Freitag24. Oktober 2025

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SpanienDas Schweigen der Franco-Opfer hat ein Ende

Spanien / Das Schweigen der Franco-Opfer hat ein Ende
Auf einem Flohmarkt in Madrid werden Karten mit dem Konterfei des Diktators angeboten Foto: AFP/Thomas Coex

Fast ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Diktatur des rechtsgerichteten Generals Francisco Franco (1939-1975) brechen Frauen in Spanien ihr Schweigen über eines der dunkelsten Kapitel des Regimes: ein staatlich-kirchliches Netz von Heimen, betrieben von katholischen Orden, in denen Zehntausende von Frauen interniert, misshandelt und zu „besseren Christen” umerzogen werden sollten.

Offiziell sollten diese Einrichtungen des franquistischen Fürsorgewerks Patronato de Protección a la Mujer (Schutzpatronat für die Frau) „moralisch gefährdete“ Mädchen betreuen und auf den „rechten Weg“ zurückführen. In Wahrheit waren diese Heime geschlossene Zwangsanstalten, geführt von katholischen Ordensgemeinschaften, überwacht von Francos Justizministerium und ideologisch gestützt auf die Moral des Nationalkatholizismus.

„Es war ein Gefängnissystem“, berichtet die 73 Jahre alte Mariona Roca Tort aus Barcelona. „Zwanzig von uns schliefen in einem Raum und wir durften nicht miteinander reden. Wir wurden um sechs Uhr mit Gebeten geweckt; wir arbeiteten ohne Lohn in einer Nähwerkstatt, die Kleidung für große Kaufhäuser produzierte“, sagte sie der Zeitung El Periódico.

Mariona Roca war 17 Jahre alt, als sie 1969 von der Polizei in ein Heim des Nonnenordens der Adoratrices gebracht wurde. Ihre Eltern hatten sie als „aufsässig“ gemeldet, weil sie sich der Studentengewerkschaft angeschlossen und an Protestaktionen beteiligt hatte. Als sie aus der „Besserungsanstalt“ floh, wurde sie zurückgebracht – und landete in einer psychiatrischen Klinik, in der sie mit Elektroschocks misshandelt wurde.

„Über all das zu sprechen, war schwer“, sagt Roca heute. „Jetzt tue ich es für all die Frauen, die dasselbe durchmachen mussten wie ich.“ Ihre Leidensgeschichte erzählt sie deshalb auch im preisgekrönten Kurzfilm „Els buits“ (Die Lücken). Darin geht es nicht zuletzt um die Erinnerungs- und Lebenslücken, die die qualvollen Jahre im katholischen Erziehungsheim hinterlassen haben. „Ich habe drei Jahre meines Lebens verloren“, sagt sie.

So wie Mariona Roca wurden damals Tausende von „gefallenen“ Mädchen in den Erziehungsanstalten eingesperrt. Vor allem junge Frauen, die nicht in das Ideal der „guten Ehefrau oder Christin“ passten, galten im ultrakonservativen Spanien Francos als „gefallen“ oder „vom Weg abgekommen“.

Sie rieben unser Geschlechtsteil mit Brennnesseln ein, wenn wir ins Bett machten

María, ehemaliges Opfer

Damit waren nicht nur Prostituierte gemeint, sondern jede Frau, die sich der kirchlich-patriarchalen Moral widersetzte: solche, die ohne Ehemann schwanger wurden, die Hosen trugen, rauchten oder allein ausgingen, die sich politisch engagierten und rebellisch waren. Auch Frauen und Mädchen, die sexuell missbraucht worden waren, galten als moralisch „befleckt“ und wurden zur Umerziehung eingewiesen, während die Täter meist straflos ausgingen.

Hinter dieser fragwürdigen Logik stand das Bild der sündigen Frau, die nur durch Gehorsam und Arbeit geläutert werden könne. Die „gefallene” Frau befreien und erlösen – so lautete das offiziell propagierte Ziel der Nonnenheime. Doch in Wirklichkeit wurden die Insassinnen gedemütigt und misshandelt. Viele der Heimbewohnerinnen wurden zur Arbeit in Wäschereien und Nähstuben verpflichtet – unbezahlt und oft bis zur Erschöpfung.

Organisierter Babyraub von Nonnen und Priestern

Gut 50 Jahre später gehen immer mehr Frauen, die den Horror überlebten, mit ihren erschütternden Berichten an die Öffentlichkeit. Sie heißen Pilar, Consuelo, Elena, Paca oder Micaela. „Das war Sadismus“, sagen sie. „Es war eine Bestialität des Franquismus. Wir waren eingesperrt, ohne Grund, ohne Zukunft.“

Sie wurden mit grausamen Maßnahmen bestraft: „Sie rieben unser Geschlechtsteil mit Brennnesseln ein, wenn wir ins Bett machten“, erinnert sich eine Frau namens María. Andere mussten auf Knien Böden schrubben, tagelang hungern oder eiskalte Duschen über sich ergehen lassen. „Ich sah Kinder sterben. Und das Essen hätten nicht einmal Schweine gefressen“, berichtete eine Frau.

In vielen dieser Einrichtungen wurden den Müttern nach der Geburt ihre Babys weggenommen. Warum? Weil die Kinder dem „unmoralischen“ Einfluss entzogen und in „guten katholischen“ Familien aufgezogen werden sollten. Den Müttern sagte man oftmals, das Baby sei bei der Geburt gestorben. Tatsächlich wurden die „moralisch gefährdeten“ Babys von einem kriminellen Ring aus Nonnen, Priestern und Ärzten an linientreue Adoptiveltern verkauft.

Die meisten dieser gestohlenen Kinder konnten von ihren Müttern nicht mehr wiedergefunden werden. Es war ein System des organisierten Babyraubs, das auch nach dem Tod Francos im November 1975 bis in die frühen 1980er Jahre fortlebte. Der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón, der es vor zwei Jahrzehnten wagte, wegen der „systematischen Entführung von Kindern“ unter Franco zu ermitteln, sprach von mindestens 30.000 solcher Fälle.

Keine Vergebung, sondern Wiedergutmachung

Weit kam der unbequeme Ermittler damals nicht. Nachdem er auch noch durch die Aufdeckung von Korruptionsskandalen in der konservativen Volkspartei die Mächtigen verärgert hatte, wurde er aus dem Amt gedrängt und mit einem Berufsverbot kaltgestellt. Damit kam auch die juristische Aufarbeitung des Babyraubs und anderer Menschenrechtsverbrechen unter Diktator Franco weitgehend zum Erliegen.

Vor Kurzem versuchte der Dachverband der katholischen Ordensgemeinschaften (Confer), die wachsende Empörung über die unselige Rolle der Kirche in der Franco-Zeit durch eine öffentliche Entschuldigung zu bremsen. „Wir erkennen an, dass viele junge Frauen in unseren Einrichtungen zu Unrecht eingesperrt und gedemütigt wurden. Wir bitten um Vergebung. Wir wissen, dass das Leid nicht mit Worten wiedergutgemacht werden kann“, sagte Confer-Präsident Jesús Díaz Sariego in Madrid.

Doch die öffentliche Abbitte verlief anders als geplant: Im Saal erhoben sich Dutzende Überlebende der Misshandlungen und hielten Plakate mit der Aufschrift „No!“ in die Höhe. Sie riefen: „Weder Vergessen noch Vergeben!“

Auch Mariona Roca, die mehr als ein halbes Jahrhundert später ihre Horrorzeit im Nonnenheim nicht vergessen hat, reicht die reumütige Erklärung der Ordensgemeinschaften nicht: „Ich will nicht, dass sie sich durch eine Entschuldigung reinwaschen. Vergebung kann es erst nach einem Prozess der Wahrheit und Wiedergutmachung geben. Wir wissen bis heute nicht einmal, wie viele Frauen eingesperrt waren – es heißt, bis zu 41.000 pro Jahr.“