Wenige Tage vor dem Wahlsonntag hatte eine Jahrhundertflut Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) die medienwirksame Inszenierung als Krisenmanager und dem grünen Koalitionspartner ein Comeback seines Leibthemas Klimaschutz beschert. Doch beide Regierungsparteien wurden gestern dramatisch abgestraft. Die ÖVP stürzte um mehr als elf Prozentpunkte auf 26,2 Prozent ab, die Grünen um fünf Prozentpunkte auf 8,8 Prozent, womit die türkis-grüne Regierung nach fünf Jahren Geschichte ist.
Wieder einmal nicht von der Schwäche der Regierungsparteien profitieren konnten die Sozialdemokraten. Sie fuhren mit ihrem vor 15 Monaten noch als großer Hoffnungsträger gekürten Spitzenkandidaten Andreas Babler das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein: 21 Prozent (minus 0,2) reichten nur noch für Platz drei.
FPÖ erstmals auf Platz eins
Damit spielt Babler im nun folgenden Match um das Kanzleramt nicht mehr mit. Dieses fordert nun einer, der nicht nur in Österreich als rechtspopulistischer Gottseibeiuns gilt. FPÖ-Chef Herbert Kickl, der seinen Anspruch freilich mit einem gewichtigen Argument untermauert. Seine Partei erreichte mit einem Sprung von 16,3 auf 29,1 Prozent klar Platz eins. Die vor fünf Jahren unter dem Eindruck des Ibiza-Skandals um ihren damaligen Vorsitzenden und Vizekanzler Heinz-Christian Strache abgestrafte Partei schaffte mit ihrem rechtsrechten Kurs in der Ausländerpolitik und einer ebenso radikalen Ablehnung der Corona-Schutzmaßnahmen ein fulminantes Comeback.
Nach dem Wahltag richten sich nun alle Blicke auf die Hofburg. Wird Bundespräsident Alexander van der Bellen, der einstige Grünen-Chef, den Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragen, so wie üblich in der Alpenrepublik? Im Wahlkampf hatte Van der Bellen dazu geschwiegen, in der Vergangenheit allerdings signalisiert, Kickl nicht als Regierungschef angeloben zu wollen.
Die Rolle des Bundespräsidenten wird in der Diskussion jedoch überbewertet. Tatsächlich verfügt er auf den ersten Blick über geradezu absolute Macht: Er könnte theoretisch auch seinen Chauffeur mit der Regierungsbildung beauftragen. Dieser müsste allerdings eine wesentliche Bedingung erfüllen: Ohne Mehrheit im Parlament geht gar nichts. Das reduziert Van der Bellens faktische Machtfülle dramatisch, was einer seiner Vorgänger in einer ähnlichen Situation schmerzhaft erleben musste: Thomas Klestil wollte im Jahr 2000 eine Fortsetzung der großen Koalition, da sich aber ÖVP und FPÖ einig geworden waren, blieb ihm nur noch, bei der Angelobung dieser Koalition einen in die Geschichtsbücher eingegangenen finsteren Blick aufzusetzen.
Viel mehr kann auch Van der Bellen nicht tun. Denn die Ablehnung eines Kanzlers Kickl gegen eine existierende FPÖ-ÖVP-Mehrheit im Parlament würde zu einer Staatskrise führen.
ÖVP niemals mit Kickl!?
In eine solche Bredouille sollte das Staatsoberhaupt allerdings jetzt nicht kommen, wenn zählt, was alle Parteien, insbesondere die ÖVP, im Wahlkampf hoch und heilig geschworen haben: Niemals mit Kickl! Mindestens einmal täglich hatte Nehammer seinen Herausforderer als Partner ausgeschlossen, ihn für unfähig und sogar zum Sicherheitsrisiko erklärt. Das, obwohl sich beide Parteien inhaltlich angenähert haben. Die FPÖ warf der ÖVP vor, ihre Asyl- und Integrationspolitik kopiert zu haben, umgekehrt hat Kickl nahezu eins zu eins die ÖVP-Wirtschaftspolitik übernommen. Die ÖVP hatte ihre Ablehnung auch stets auf die Person Kickl und nicht auf seine Partei bezogen.
Da jedoch nicht zu erwarten ist, dass sich der Triumphator Kickl wie vor 25 Jahren Jörg Haider in die zweite Reihe zurückzieht, wird spannend zu beobachten, ob die ÖVP zu ihren Wahlkampfsprüchen steht oder auf Adenauers Spuren wandelnd ihr „Geschwätz von gestern“ nicht länger kümmert. Es wäre nicht das erste Mal. Vor den Landtagswahlen in Niederösterreich und Salzburg im vergangenen Jahr hatte die ÖVP ebenfalls Koalitionen mit der FPÖ kategorisch ausgeschlossen – um hinterher genau das zu tun.
FPÖler sangen SS-Lieder
Nicht unmaßgebliche ÖVP-Granden würden es lieber ein drittes Mal mit der FPÖ versuchen, als wieder mit dem „roten Gesindel“, wie Niederösterreichs mit der FPÖ koalierende Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die SPÖ einmal genannt hatte. Die FPÖ hat der ÖVP einen Schwenk freilich nicht gerade leichter gemacht. Erst am Tag vor der Wahl war aufgeflogen, dass Wiener FPÖ-Abgeordnete und -Kandidaten vorigen Freitag beim Begräbnis eines Burschenschafters waren, bei dem das „Treuelied“ der SS gesungen worden war.
Zumindest am Wahlabend stand Kanzler Nehammer zu seiner strikten Ablehnung Kickls: „Was ich vor der Wahl gesagt haben, sage ich auch nach der Wahl.“ Damit bliebe der ÖVP nur die gescheute Option, die für Nehammer aber auch den nicht zu unterschätzenden Charme des Amtserhalts hat: Ein Dreier-Bündnis mit SPÖ und liberalen Neos, die mit neun Prozent (plus 0,9) als zweiter Gewinner aus der Wahl hervorgegangen sind. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hatte sich im Wahlkampf als möglicher Regierungspartnerin angedient und könnte sogar unentbehrlich sein. Zwar kommen ÖVP und SPÖ im 183-köpfigen Parlament auf eine hauchdünne Mehrheit von einem Mandat. Erst mit den Liberalen ergäbe sich eine stabile Mehrheit von 110 Sitzen.
Vorerst wird es wohl nur zu Sondierungsgesprächen der Parteien unter Van der Bellens Moderation kommen. Erst nach den Landtagswahlen in Vorarlberg im Oktober und in der Steiermark im November sind konkrete Koalitionsverhandlungen zu erwarten. Es werden extrem harte Verhandlungen sein, da ÖVP und die mit Babler weit nach links gerutschte SPÖ Welten trennen. Erst dann wird man sehen, ob in der ÖVP das „Geschwätz von gestern“ wirklich noch gilt.

De Maart
Man sollte die bösen falschen Stimmen ganz einfach ignorieren und gar nicht mitzählen, auch nicht im Total. Dann käme ein ganz angenehmes Reultat heraus und eine Mehrheit wäre glückselig zufrieden.