Montag10. November 2025

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EU-Gipfel China und Gaspreisdeckel: Ärger über deutsche Alleingänge in Krisenzeiten

EU-Gipfel  / China und Gaspreisdeckel: Ärger über deutsche Alleingänge in Krisenzeiten
Bitte lächeln: Macron und Scholz beim bilateralen Treffen vor dem Gipfel, die deutsch-französische Freundschaft hat schon bessere Tage gesehen Foto: AFP/Olivier Hoslet

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Im Rat der Staats- und Regierungschefs baute sich beim Thema Gaspreisbremse eine nur mühsam aufgelöste Frontstellung gegen Deutschland auf. Und am zweiten Tag kommt beim Thema China gleich der nächste Verdacht.

Der zweite Tag des EU-Gipfels hat gerade begonnen, als auch schon führende Teilnehmer der einzelnen Delegationen in großer Zahl zur Verfügung stehen. Sie sind vom eigentlichen Gipfelgeschehen abgeschnitten, bleiben nicht einmal durch SMS über die Abläufe im Bild. Grund: Die Staats- und Regierungschefs haben verfügt, dass alle ihre Handys abgeben. Niemand soll auch nur ahnen, um welche Verständigung sie an diesem Freitag in Brüssel im Geheimformat ringen. Man habe eine „strategische Diskussion über die Beziehungen zu China“ geführt, lautet am Nachmittag der eine dürre Satz in der Abschlusserklärung über die Beratungen, die große Teile des zweiten Gipfeltags bestimmen.

Prompt steht dabei der deutsche Kanzler in Teilen Europas wieder unter Verdacht. Dass er eine chinesische Beteiligung an einem Container-Terminal des Hamburger Hafens durchsetzen wolle, wird aus Berlin kolportiert. Das gibt allen China-Skeptikern neue Nahrung, die davor warnen, sich nicht von der Abhängigkeit von Russland umgehend in eine von China zu stürzen. Und auch die Anfang November bevorstehende Reise von Olaf Scholz nach Peking wird problematisiert: Plant Deutschland hier den nächsten Alleingang, wieder einen im eigenen und nicht im europäischen Interesse?

Macron wollte mit nach China

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron soll Scholz angeboten haben, mit ihm gemeinsam zu fliegen. Das könnte alle Befürchtungen über eine bedrohliche Schieflage der deutsch-französischen Regierungsbeziehungen demonstrativ aus der Welt schaffen. Doch Scholz reicht es, mit Macron zu Beginn des Gipfels am Vortag bilateral zusammengetroffen zu sein und ihn am Mittwoch in Paris zu besuchen. Die China-Reise sei seit langem geplant und sein offizieller Antrittsbesuch. Sprich: Hier soll es um deutsch-chinesische Interessen gehen, nicht um deutsch-französisch-chinesische.

Ich habe keine Brise gespürt

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz auf die Frage hin, ob er viel Gegenwind bekommen habe

Scholz war zuletzt auch in Deutschland in die Kritik geraten, der Hamburger Hafen sei kritische Infrastruktur, die man nicht verkaufen dürfe. Das sieht der Kanzler bei seiner Abschluss-Pressekonferenz gänzlich anders. Er ist als ehemaliger Hamburger Bürgermeister in seinem Element, wenn er dazu rät, einmal einen Hubschrauberflug über die großen Dimensionen des Hamburger Hafens zu machen, um zu sehen, wie gering der Anteil eines einzigen Terminals sei – die Entscheidung über eine China-Beteiligung daran sei im Übrigen noch nicht gefallen.

Xavier Bettel im Gespräch mit der estnischen Premierministerin Kaja Kallas (l.) und der Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola
Xavier Bettel im Gespräch mit der estnischen Premierministerin Kaja Kallas (l.) und der Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola Foto: AFP/Ludovic Marin

Es ist derselbe Scholz, der auf die Frage, wie er den Gegenwind bei diesem Gipfel erlebt habe, ganz schlicht antwortet: „Ich habe keine Brise gespürt.“ Das überrascht wiederum andere Gipfelteilnehmer. Denn längst machen im Ratsgebäude Berichte die Runde, wie sich im vielstündigen nächtlichen Ringen um die Energiepolitik und insbesondere um die von Scholz abgelehnte Gaspreisbremse einer nach dem anderen gegen den deutschen Kanzler positioniert hat.

Scholz sorgt für Irritationen

Sie alle stehen unter dem Druck, bloß nicht mit leeren Händen in ihre Länder zurückzukehren. Überall werden massive Markteingriffe verlangt, um die Gas- und Strompreise nicht in die Unbezahlbarkeit stürzen zu lassen. Auch der Versuch von Scholz, für die Energiefrage in diesem Punkt ausnahmsweise das Einstimmigkeitsprinzip einzuführen, irritiert die Runde. Hat Scholz nicht gerade selbst bei seiner Prager Europa-Rede noch mehr Mehrheitsentscheidungen gefordert? Ratspräsident Charles Michel hält einen juristischen Hinweis für Scholz bereit: Der Europäische Rat habe „nicht die Kompetenz, die europäischen Verträge zu ändern“. Und die rechnen Energie-Beschlüsse den Mehrheitsentscheidungen zu.

Am nächsten Morgen geben sich alle große Mühe, nach außen hin wieder Einigkeit zu demonstrieren. „Wir haben uns gefunden“, fasst Belgiens Regierungschef Alexander de Croo den Streit zusammen. Und man habe auch „den legitimen Sorgen über eine Verfügbarkeit von Gas zugehört“. Damit ist Scholz’ Ablehnung des Gaspreisdeckels gemeint. Dieser kommt nun erst einmal als „intensiver Prüfauftrag“ (Scholz) auf die Tagesordnung der EU-Energieminister. Klarer ist die Richtungsentscheidung nur bei gemeinsamen Gaseinkäufen und dem Ausbremsen kurzfristiger Ausschläge beim Gaspreis.

Für Scholz waren es „24 intensive Stunden“, die zu einem einzigen Signal geführt hätten: „Europa steht zusammen.“ Das geht vor allem an Russlands Adresse. Forderungen nach einem Kriegsverbrecher-Tribunal folgt der Gipfel erst einmal nicht, will dafür den Strafgerichtshof in Den Haag stärken. Und die Ukraine selbst: Die EU sichert dem Land für nächstes Jahr eine monatliche Unterstützung von 1,5 Milliarden Euro zu. Es sei „sehr wichtig für die Ukraine, einen vorhersehbaren und stabilen Einkommensfluss zu haben“, erläutert EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Aber auch das ist, wie das Energie-Thema, erst noch von den Fachministern im Detail zu regeln.

Bettel prangert Morde im Iran an

Mit besonderer Sorge verfolgt die EU auch die Entwicklung im Iran. Der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel kritisierte die iranischen Sicherheitskräfte für ihr hartes Vorgehen gegen Demonstranten, bei dem immer wieder Menschen ums Leben kommen. „Das ist nicht ein Unfall oder so was. Die Leute werden umgebracht von einer Moralpolizei“, sagte Bettel. Bereits am Montag hatte die EU neue Sanktionen verabschiedet, die sich gegen die iranische Sittenpolizei richten. ebo