Dienstag11. November 2025

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LuxemburgUkrainischer Parlamentspräsident besucht nach Horrornacht in Kiew die Chamber 

Luxemburg / Ukrainischer Parlamentspräsident besucht nach Horrornacht in Kiew die Chamber 
Rettungsmannschaften suchen in den Trümmern eines eingestürzten Wohnblocks in Kiew nach Überlebenden Foto: AFP

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In der Nacht auf Dienstag greift Russland die ukrainische Hauptstadt an, 14 Menschen sterben. Am Tag danach zeigt sich der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk in Luxemburg kämpferisch – und fordert „höllische Sanktionen“ gegen den Aggressor.

Am Morgen danach sprechen Einwohner von Kiew von einer „höllischen Nacht“. Als der Morgen über den Trümmern eines eingestürzten Häuserblocks graut, erklärt Präsident Wolodymyr Selenskyj den nächtlichen russischen Angriff mit mehr als 440 Drohnen und 32 Raketen zu einer „der schrecklichsten Attacken“ auf die ukrainische Hauptstadt seit Beginn des Krieges. Russland hat Kiew in der Nacht zum Dienstag mit Angriffen überzogen. Die russischen Drohnen hätten die Hauptstadt „aus drei Richtungen“ attackiert, sagt Bürgermeister Vitali Klitschko. In mehreren Vierteln von Kiew seien Feuer ausgebrochen. Insgesamt 27 Ziele in verschiedenen Bezirken wurden getroffen, darunter Wohngebäude, Bildungseinrichtungen und wichtige Infrastruktur. Am Ende der Nacht sind mindestens 14 Menschen tot, darunter ein US-Bürger, mehr als 100 Menschen verletzt.

Dank von Volk zu Volk: der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk in der Chamber
Dank von Volk zu Volk: der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk in der Chamber Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Ein enger Vertrauter Selenskyjs, Ruslan Stefantschuk, ist zu diesem Zeitpunkt schon längst in Luxemburg angekommen. Stefantschuk ist seit 2021 Präsident der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments. Er gilt als Chefideologe von Selenskyjs Partei Sluha narodu, auch dessen Präsidentschaftswahlkampf hat er maßgeblich mitgestaltet. Am Tag nach der Horrornacht von Kiew steht Stefantschuk neben seinem luxemburgischen Amtskollegen Claude Wiseler (CSV). Ein mächtiger Mann, schwarzes Militärhemd, schwarze Hose, er überragt Wiseler, selbst nicht kleingewachsen, um einen halben Kopf. Es ist das erste Mal, dass das luxemburgische Abgeordnetenhaus einen ausländischen Parlamentspräsidenten mit einer eigenen Plenarsitzung ehrt.

Nach einer Schweigeminute für die ukrainischen Opfer der vergangenen Nacht spricht zunächst der Gastgeber. Claude Wiseler findet Worte der Bewunderung für die Arbeit des ukrainischen Parlaments, das trotz täglicher Angriffe und Verluste weiter funktionieren könne. Die Werchowna Rada sei ein „Symbol für Hoffnung, Resilienz und Lebenswillen“, so der luxemburgische Parlamentspräsident. Wiseler und Stefantschuk kennen sich seit dem dritten Jahrestag der Befreiung von Butscha, zu dem der Luxemburger in die Ukraine gereist war. Wie sehr ihn diese Reise und die Gespräche mit den Menschen vor Ort auch persönlich betroffen haben, spürt man Ende seiner Rede. „Das vergesse ich mein ganzes Leben lag nicht“, sagt Wiseler. „Und das will ich auch nicht vergessen.“

Den Sanktionsdruck erhöhen

Stefantschuk nutzt seinen Auftritt zunächst, um seinen Dank für die Jahre der Unterstützung auszudrücken, „vom ukrainischen Volk an das luxemburgische Volk, jeden einzelnen Einwohner des Landes“. Die Ukraine werde nie aufgeben, so Stefantschuk, „wir werden immer weiter kämpfen“. Dafür gibt es Applaus von den Abgeordneten. Auch die Ukraine wolle Frieden, erklärt der Parlamentspräsident. Ein Frieden um jeden Preis bedeute jedoch die Kapitulation der Ukraine, was auch einer Kapitulation Europas gleichkäme. Stattdessen zeichnet Stefantschuk in der Chamber einen Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden, bestehend aus drei zentralen Elementen: die europäische und transatlantische Einheit, „höllische Sanktionen“ gegen den Aggressor Russland und weitere Waffenlieferungen.

Kein Treffen mit Trump: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (r.) beim G7-Gipfel in kanadischen Kananaskis
Kein Treffen mit Trump: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (r.) beim G7-Gipfel in kanadischen Kananaskis Foto: AFP

Was die Sanktionen anbelangt, so gibt es für die Ukraine an diesem Tag einen Rückschlag. Nicht in Luxemburg, sondern viele Tausend Kilometer entfernt im kanadischen Kananaskis. Dort wollte der ukrainische Staatschef Selenskyj am Dienstag am Rande des G7-Gipfels eigentlich mit US-Präsident Donald Trump sprechen. Doch dieser hatte das Treffen bereits am Montag vorzeitig verlassen – nach Angaben des Weißen Hauses wegen des massiven militärischen Konflikts zwischen Israel und dem Iran. Zur Forderung nach schärferen Sanktionen gegen Russland hatte sich Trump zuvor zögerlich geäußert: „Sanktionen kosten uns viel Geld.“ Der US-Präsident will in dieser Frage lieber die Europäer „vorangehen“ lassen.

In Luxemburg geht es an diesem Tag neben Sanktionen auch um die in Europa eingefrorenen russischen Vermögen. Stefantschuk fordert diese als Kompensation für die Ukraine. Es sei eine Frage der Gerechtigkeit, dass Russland für den verursachten Schaden aufkommen müsse, so der ukrainische Parlamentspräsident bei der anschließenden Pressekonferenz. Allzu dringliche direkte Forderungen an seine Gastgeber stellt Stefantschuk aber auch auf Nachfrage nicht. In Luxemburg sind rund 5,5 Milliarden russische Vermögenswerte eingefroren.

Neben einer Audienz beim Großherzog und seinem Auftritt in der Chamber trifft sich Stefantschuk auch mit  Verteidigungsministerin Yuriko Backes (DP) und Premier Luc Frieden. Neben Sanktionen, Wiederaufbauhilfe und weiteren Schritten zur ukrainischen EU- und NATO-Mitgliedschaft geht es dabei auch um die Deportationen ukrainischer Kinder. Auch in seiner Rede vor den Parlamentsabgeordneten bittet Stefantschuk um Hilfe dabei, die von Russland gekidnappten Kinder zurückzubekommen. Russland, so der Präsident, wolle die Kinder gegen Kriegsgefangene austauschen. „Kinder sind keine Verhandlungsmasse“, sagt Stefantschuk. „Sie müssen ohne Konditionen so schnell wie möglich nach Hause kommen.“

Auch Odessa angegriffen: Eine Frau steht in den Trümmern eines Wohnhauses in der ukrainischen Hafenstadt
Auch Odessa angegriffen: Eine Frau steht in den Trümmern eines Wohnhauses in der ukrainischen Hafenstadt Foto: AFP

Während der Parlamentspräsident in Luxemburg mit großem Polizeiaufgebot von Termin zu Termin gebracht wird, wird in seiner Heimat das wahre Ausmaß der vergangenen Nacht deutlich. In Kiew suchen Rettungsteams in den Trümmern noch immer nach Überlebenden. Und nicht nur die Hauptstadt wurde angegriffen. Die örtlichen Behörden melden jeweils einen Toten aus der südukrainischen Hafenstadt Odessa, der südlichen und nördlichen Region Sumy. Der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, wirft der „zivilisierten Welt“ an diesem Tag vor, nicht angemessen auf Russlands „Krieg gegen Zivilisten“ zu reagieren.

In Luxemburg setzt Stefantschuk in der Chamber ein Zeichen der Verbundenheit. „Wie wir kennt ihr den Preis von Krieg und Besatzung, von Leid und Tragödien“, sagt der Parlamentspräsident in Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. „Ihr wurdet damals getötet, so wie wir heute getötet werden – weil ihr bleiben wolltet, wer ihr seid“, sagt Stefantschuk. Und setzt nach: „Mir wëlle bleiwe wat mir sinn. Dieser Slogan ist jetzt auch unser Slogan.“

Der Morgen graut und ein mehrstöckiges Wohnhaus steht nach einem nächtlichen russischen Drohnenangriff in Flammen
Der Morgen graut und ein mehrstöckiges Wohnhaus steht nach einem nächtlichen russischen Drohnenangriff in Flammen Foto: Stringer/AP/dpa