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StandpunktDas Trump-Dilemma der NATO: Eine gefährliche Wende in der globalen Diplomatie

Standpunkt / Das Trump-Dilemma der NATO: Eine gefährliche Wende in der globalen Diplomatie
Alles andere als ein „Winning Team“: US-Präsident Donald Trump (M.) mit seinem Verteidigungsminister Pete Hegseth (l.) und Außenminister Marco Rubio beim NATO-Gipfel in Den Haag Foto: Robin van Lonkhuijsen/ANP/AFP/Netherlands OUT

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Der gerade zu Ende gegangene NATO-Gipfel in Den Haag fand zu einer Zeit außerordentlicher Spannungen statt. Seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus hat Donald Trump Europa wiederholt vorgeworfen, von den Verteidigungsausgaben der USA zu profitieren. Das lässt ernsthafte Befürchtungen im Hinblick auf den Zustand des atlantischen Bündnisses aufkommen. Trumps Entscheidung, iranische Atomanlagen nur drei Tage vor dem Gipfel zu bombardieren – in Abstimmung mit Israel, aber ohne vorher die NATO-Verbündeten zu informieren – hat diese Befürchtungen nur noch verstärkt.

Trumps Luftschläge gegen den Iran weckten Erinnerungen an die Interventionen in Afghanistan und im Irak nach dem 11. September 2001, als die NATO ihr Mandat der Abwehr konventioneller militärischer Bedrohungen auf Terrorismusbekämpfung ausweitete. Während das Bündnis den von den USA angeführten Krieg in Afghanistan unterstützte, war die Invasion des Irak weitaus umstrittener, da es keine überzeugenden Beweise dafür gab, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügte, und auch kein ausdrückliches Mandat des UN-Sicherheitsrats vorlag. Die daraus resultierende Spaltung veranlasste den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, eine umstrittene Unterscheidung zwischen „altem Europa“ und „neuem Europa“ zu treffen.

Die aktuelle Situation präsentiert sich jedoch noch beunruhigender. Anders als im Jahr 2003, als die Vereinigten Staaten zumindest den Versuch unternahmen, ihre Verbündeten zu konsultieren, lässt Trump sie nun im Unklaren. Er lieferte keine glaubwürdigen Begründungen für einen Angriff auf den Iran. Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Rafael Grossi, widersprach Trumps Behauptungen von einer unmittelbaren nuklearen Bedrohung und hatte nur wenige Tage zuvor erklärt, dass keine Beweise für „systematische“ iranische Bemühungen zur Entwicklung von Atomwaffen vorlägen.

Zum Beobachter degradiert

Erstaunlicherweise wurden viele NATO-Führungspersonen erst nach dem Angriff über diesen Schritt informiert. Mit dieser Ausgrenzung der NATO hat Trump das Bündnis praktisch zu einem passiven Beobachter degradiert, die Grundprinzipien des Bündnisses untergraben und eine gefährliche Wende in der globalen Diplomatie eingeleitet. Man stelle sich vor, der Iran hätte mit Vergeltungsmaßnahmen gegen US-Stützpunkte in der Türkei reagiert und damit mein Land in einen Krieg hineingezogen. Und falls es zu einem Atomunfall und einer daraus resultierenden Gefährdung der türkischen Zivilbevölkerung gekommen wäre: Wer hätte die Verantwortung übernommen?

Obwohl Israel und der Iran Trumps Ankündigung eines Waffenstillstands akzeptierten, wurden die NATO-Mitglieder ohne Vorwarnung in eine gefährliche Situation gebracht. Besonders besorgniserregend war das für die Türkei, die an den Iran grenzt und damit höchst anfällig für die Folgen einer Eskalation in der Region ist.

Trumps Verhalten hat die kollektive Sicherheit der NATO gefährdet. Schließlich gibt es keine Garantie dafür, dass Israel den Waffenstillstand nicht brechen wird, wie im März in Gaza. Die NATO-Mitglieder stehen nun vor einer grundlegenden Frage: Kann das Bündnis überleben, wenn einzelne Mitgliedstaaten einseitige Militäraktionen starten, die andere in Gefahr bringen?

Die USA mögen legitime Beweise dafür haben, dass der Iran gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen hat oder kurz davor stand. Aber in diesem Fall wäre es richtig gewesen, die Beweise der IAEO vorzulegen und eine koordinierte Reaktion durch den UN-Sicherheitsrat anzustreben. Die USA könnten alternativ auch davon ausgegangen sein, der Iran würde keine Vergeltung üben, weswegen sie den Angriff womöglich als Mittel betrachtet haben, die Iraner zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen. Allerdings hätten die Gespräche zwischen den beiden Ländern ohnehin wieder aufgenommen werden sollen, bevor sie durch die Intervention Israels zum Scheitern gebracht wurden. Eine dritte Erklärung ist zynischer, könnte aber zutreffen: Der Angriff sollte von Israels brutalem Krieg in Gaza ablenken.

Die Rolle von Erdogan und Co.

Egal welche Erklärung auch zutrifft, Trumps Vorgehen wird möglicherweise weitreichende Folgen für die NATO haben, und die Zukunft des Bündnisses könnte davon abhängen, wie seine Führung darauf reagiert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan muss beispielsweise klar darlegen, welche Risiken die regionale Instabilität für die kollektive Verteidigungsfähigkeit der NATO birgt – insbesondere angesichts der Nähe der Türkei zum Iran. Als führende Politiker von Ländern mit ständigen Sitzen im UN-Sicherheitsrat könnten der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer eine wichtige Rolle bei der Stärkung der Koordinierung zwischen der NATO und den Vereinten Nationen spielen.

In ähnlicher Weise würde dem deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz eine maßgebliche Rolle bei der Gestaltung der Beziehungen zwischen NATO und EU zukommen, während der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Store und der finnische Präsident Alexander Stubb dazu beitragen könnten, die Diplomatie wiederzubeleben und den moralischen Kompass des Bündnisses neu auszurichten. Letztendlich wird der Erfolg von NATO-Generalsekretär Mark Rutte weitgehend vom Engagement der Staats- und Regierungschefs für eine rationale und rechtsstaatliche Sicherheitspolitik abhängen.

Warum sich die NATO an einem Scheideweg befindet

Auch über die unmittelbare Iran-Krise hinaus befindet sich die NATO an einem Scheideweg. Der Gipfel in Den Haag könnte sich letztlich als der Moment erweisen, an dem darüber entschieden wurde, ob das Bündnis auf Grundlage gemeinsamer Anliegen und der Beiträge seiner Mitglieder die mächtigste Verteidigungsorganisation der Welt bleiben kann, oder ob es dazu bestimmt ist, zu einem bloßen Instrument der strategischen Interessen der USA und Israels zu werden.

Wäre ich heute im Amt, hätte ich den Gipfel genutzt, um auf die zunehmende Aggression Israels und die Sicherheitsrisiken für die Türkei als einziges NATO-Mitglied in der Region hinzuweisen. Ich hätte Trump gefragt, ob die Nato-Verbündeten in seiner „America First“-Hierarchie nun hinter dem Nicht-Mitglied Israel stehen. Jeder Staatschef, der bereit ist, diese Frage zu stellen, würde damit eine prinzipielle Haltung gegen rücksichtsloses militärisches Abenteurertum einnehmen – und könnte damit vielleicht sogar zur Rettung des Bündnisses beitragen.

Vor dem Irakkrieg wurden der französische Präsident Jacques Chirac und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder als Vertreter des „alten Europas“ abqualifiziert, weil sie sich gegen eine Intervention der USA ausgesprochen hatten. Wären ihre Warnungen beachtet worden, hätten die katastrophalen Kosten des Krieges vermieden werden können, und der regionale Einfluss des Iran wäre wahrscheinlich nicht so erheblich wie dies heute der Fall ist.

Die Geschichte zeigt, dass Kriege, die vor der Ausschöpfung sämtlicher diplomatischer Mittel begonnen werden, für alle Beteiligten ruinöse Auswirkungen haben. Russlands Fehleinschätzungen in der Ukraine sind eine düstere Mahnung, dass es zwar einfach ist, einen Krieg zu beginnen, aber viel schwieriger, ihn zu beenden.

Heute, da Trumps Aktivitäten die mühsam errungene internationale Rechtsordnung weiter auszuhöhlen drohen, gilt es für die europäischen Staats- und Regierungschefs, Gegenwehr zu leisten. Gelingt es der NATO nicht, die Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten, läuft sie Gefahr, ihre Rolle als Eckpfeiler der globalen Sicherheit zu verlieren. Das Schicksal des Bündnisses – und die Zukunft der globalen Stabilität – wird davon abhängen, ob die NATO-Führungspersonen auf Frieden statt auf Konfrontation setzen.

Zum Autor

Ahmet Davutoglu war von 2014 bis 2016 türkischer Ministerpräsident und von 2009 bis 2014 türkischer Außenminister.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2025.

www.project-syndicate.org

Luxmann
3. Juli 2025 - 10.04

Interessanter beitrag eines tuerkischen politikers.
Zu sehen in der gesamten problematik einer regelrechten "derive" der nato welche vom nordatlantik buendnis nun zum handlanger Israels wird und sich auch noch gern in ostasien einmischen wuerde,wenn man trump,rutte und kumpanen nur laesst.