Tageblatt: Claire Faber, statt am Festival Elsy Jacobs teilzunehmen, sehen Sie sich das Renngeschehen vom Rand aus an. Wie fühlt sich das für Sie an?
Claire Faber: Ich gehe damit ganz neutral um. Ich habe wenig Wehmut. Ich habe das Gefühl, dass Claire, die Rad gefahren ist, eine andere ist als die Claire von heute. Es ist immer schön, Kolleginnen zuzuschauen oder auch zu sehen, dass Christine (Majerus) ein Rennen kommentiert.
Verfolgen Sie das Renngeschehen noch?
Ja. Ich bekomme auf Social Media noch viel mit, dort bin ich mit vielen Mannschaften und Radsportlerinnen vernetzt. Ich bekomme auch viel ungewollt mit. Vor den Fernseher setze ich mich aber nicht jeden Tag, um stundenlang Rennen zu schauen. Mich interessiert aber, wo ehemalige Teamkolleginnen dran sind.
Bei RTL kommentieren Sie außerdem ab und zu Rennen.
Ja, am Samstagabend habe ich mit Tom (Flammang) das Rennen zusammengefasst. Sonntag nach dem Festival Elsy Jacobs bin ich dann bei RTL auf dem Kirchberg gewesen, um über das Rennen zu sprechen. Das war mein erster Auftritt vor der Kamera, sonst sieht man mich nie und man hört mich nur. Es ist aber schön, noch eingebunden zu werden. Es gibt noch einige Menschen, die schätzen, was ich geleistet habe. Auch wenn ich nicht im Radsport-Outfit auf neutralen Plätzen unterwegs bin, werde ich noch des Öfteren erkannt.
Es ist nun etwas mehr als vier Jahre her, dass Sie den schweren Unfall hatten (dieser ereignete sich am 28. April 2021). Wie geht es Ihnen?
Ich bekomme viele Erinnerungen an die Zeit auf Social Media. Mir geht es okay. Ich habe in den letzten Jahren mein Leben so akzeptiert, wie es ist. Ich probiere so zu leben, dass ich mit den Schmerzen umgehen kann. Ich versuche auch eine Routine im Sport hinzubekommen, das ist wichtig für den Körper, aber auch mental. Es ist aber schwierig, wenn man beim Sport weiß, wo man mal war und wenn man sieht, wo man jetzt steht. Kleine Schritte sind besser als keine. Kleine Schritte nach vorne sind besser als Schritte nach hinten. Es läuft also ganz positiv. Es gibt noch Tage, an denen ich denke: Es ist alles scheiße. Aber ich kann es nicht mehr ändern und muss das Beste draus machen.
Haben Sie den Tag des Unfalls mental schon verarbeiten können?
Es ist hart. Ich sehe den Tag als Schicksalsschlag an. Durch diesen Tag haben sich viele Türen geschlossen, es sind aber auch viele aufgegangen. Ich habe Dinge im Leben kennengelernt, die ich ohne den Unfall nicht gesehen hätte. Ich arbeite normal und weiß, wie es ist, ein normales Berufsleben zu haben. Vielleicht ist es etwas langweiliger, als durch die Welt zu reisen und Rennen zu fahren. Aber was genau an dem Tag passiert ist, werde ich nie richtig realisieren. Es ist einfach passiert und ich merke die Konsequenzen. Der Tag selbst schwebt irgendwie noch im Nebel.
Welche Folgen spüren Sie noch?
Ich bin körperlich noch nicht so fit und werde es auch nie mehr so sein, wie ich es vor dem Unfall war. Ich habe chronische Beschwerden wie Migräne und auch mentale Probleme. Das geht alles nicht spurlos an mir vorbei.
Dass Radsport sehr gefährlich ist, ist nicht unbekannt. Würden Sie sagen, dass Sie an dem Tag noch Glück gehabt haben?
Ich war mehr auf der nicht lebendigen Seite als auf der lebendigen. Ich war näher auf der anderen Seite, als dass ich hier noch stehen kann. Ich sehe es als ein Wunder an, noch viel erleben zu dürfen, normal reden zu können und keine Extremitäten verloren zu haben. Im Radsport gibt es viele Todesfälle. Das trifft mich umso stärker, weil ich in einem ähnlichen Szenario war. Es hätte anders ausgehen können, das weiß ich. Mit dem Rad auf der Straße riskiert man sein Leben.
Denken Sie, dass Autofahrer immer noch nicht gegenüber Radsportlern sensibilisiert sind?
Die Straße ist sehr gefährlich. Viele sind sehr gestresst und denken, dass wenn man fünf Sekunden langsamer fährt, man eine Stunde verliert. Es ist in allen Formen sehr gefährlich, sich auf der Straße fortzubewegen. Als Radsportler, Fußgänger oder Motorradfahrer.
Dabei sieht man auf den Straßen sogar immer wieder Radfahrer ohne Helm …
Diese Leute verstehe und respektiere ich nicht. Ich grüße sie nicht mal. Das ist mutwillig. Ohne Helm wäre ich definitiv nicht mehr hier. Der Helm hat mein Leben gerettet.
Wie sieht Ihre Karriere jetzt aus?
Ich hatte im Jahr vor dem Unfall meinen Bachelor abgeschlossen, danach habe ich meinen Master begonnen. Ich hatte viele Probleme und habe eine Pause gemacht, um in der Schweiz eine Therapie wegen der Gehirnerschütterung zu machen. Letztes Jahr im Juni habe ich meinen Master geschafft. Ich hatte beim COSL dann einen befristeten Arbeitsvertrag und als dieser vorbei war, habe ich eine neue Herausforderung gesucht. Ich arbeite jetzt bei Agora in Belval und bin gar nicht mehr beim Sport. Das tut mir gut. Da bin ich Claire, die arbeitet. Und nicht die Claire, die vom Radsport kommt und den schweren Unfall hatte. Es ist nicht immer ganz so schön, mit dem Unfall identifiziert zu werden.
Ich arbeite jetzt bei Agora in Belval und bin gar nicht mehr beim Sport. Das tut mir gut. Da bin ich Claire, die arbeitet. Und nicht die Claire, die vom Radsport kommt und den schweren Unfall hatte.
De Maart
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