgewachsen ist, aber vielleicht eine gewisse Menschenkenntnis zuschreiben und einräumen, dass Individuen leider nun einmal sehr oft widersprüchlich handeln.
„Demon Copperhead“ ist eine moderne Adaption von Charles Dickens’ Klassiker „David Copperfield“. Wie Dickens’ Hauptfigur muss auch Demon gegen Widrigkeiten ankämpfen, die außerhalb seiner Kontrolle liegen. Kingsolver gelingt es meisterhaft, den historischen Kontext in eine moderne Szenerie zu übertragen, wodurch die Geschichte nicht nur relevant, sondern auch erschütternd aktuell wird. Im Vordergrund stehen Themenkomplexe wie Armut, Sucht, strukturelle Ungerechtigkeit, Kriminalität und familiäre Konflikte. Beim Anhören kommt in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage des Determinismus nach Émile Zola auf, nämlich inwiefern Menschen „Opfer“ ihrer biologischen und sozialen Bedingungen sind. Und inwiefern sie äußere wie innere Veranlagungen oder Verhaltensmuster durchbrechen können.
Authentisch dargeboten wird Demons Lebens- und Leidensweg in der Hörbuchadaptation von Fabian Busch. Mit seiner jugendlichen Stimme und frechen Art hört man dem deutschen Schauspieler sehr gerne zu und weiß bald nicht mehr, wo Fabian aufhört und Demon anfängt. Text und Vertonung ergänzen sich nahezu perfekt, sodass das Hörerlebnis von über 18 Stunden zu keinem Zeitpunkt an Spannung einbüßen muss.
Zu den Personen
Barbara Kingsolver (Autorin)
Barbara Kingsolver wurde 1955 in Annapolis (USA) geboren. Ihre Werke wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Pen/Faulkner Award, dem Orange Prize for Fiction, dem Women’s Prize for Fiction und dem Pulitzer-Preis. Ursprünglich aus Kentucky stammend, lebt Kingsolver heute mit ihrer Familie auf einer Farm in Virginia.
Fabian Busch (Sprecher)
Fabian Busch wurde 1975 in Ost-Berlin geboren. Der deutsche Schauspieler wurde vorrangig durch seine Rollen in Filmen wie „Liegen lernen“, „Er ist wieder da“ und „Die Wannseekonferenz“ bekannt. Auch als Hörbuchinterpret ist Busch aktiv.
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können