Sonntag9. November 2025

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Das Centre Pompidou-Metz zeigt die Facetten der Nacht – wie gemalt

Das Centre Pompidou-Metz zeigt die Facetten der Nacht – wie gemalt
„Milky Way“ (1989-90) von Peter Doig (Copyright: Collection de l’artiste © Peter Doig. All Rights Reserved, DACS/Artimage 2018. Foto: Jochen Littkemann / ADAGP Paris, 2018)

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Mit der Ausstellung „Peindre la nuit“ (Die Nacht malen) hat das Centre Pompidou in Metz ein Thema aufgegriffen, das jeden berührt und perfekt zur dunklen Jahreszeit passt. Zur Illustration der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Nacht hat das Museum auf zwei Etagen die Werke von rund 100 modernen und zeitgenössischen Künstlern der verschiedensten Stilrichtungen und Genres versammelt.

Von Angelika Thomé

Wer in die Nacht eintaucht, muss sich mit seinen Ängsten auseinandersetzen, und zugleich – angesichts des Kosmos, der sich ihm am Himmel eröffnet – mit der Tatsache, dass er nur ein ganz kleines Rädchen im Getriebe ist. Die tiefdunkle Nacht ist Furcht einflößend. In ihr erwachen tief verwurzelte Ängste, bedingt dadurch, dass die Dunkelheit das Seh- und Orientierungsvermögen eingeschränkt. Diese Beschränkungen machen einen Großteil der Faszination aus, die von der Nacht ausgeht. Ganz nebenbei sorgen sie aber auch für Intimität.

Die Ausstellung beginnt, dem Thema entsprechend, düster und mysteriös. Der Besucher tritt vom hellen Tageslicht in die Dunkelheit. Man tastet sich vor bis in den ersten Raum, in dem eingehüllt in schummriges Licht die ersten Exponate warten.

Man muss ganz nah herangehen, um die Bilder zu erkennen. Zum Beispiel die kaum postkartengroßen Fotos von Edward Steichen, auf denen er u.a. die Silhouette von Rodins Balzac-Denkmal ablichtet hat, die sich majestätisch vor der Morgendämmerung abhebt.

„La nuit, Chicago“ (1921) von Raymond Jonson
(Copyright: Courtesy of Michael Rosenfeld Gallery LLC, New York, NY © The Raymond Jonson Collection, University of New Mexico Art Museum, Albuquerque, NM / © Foto: Courtesy of Michael Rosenfeld Gallery LLC, New York, NY)

Die Nacht nicht nur anhand von Exponaten zu präsentieren, sondern auch als sinnliches Erlebnis zu vermitteln, das gehört zum Konzept der Ausstellung, deren Szenografie Pascal Rodriguez entwickelt hat. Der Besucher wandelt durch die Dunkelheit, ganz so wie die ersten Nachtmaler, die – wie beispielsweise Piet Mondrian in seinem Gemälde „Paysage au clair de lune“ – die Grenzen der Wahrnehmung erforschten, und auf deren Bildern oft nur abstrakte Schemen zu sehen sind.

Das gedämpfte Licht schafft Intimität, beschwört aber auch die Beklommenheit herauf, die die Nacht auslöste, bevor sie von abertausend Gaslaternen und Leuchtreklamen in Großstädten wie Paris, der Stadt des Lichts, erhellt wurde. Die Faszination, die von den erleuchteten Städten ausging, fand in der Kunst auf die unterschiedlichste Weise Niederschlag.

Während auf den Fotos von Man Ray die Lichter auf den Pariser Boulevards zu fremdartigen Sternbildern gefrieren, lichtet Brassaï beleuchtete Plätze und Gebäude ab. Dabei treten die vielen Abstufungen zwischen Hell und Dunkel in den Blickpunkt und verleihen der tiefschwarzen Nacht räumliche Tiefe.

Ein regelrechtes Feuerwerk an optischen Eindrücken hat William Klein 1958 in seinem zehnminütigen Film „Broadway by light“ entfesselt. In der Montage leuchten, blinken und flackern Ampeln, Warnlichter, Leuchtreklamen, Laufschriften. Das Lichtspektakel – ein Sieg über die Nacht und zugleich Verlockung und Verheißung.

Unter der Überschrift „Nacht-Leben“ dokumentiert die Ausstellung, wie die Nacht zum Tag wurde. Dem fauvistischen Maler Auguste Chabaud, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts unter die Pariser Nachtschwärmer mischte, ist gleich ein ganzer Raum gewidmet. Eindrücke von den Berliner Nächten vermittelt George Grosz, dessen Serie „Ecce Homo“ den Betrachter in zwielichtige Spelunken und Etablissements führt.

Die Ausstellung folgt den Künstlern bis in die Ateliers, in denen sie nachts malen, ihre Innenwelt erforschen und ihren Dämonen ausgeliefert sind. „Has the day invaded the night, or has the night invaded the day?“, fragte sich Louise Bourgeois, die unter permanenter Schlaflosigkeit litt, auf einer Typografie, auf der sich Nacht und Tag in Form von schwarzen und weißen Linien durchdringen. Martin Kippenberger veranschaulichte seine Obsession, den Alkohol, u.a. in Form einer Straßenlaterne, die sich vor den Betrunkenen verneigt, um ihnen heimzuleuchten.

Die Nacht, das ist auch die Zeit der Träume, in denen sich Reales mit Irrealem verbindet, Unbewusstes nach oben drängt. Dieses Thema interessierte vor allem die Surrealisten. Die Traumwelten und -gebilde von André Masson, René Magritte, Max Ernst und Paul Klee vermitteln, wie eng die Nacht mit dem Imaginären verknüpft ist. In ihren Bildern nehmen Schimären, Visionen und Hirngespinste Gestalt an.
Traumgebilde
und Sternbilder

Zu der Ausstellung „Peindre la nuit“ ist ein Katalog erschienen. Im Rahmen der Expo, die bis zum 15. April im Centre Pompidou-Metz zu sehen ist, finden zahlreiche Veranstaltungen statt – etwa ein nächtlicher Ausflug in den Zoo von Amnéville.

Der Blick der Maler richtete sich nicht nur nach innen, sondern auch nach oben, zum Mond und zu den Sternen. Die gesamte zweite Ausstellungsetage steht unter der Überschrift „Vom Intimen zum Kosmos“. Als Verbindungsstück dient Pablo Picassos „Femme nue couchée“, die der Maler unter einen Sternenhimmel gebettet hat. Den Abschluss bildet eine Rauminstallation von Lucio Fontana, in dem der Besucher – ganz wie zu Anfang der Ausstellung – die Orientierung verlieren soll. Dazwischen gibt es jede Menge (Konzept-)Kunst zu sehen, deren Anliegen sich aus Wissenschaft und Forschung speist. Diese Exponate wirken steril und in ihrer Masse ermüdend. Im Gegensatz zu den meisten frühen Arbeiten wohnt diesen Bildern der Nacht kein Zauber inne.

Die Ausstellung im Centre Pompidou-Metz wartet mit großen Namen auf und einer ausgeklügelten Beleuchtung. Ergänzt wird das Ganze durch akustische Nachteindrücke und Audiotationen, die literarische Texte präsentieren. Die Szenografie orientiert sich an den Gepflogenheiten eines jungen Publikums, das es in Metz, wie auch anderswo, zu gewinnen gilt. Daraus erklärt sich vielleicht auch, warum ein großes Thema der Nacht, der Beischlaf, hier nur gestreift wird.

Bisweilen fragt man sich, warum Exponate dem einen und nicht dem anderen Schwerpunkt zugeordnet wurde, doch das ist der Mehrdeutigkeit der Werke geschuldet, die verschiedene Facetten der Nacht in sich vereinen.