Vor einigen Tagen wurde in den Vereinigten Staaten ein Mensch erschossen, dessen Namen ich nicht kannte. Ich gebe zu: Vor seiner Ermordung und der gesellschaftlichen Meinungsexplosion, die ihr folgte, hatte ich nichts von Charlie Kirk gehört. Nun stelle ich fest, dass er auf den sozialen Netzwerken eine Menge von Anhängern hatte, und das wohl auch in Luxemburg. Diese schienen ihn als eine Art „Brückenbauer“ zu sehen, weil er unsägliche und üble eigene Meinungen mit denen anders Denkender konfrontierte – und bei einer solchen Meinungskonfrontation auf einem Universitätscampus erschossen wurde.

Einen Menschen zu erschießen, ist immer inakzeptabel, egal um wen es sich handelt und was den Täter inspiriert haben mag. Aber: Charlie Kirk hatte wohl lautstark die Auffassung vertreten, dass das absolute und gottgegebene (sic!) Recht auf das Tragen von Schusswaffen wichtiger und größer ist als ein paar Tote durch solche Waffen. Hätte der Attentäter keine solche Waffe besessen, würde Charlie Kirk noch leben. Seine Witwe müsste nicht obskure Warnungen vor etwas Enormen aussprechen, was die „evil doers“ losgetreten hätten. Doch wofür stand er eigentlich?
Meinungsfreiheit oder Hassrede?
Kirk wird in verschiedenen Kreisen als Verteidiger der Meinungsfreiheit verklärt – ein konservativer Aktivist und Influencer halt. Ganz so harmlos war er wohl dann doch nicht.
So fragte er sich, wenn er einen schwarzen Flugzeugpiloten erblickte, ob dieser wohl sein Handwerk verstehe, und sprach schwarzen Frauen ab, über ein funktionierendes Gehirn zu verfügen. So etwas gilt in den USA als Meinungsfreiheit. Bei uns ist es strafbarer Rassismus.
In seiner „Charlie Kirk Show“ am 1. April 2024 sagte er: „We need to have a Nuremberg-style trial for every gender-affirming clinic doctor. We need it immediately.“ Mit anderen Worten: Ärzte, die Geschlechtsumwandlungen praktizieren, gehören wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, oder Kriegsverbrechen verurteilt. Das ist Aufruf zum Hass, wenn nicht zum Mord – nicht konservative „Meinung“.
Charlie Kirk war ein treuer Anhänger von Donald Trump, und wird von diesem nun als „Freund“ bezeichnet. Seine Meinungen und Aussagen sind in den Vereinigten Staaten des Jahres 2025 nicht nur an der Tagesordnung – sie werden hingenommen. Sie sind dort wohl mittlerweile (wieder) so normal, dass sie eben nicht zu einem gesellschaftlichen Aufschrei (mehr) führen, der laut genug wäre, damit Menschen wie ich realisieren, dass es Charlie Kirk und seinesgleichen gibt.
US-Vizepräsident J.D. Vance fabulierte bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in Europa, bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz, darüber, dass in Deutschland und in Europa die Meinungsfreiheit in Gefahr sei. Was Leute wie er und sein Chef wollen, was Charlie Kirk wollte, ist eben die völlige Freiheit, jede mögliche Unsäglichkeit vom Stapel lassen zu dürfen und dies als Teil einer legitimen öffentlichen Debatte zu überhöhen. Ich will als Jurist anmerken: Vieles von dem, was die Charlie Kirks dieser Welt so ablassen, wäre als Anstiftung zu Hass oder einer Straftat in Europa eben nicht von der Meinungsfreiheit abgedeckt – und das ist auch gut so. Genau deswegen werden in Europa ja auch regelmäßig Rechtsextreme von Gerichten verurteilt.
Rechtsextreme haben auch ein Problem mit Abtreibungen. Charlie Kirk wurde in der Debattenshow „Surrounded“ von einer Studentin gefragt, ob, wenn er eine zehnjährige Tochter hätte, die Opfer einer Vergewaltigung geworden war, diese ein so gezeugtes Kind zur Welt bringen sollte. Seine Antwort lautete: „Ja, das Kind wird zur Welt gebracht.“ Eine extreme Position, die sich aus dem Grundsatz ergibt, dass jedes Leben schützenswert ist. Die allerdings völlig außer Acht lässt, was solchermaßen mit dem Leben von – in diesem Fall minderjährigen – Vergewaltigungsopfern passiert, die dazu genötigt werden, eine Schwangerschaft durchmachen zu müssen, die sie jeden Tag an das furchtbare Erlebnis eines abscheulichen Verbrechens erinnert. Wegen genau solcher menschlichen Abwägungen wurde eine verdiente Juraprofessorin in Deutschland von konservativen Kräften als Verfassungsrichterin verhindert.
Ein Recht ist kein Zwang
Nun haben wir in Luxemburg eine Debatte darüber, ob der Anspruch auf einen Schwangerschaftsabbruch nach gesetzlichen Regeln als Recht oder Freiheit in die Verfassung eingeschrieben werden soll. An dieser Debatte beteiligte sich öffentlich auch das Oberhaupt der katholischen Kirche. Der Kardinal sagte auf Radio RTL, er sähe eine solche Verfassungsänderung als Meinungszwang – Abtreibungsgegnern würde dann eine Meinung aufgezwungen, die sie nicht teilen, und ein solcher Zwang würde die Abtreibungsgegner ins rechtsextreme Lager treiben. Eine katholische Minderheit würde sich in ihrem Staat „nicht mehr wohlfühlen“.
Ein Recht ist kein Zwang, eine Möglichkeit ist keine Notwendigkeit, und eigentlich sollte niemand rechtsextrem wählen, weil die Verfassung etwas zulässt, auf das er oder sie selbst keinen Anspruch erheben will. Es gibt auch ein Verfassungsrecht dazu, sich überall im Land niederlassen zu können – dieses Recht zwingt aber niemanden dazu, umzuziehen.
Wir sehen, dass nach einer langen Zeit gesellschaftlicher Liberalisierung, die von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen wurde, nun hart konservative Positionen wieder kämpferisch artikuliert werden. Das führt ungebremst unweigerlich in einen neuen Kulturkampf. Es wäre an der Zeit, zu deeskalieren. Dazu gehört an allererster Stelle, dass in der gesellschaftlichen Debatte die Anfeindungen und die Bereitschaft abnehmen, einer bestimmten Position notfalls auch mit Drohungen zur Geltung zu verhelfen. In Polen nehmen Mediziner keine Schwangerschaftsabbrüche mehr vor, weil ihre Kinder in der Schule bedroht werden. Um es mit den Worten des Kardinals zu sagen, den ich sonst nicht weiter zitieren will: „Wou si mer dann?“
Wer etwas für die Gesellschaft tun will, soll nicht an der radikalen Aufgeregtheit teilnehmen, die so viele Menschen erfasst, wenn sie den Eindruck haben, sich sofort und dringend gegen etwas wehren zu müssen, was nun wirklich nicht sein darf – ihrer Meinung nach. Verständnis für Überzeugungen anderer ist in einer Demokratie notwendig, denn die funktioniert mit Mehrheiten, nicht mit der Aufstapelung von Einzelmeinungen.
Es gibt auch ein Recht der gesellschaftlichen Mehrheit, nicht ständig von lauthals herausgeschrieenen Minderheitsmeinungen bedrängt zu werden. Demokratie funktioniert nur, wenn niemand in ihr Angst haben muss und bedroht wird. Auch nicht die Mehrheit.
De Maart
Genau wie Ihnen Herr Engel, war auch mit der Name des Faschisten Charlie Kirk bis zum Attentat völlig unbekannt, seine menschenverachtenden Aussagen sind allerdings mehr als erschreckend, genau, wie der Umstand, dass dieser Mann von vielen Menschen, auch in Luxemburg, verehrt, ja quasi als Märtyrer betrachtet wird.
Ihre Aufforderung zur Deeskalation passt absolut, demnach Respekt und Dank für Ihren Beitrag.