KinowocheBradley und die Mythologisierung der Vereinigten Staaten

Kinowoche / Bradley und die Mythologisierung der Vereinigten Staaten
Das Biopic, welches sich alle Mühe gibt, nicht als solches identifiziert zu werden, konzentriert sich vorrangig um die Beziehung Bernsteins (Bradley Cooper) zu seiner Ehefrau Felicia Montealegre (Carey Mulligan) Foto: Jason McDonald /Netflix

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Der Spieler, der sich vor allem mit den Hangover-Filmen und unzähligen Auftritten als Waschbär Rocket für Marvel einen Namen gemacht hat (um des Punktes willen reduziert der Autor dieser Zeilen seine tatsächlich nicht ganz uninteressante Filmografie), verwandelt sich hinter der Kamera zu einem ganz anderen Wesen. Regisseur Bradley Cooper ist zu Höherem bestimmt.

Mit dem tatsächlichen Mythos der Geburtsstunde der Vereinigten Staaten wird so langsam, aber sicher abgerechnet – Stichwort: systemischer und institutionalisierter Rassismus, der bis heute andauert. Es bedarf also anderer Mythen. Hollywoods Rolle ist in diesem Kontext maßgebend. „A Star is Born“, das Regiedebüt von Bradley Cooper und das vierte Remake dieses Stoffes, ist fünf Jahre nach seinem Erscheinen unter keinem anderen Blickwinkel mehr der Rede wert. Remakes und Reboots gehören zur Tagesordnung der Traumfabrik, aber fünfmal vom Aufstieg und Fall eines Künstlerpaares zu erzählen ist einfach nur klassische Mythenbildung.

„Maestro“ ist nun sein lang erwarteter zweiter Film. Und wieder richtet sich Bradley Coopers Augenmerk auf einen Mythos. Und zwar auf jenen um Leonard Bernstein, dem großen US-amerikanischen Dirigenten und Komponisten. Das Biopic, welches sich alle Mühe gibt, nicht als solches identifiziert zu werden, konzentriert sich vorrangig um die Beziehung Bernsteins zu seiner Ehefrau Felicia Montealegre. Eine spannende Partnerschaft, war die Homosexualität (oder wenigstens Bisexualität) des Musikers doch hinlänglich bekannt. Nichtsdestotrotz schienen die beiden Menschen nicht voneinander zu trennen gewesen zu sein. Aus dem Grundgerüst heraus lässt Cooper (mit seinem Mitautoren Josh Singer) Bernsteins Weg in den Musikolymp Revue passieren.

Glänzende Oberfläche

Der Netflix-Film (der kurz vor den Weihnachtsfeiertagen am 20. Dezember auf der Plattform erscheinen wird) lief bei der diesjährigen Mostra von Venedig im Wettbewerb. Der Film ging leer aus, wird aber der Film sein, den Netflix in der kommenden „awards season“ pushen wird wie keinen anderen. Es ist ein Bilderbuchfilm für die Oscars – ein Hochglanzprodukt, sehr behäbig, aber mit Verve inszeniert. Und am Ende des Tages weiß man doch nicht so wirklich, was man damit anfangen soll. Aber gut, „a work of art does not answer questions, it provokes them; and its essential meaning is in the tension between the contradictory answers“. Bradley Cooper eröffnet seinen Film mit diesem Leonard-Bernstein-Zitat, was sich einerseits als tiefgründige Ansage gegenüber Kunst lesen lässt, andererseits auch das formale und dramaturgische Chaos dieses Films zu legitimieren versucht.

Bei allem Fokus auf die tatsächlich interessante Beziehung zwischen Bernstein und Montealegre wird die Musik, die die beiden begleitet, fast nebenher abgefrühstückt. Und dabei wiederholt Coopers Bernstein immer wieder, wie sehr er Menschen und die Musik liebt. Erst im letzten Drittel kommen diese zwei Facetten in der Ely-Kathedrale zusammen. Ein erhabener filmischer Moment – der vor allem von Mahlers Zweiten getragen wird – wird jedoch von Carey Mulligan und einem spektakulären Dialogmoment zunichtegemacht. Bradley Coopers Interpretation dieser überlebensgroßen Figur scheitert nicht an seiner Nasenprothese, ganz im Gegenteil: Sein Auftreten ist zum Teil nicht vom Original zu unterscheiden. Trotzdem fragt man sich oft, was unter dem ganzen Make-up vor sich geht. „Maestro“ ist glänzende Oberfläche, mit wenigen überragenden Momenten. Was man dem Film jedoch nicht vorwerfen kann, ist die Lust, danach „Candide“, die „West Side Story“ und von Bernstein dirigierte Klassik hören zu wollen.