Dienstag28. Oktober 2025

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KinoDavid Lynch – Ein Karriererückblick auf das Schaffen des Kultregisseurs

Kino / David Lynch – Ein Karriererückblick auf das Schaffen des Kultregisseurs
Silencio … Foto: dpa/efe/Kiko Huesca

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Es gibt wenige Künstler, deren Name allein zu einer festen Kategorie der Wahrnehmung werden – mit Begriffen wie „Lynchismus“, „Lynchland“ oder „Lynchville“ werden auf spezifische Filmwelten verwiesen, die auf den kreativen Geist ihres Schöpfers hindeuten: David Lynch. Der US-amerikanische Filmkünstler ist nun im Alter von 78 Jahren gestorben. Er hinterlässt ein filmisches Werk, dessen internationale Begeisterung ungebrochen ist.

David Lynch begann seine Karriere in den bildenden Künsten. Er versuchte sich zunächst als Maler, ging dann erste Kurzfilmprojekte an und absolvierte ein Filmstudium am American Cinema Institute in Los Angeles. Lynchs Welterfolg kam sukzessive zunächst mit „Eraserhead“ (1977), dann „The Elephant Man“ (1980). Man wusste gleich, dass mit Lynch ein neuer künftiger Star des amerikanischen Films gefunden war. Namhafte Regisseure wie Francis Ford Coppola oder George Lucas bekundeten ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem eigenwilligen Talent. Doch es kam anders: Als Raffaella De Laurentis die Rechte am Roman „Dune“ von Frank Herbert erwarb, engagierte sie David Lynch als Regisseur. Der Film vermochte zwar mit den von Lynch bekannten grotesk-betörenden Bildern aufwarten, die hohe Informationsdichte der Vorlage konnte er aber nicht sinnvoll in das filmische Medium überführen.

„Dune“ scheiterte 1984 an den Kinokassen, er spielte gerade mal die Hälfte seiner Kosten ein. Obwohl der Film über die Jahre hinweg seinen Kultstatus innerhalb von Lynchs Fangemeinde gefunden hat, wollte dieser ihn selbst zeitlebens lieber vergessen. Besonders die Werke „The Elephant Man“ und „Dune“ beachten die Prinzipien klassischer Dramaturgie, die für Lynch im Allgemeinen eher ungewohnt erscheinen. Der Misserfolg von „Dune“ beendete aber Lynchs klassische Schaffensphase, eine Wendung, die maßgeblich dazu beitrug, dass er einhellig und nachdrücklich als Filmemacher der Postmoderne in die Geschichte eingeht.

Surrealismus

Mit den Achtziger- und Neunzigerjahren erlebt das amerikanische Kino mit einer neuen Generation von Filmschaffenden eine Erneuerungsphase. Es werden Künstler bedeutsam, die sich einer Erzählweise bedienen, die als postmodern gilt. David Lynch ist womöglich die zentralste Figur dieses Kunstprinzips und gerade die Neunzigerjahre sollten zur Hochphase seines kreativen Schaffens werden.

Als sein vielleicht emblematischster Film aus dieser Zeit gilt „Blue Velvet“ (1985). Die Geschichte spielt in einer scheinbar idyllischen Kleinstadt in den USA und beginnt, als der junge Jeffrey Beaumont (Kyle MacLachlan) nach dem Unfall seines Vaters in die Stadt zurückkehrt. Während er durch die Nachbarschaft streift, entdeckt er das abgeschnittene Stück eines menschlichen Ohrs – von da an begibt er sich auf eine dunkle Reise, die ihn in eine verstörende Welt zieht. Jeffrey beginnt, Nachforschungen anzustellen, und gerät in einen Strudel aus Gewalt, Drogen und sexueller Obsession. Er trifft auf die geheimnisvolle Sängerin Dorothy Vallens (Isabella Rossellini) und den psychopathischen Gangster Frank Booth (Dennis Hopper).

Der Film erkundet Themen wie die Dualität von Gut und Böse, die Abgründe der menschlichen Psyche – doch hier ist nicht die eigentliche kriminalistische Handlung so entscheidend, sondern die Art des Erzählens: Es ist der Umstand, wie das Erzählte präsentiert wird, das Verständnisprobleme und Fragen erzeugt, nicht eine per se generelle Unverständlichkeit der Geschichte. Es ist eines der zentralen Erkennungsmomente Lynchs: Die verstörende und alptraumhafte Geschichte bekundet augenscheinlich eine große Nähe zum Film noir, aber mehr noch zum Surrealismus, was die Filmerfahrung ebenso anregend wie frustrierend macht.

Bezeichnenderweise lässt sich „Blue Velvet“, wie nahezu alle von Lynchs Filmen, keinen bestimmten Genres zuzuordnen, da sie auf authentische Weise eigene Welten erschaffen, die gerne mit den oben angeführten Begriffen bezeichnet werden. Das macht bereits die Anfangsszene von „Blue Velvet“ klar: Die Präsentation der Stadt Lumberton mit dem überfreundlich winkenden Feuerwehrmann oder den betont ins Bild gesetzten Tulpen ist an Künstlichkeit nicht mehr zu überbieten und zeugt von Lynchs Willen, einen grotesken Abgesang auf den amerikanischen Traum zu betreiben.

Das postmoderne Erzählen

This whole world’s wild at heart and weird on top

Lula Fortune, Protagonistin von „Wild at Heart“ (1990)

Viel leichtherziger präsentierte sich sein nächster Film, „Wild at Heart“ (1990), der auf dem gleichnamigen Roman von Barry Gifford basiert. Die Geschichte folgt dem jungen Liebespaar Sailor Ripley (Nicolas Cage) und Lula Fortune (Laura Dern), die auf der Flucht vor Lulas überdominanter und gewalttätiger Mutter sind. Nachdem Sailor aus dem Gefängnis entlassen wird, beginnt das verwegene Paar eine Reise durch die USA, die von Leidenschaft, Gefahr und einer Reihe skurriler Begegnungen geprägt ist. Während ihrer Reise müssen sie sich nicht nur mit Lulas Mutter und deren Handlangern auseinandersetzen, sondern auch mit verschiedenen Herausforderungen, die ihre Liebe auf die Probe stellen.

Auch hier ist Lynchs einzigartiger Stil deutlich spürbar: Nicht so sehr geht es um die handlungstragende Kombination von Road Movie, Thriller und Märchen, sondern um das Eintauchen in ein intertextuelles Verweissystem, das den Geist der Postmoderne vielleicht stärker atmet als irgendein anderer Film von Lynch. Sailors und Lulas Durchreise ist ein einziges Spiel mit intertextuellen Bezügen, mit Versatzstücken aus anderen Filmen und Genres: Da gibt es die Fee aus „The Wizard of Oz“ (1939), die Anspielungen auf Elvis oder noch die Jacke aus Schlangenleder von Marlon Brando aus „The Fugitive Kind“ (1960). „Wild at Heart“ ist nicht nur selbstreflexiv – da er stark über die Funktionsweise konventioneller Filmdramaturgie nachdenkt –, sondern auch hochgradig selbstreferentiell, indem er keinerlei Bezüge mehr zu einer außerfilmischen Wirklichkeit enthält und jeder Bezug primär auf einen Film oder die Popkultur im Allgemeinen verweist.

In a town like Twin Peaks, no one is innocent

Anfang der Neunziger schuf Lynch eine der bekanntesten Filmserien, deren Kultstatus offenkundig ist: „Twin Peaks“ (1990-1991). Die Serie beginnt mit der Entdeckung der wohl berühmtesten Leiche der Fernsehgeschichte, Laura Palmer, die den FBI-Agenten Cooper (Kyle MacLachlan) auf den Plan ruft, um das Mordverbrechen aufzuklären. Was als gewohnte „whodunit“-Krimigeschichte beginnt, verästelt sich immer mehr zu einer feinsinnigen Gesellschaftsanalyse, die auch kluge Reflexionen über die Konventionen seriellen Erzählens anstellt. Die Serie schrieb mit den unzähligen Normbrüchen, Verweigerungen und Überschreitungen Fernsehgeschichte, ihre Wirkungsmacht war überaus groß – auch die luxemburgische Krimiserie „Capitani“ (2019) bezieht mit ihrem geschlossenen Dorfkosmos oder noch dem Doppelgänger-Motiv deutlich Anleihen bei Lynch.

Eigene Welten

„Lost Highway“ (1997) und „Mulholland Drive“ (2001) bewegten sich wieder mehr in der Düsternis der dunklen Triebe des Menschen, die er zuvor in „Blue Velvet“ erforscht hatte. Daneben wirkt „The Straight Story“ (1999) um einen älteren Mann Alvin Straight (Richard Farnsworth), der von Iowa nach Wisconsin reist, um seinen kranken Bruder Lyle (Harry Dean Stanton) zu besuchen, zunächst ungewöhnlich für den Kultregisseur. Da Alvin nicht mehr in der Lage ist, Auto zu fahren, macht er sich auf einem Rasenmäher auf die Reise, den er zu einem fahrbaren Untersatz umgebaut hat. Die Reise ist lang und beschwerlich und während er durch die Landschaft fährt, trifft Alvin auf verschiedene Menschen, die ihm helfen oder ihn inspirieren.

Der Film verbindet nahezu meditativ Themen wie Familie, Versöhnung, das Altern und die Suche nach Frieden. In „The Straight Story“ besticht Lynch gerade durch seine lineare und ruhige Erzählweise, die eindringliche Besinnung auf tiefmenschliche Bande sowie die Bedeutung von Vergebung. Sein letzter Film, „Inland Empire“ (2009), konnte an die surrealen Bildwelten von einst nicht mehr anknüpfen – und doch: Mit nur zehn Filmen hat David Lynch ein Erbe hinterlassen, das an Singularität, Wirksamkeit und Emblematik wohl nie nachlassen wird.