Wie erklärt sich der Erfolg?
Inmitten einer Vielzahl verheerender Fehlentscheidungen – viel zu lange Missachtung der eindringlichen Coronawarnungen von Wissenschaftlern, zu später Lockdown, praktisch unkontrollierte Grenzen, mangelhafter Schutz von Alten- und Pflegeheimen, komplettes Fehlen effizienter Rückverfolgung von Kontaktinfizierten – setzte die Regierung im Frühjahr schon früh auf Impfungen als besten Ausweg aus der Pandemie. Premier Johnson warb die erfahrene Wagniskapital-Bankerin Kate Bingham als Leiterin der entsprechenden Taskforce an. Deren Jahrzehnte lange Erfahrung in der Unterstützung junger Biotechnikfirmen wog dabei schwerer als ihre Ehe mit dem Finanzstaatssekretär Jesse Norman.
Von Anfang an behielt Binghams Team nicht nur die Impfstoff-Forschung, sondern auch die anschließende industrielle Fertigung der Medikamente im Auge. Dafür wurden sowohl die Wissenschaftler an der Uni Oxford wie auch die beteiligten Firmen, vor allem AstraZeneca, großzügig subventioniert und mit ihnen garantierte Abnahmemengen vereinbart. Auch wurden sie für ihre Impfstoffe von der sonst üblichen Produkthaftung entbunden.
Biontech/Pfizer erhielt einen Auftrag über 40 Millionen Dosen, bei AstraZeneca orderte Bingham sogar 100 Millionen. Als dritter Impfstoff ist mittlerweile auch das Präparat der US-Firma Moderna freigegeben, vom Frühjahr an erwarten die Briten von dort weitere 17 Millionen Dosen. Mit der deutschen Firma CureVac ist der Kauf von zusätzlichen 50 Millionen Dosen vereinbart, falls sich deren Wirkstoff in den klinischen Versuchen als geeignet erweist.
Wie verhielt sich die Genehmigungsbehörde?
Kooperativ. Der Medikamentenaufseher MHRA bat die beteiligten Firmen darum, parallel zu ihren umfangreichen klinischen Studien bereits sämtliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Der sonst oft Jahre dauernde Prozess wurde dadurch auf wenige Monate verkürzt. So konnte MHRA-Chefin June Raine als weltweit erste Aufsichtsbehörde bereits Anfang Dezember dem Biontech-Präparat die Genehmigung erteilen, eine Woche später begannen die Impfungen.
Wie verhielt sich die Bevölkerung?
Von Beginn an gaben sich die generell technikaffinen Briten aufgeschlossen. Umfragen zufolge bilden Impf-Skeptiker oder gar -Gegner auf der Insel eine winzige Minderheit. Als hilfreich erwies sich, dass die Hochbetagten, in Weltkrieg und Entbehrung aufgewachsen, großen Enthusiasmus zeigten. Wichtig war auch, dass das ohnehin hochangesehene nationale Gesundheitssystem NHS die logistische Herausforderung mit Hilfe der Armee hervorragend meisterte. Zu den Impfzentren zählen größere Arztpraxen ebenso wie leerstehende Galopprennbahnen, Kathedralen, Moscheen und Museen. Fälle von Impfdränglern sind ebenso wenig bekannt geworden wie eklatante Gesundheitsbeeinträchtigungen bei Geimpften.
Erhebliche Beschleunigung erfuhr das Programm Ende vergangenen Jahres durch die Entscheidung der Regierungswissenschaftler, das Intervall zwischen den beiden Impfdosen von drei Wochen auf drei Monate zu erweitern. So haben bisher nur wenige Hunderttausend Briten den gesamten Impfschutz, viele Millionen aber bereits hohe Immunität nach dem ersten Pieks. Zur Begründung führten die einschlägigen Gremien an, in den Feldversuchen habe schon die erste Dosis gute Wirkung über mehrere Wochen hin erzielt.
Wie sehen die nächsten Schritte aus?
Am Montag wandte sich Gesundheitsminister Matthew Hancock eindringlich an die Bediensteten im Pflegedienst sowie in Alten- und Pflegeheimen: Auch bisher Zögerliche sollten am gänzlich freiwilligen Programm teilnehmen. Anlass war die Nachricht, dass bisher erst zwei Drittel das Impfangebot angenommen haben. Generell ist unter Angehörigen ethnischer Minderheiten, von denen viele im schlecht bezahlten Pflegesektor arbeiten, die Impfskepsis weit verbreitet. So haben sich etwa in England, anteilig an der Bevölkerung, doppelt so viele Weiße impfen lassen wie Schwarze.
Dem Plan der unabhängigen Impfkommission zufolge sollen von dieser Woche an alle Menschen über 50 Jahre und sämtliche gesundheitlich vorbelastete Erwachsene folgen. Geht alles so glatt wie bisher, könnten sie bis Ende April ihre Immunität erhalten. Unterdessen wird aber auch die Zahl jener wachsen, die nach Verstreichen von drei Monaten ihre zweite Dosis erhalten müssen.
Welche politischen Folgen?
Trotz vieler schlimmer Mängel im Kampf gegen die Pandemie sind die Konservativen in den Umfragen nie mehr als fünf Prozent hinter die Labour-Opposition zurückgefallen. Inzwischen liegen sie sogar wieder deutlich vorn, was gewiss mit dem Erfolg des Impfprogramms zu tun hat. Dessen reibungsloser Fortgang verspricht Johnsons Torys einen schönen Bonus rechtzeitig zu wichtigen Regional- und Kommunalwahlen Anfang Mai.
De Maart
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