Mittwoch5. November 2025

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„Schwere Rechtsverletzung“Britische Politiker äußern zunehmende Zweifel an Israels Vorgehen im Gazastreifen

„Schwere Rechtsverletzung“ / Britische Politiker äußern zunehmende Zweifel an Israels Vorgehen im Gazastreifen
Demonstranten mit Israel-Flaggen forderten am vergangenen Montag vor dem Sitz des Fernsehsenders BBC, die Hamas als Terroristen zu bezeichnen Foto: AFP/Daniel Leal

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Nach der zunächst betonten Solidarität mit Israel wachsen in Großbritannien die Zweifel an der Bombardierung des Gazastreifens.

Uneingeschränkte Solidarität mit Israel – so positionierte sich die britische Politik nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober in totaler Einigkeit. Seither zeigen immer neue Fernsehbilder vom humanitären Elend im Gazastreifen zunehmend Wirkung, die Einheitsfront beginnt zu bröckeln. Im Unterhaus betonte Premier Rishi Sunak am Mittwoch seine Bemühungen, humanitäre Hilfe für die Region zu organisieren. Labour-Oppositionschef Keir Starmer pochte vernehmlich auf die Einhaltung internationalen Rechts und mahnte zur Mäßigung: „Hamas ist nicht gleichbedeutend mit den Palästinensern.“

Regierungschef Sunak und Außenminister James Cleverly haben viel mit ihren israelischen Kollegen sowie jenen der arabischen Anrainer telefoniert. Der konservative Parteichef besuchte vergangene Woche den zentralen Trauer- und Gedenkgottesdienst in einer Nord-Londoner Synagoge: Er werde „vor nichts haltmachen“, um die Sicherheit britischer Juden zu garantieren – eine Botschaft, die er Anfang dieser Woche nach dem Besuch einer jüdischen Schule wiederholte.

Bei Labour sorgte die harte Linie des früheren Menschenrechtsanwalts Starmer parteiintern für Konsternation. In Medieninterviews hatte der 61-Jährige stets Israels „Recht zur Selbstverteidigung“ betont. Dazu gehöre auch die Blockade des Gazastreifens, einschließlich Strom- und Wasserversorgung. Unter Hinweis auf solche Äußerungen sind in den vergangenen Tagen eine Reihe engagierte Kommunalpolitiker, die meisten davon muslimischen Glaubens, aus Labour ausgetreten. Sie sei „entsetzt über den Mangel an Menschlichkeit, den die Partei den Palästinensern zeigt“, gab Amna Abullatif aus Manchester zu Protokoll. Starmer unterstütze „Kriegsverbrechen gegen die Palästinenser“, begründete Jessie Hoskin aus Stroud ihren Austritt.

Besonders Labours Parteiführung wirkt, als wandle sie auf rohen Eiern. Unter dem früheren Vorsitzenden Jeremy Corbyn vom harten linken Flügel stand die alte Arbeiterpartei unter Antisemitismus-Verdacht, alle Sympathie galt den Palästinensern. Davon hat sich Starmer hart abgegrenzt, Corbyn selbst musste deshalb sogar die Unterhausfraktion verlassen. Am Wochenende war der 74-Jährige einer der Hauptredner auf einer Solidaritätsdemo für Palästina, für die Tausende von Menschen in London zusammenkamen.

Schützenhilfe für vorsichtige Kurskorrektur

Schützenhilfe für ihre vorsichtige Kurskorrektur erhielten beide große Parteien von einer Gruppe prominenter jüdischer Juristen, angeführt vom früheren Chef des Supreme Court, Lord David Neuberger. Die „widerwärtigen Verbrechen der Hamas“ stellten „ohne Zweifel Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“ dar, schreibt die von „jüdischen Werten“ inspirierte Gruppe der Financial Times. Israel habe dem Völkerrecht zufolge „das Recht, ja die Pflicht“ zur Selbstverteidigung und zum Schutz seiner Bürger. Doch die Autoren fügen hinzu: „Einige Aspekte von Israels Antwort sind schon jetzt besorgniserregend.“ Das Völkerrecht verbiete die Belagerung von Zivilisten: „Ihnen Nahrungsmittel und Wasser vorzuenthalten, wäre eine schwere Rechtsverletzung.“

Jüngsten Angaben des Foreign Office zufolge wurden mindestens sieben britische Staatsbürger beim Hamas-Pogrom getötet, darunter auch ein junger IDF-Soldat. Neun sind noch vermisst. Insgesamt leben geschätzt 50.000 bis 60.000 Menschen mit britischem Pass in Israel und dem Gazastreifen, einige hielten sich auch nur besuchsweise dort auf. Zu Letzteren zählen die Schwiegereltern des schottischen Ministerpräsidenten Humza Yousaf. Nadia El-Naklas Eltern waren kurz vor den Massakern nach Gaza gereist, um einen schwer erkrankten Angehörigen zu besuchen. Seither erlebt das Paar aus Dundee den Bombenhagel der israelischen Luftwaffe. Der Fraktionschef von Yousafs Nationalpartei SNP im Unterhaus, Stephen Flynn, forderte am Mittwoch einen „sofortigen Waffenstillstand“, um humanitäre Hilfe für die Gaza-Bewohner sowie die Ausreise von Ausländern zu ermöglichen.