Mit der Politik der konservativen Regierungen Großbritanniens in den vergangenen Jahren scheint John Armitage recht zufrieden gewesen zu sein. Nicht, dass er sonderlich laut darüber geredet hätte, das entspricht nicht dem Comment für erfolgreiche Hedgefonds-Manager in der City of London. Still und diskret hat der Chefanleger von Egerton Capital der Tory-Partei über die Jahre 3,1 Millionen Pfund (3,68 Mio. Euro) zukommen lassen, darunter eine coole halbe Million seit Boris Johnsons Amtsantritt im Juli 2019. Jetzt aber hat der vielfache Millionär die Nase voll vom britischen Premierminister und sagt dies auch öffentlich: „Wer die moralische Autorität verloren hat, sollte seinen Hut nehmen.“
Dass der Regierungschef daran nicht einmal im Traum denkt, hat er in den vergangenen Tagen eindeutig unter Beweis gestellt. Am vergangenen Wochenende baute der 57-Jährige sein Team in der Downing Street um und ließ den Medien zutragen, seine Gegner bräuchten schon „eine Panzerdivision“, um ihn loszuwerden. Am Dienstag beförderte er bei einer Mini-Regierungsumbildung treue Brexit-Kumpane und signalisierte seiner weit rechts stehenden Fraktion größeres Mitspracherecht.
Begeisterung über Lockerung
Die Fragestunde des Premierministers schließlich eröffnete Johnson am Mittwochmittag mit einer Ankündigung, die auf den konservativen Bänken des Unterhauses Begeisterung hervorrief: Sollte sich die Corona-Pandemie so weiterentwickeln wie bisher, werde die Regierung die Aufhebung sämtlicher Einschränkungen um einen Monat auf Ende Februar vorziehen können. Dazu gehört vor allem die fünftägige häusliche Isolation im Fall eines positiven Covid-Tests. Das Tragen von Masken ist in England längst optional, Impfpässe zum Zugang zu geschlossenen Räumen hat es ohnehin nie gegeben.
Wie lax selbst Gesundheitsverantwortliche in der Regierung schon jetzt im Kampf gegen SARS-CoV-2 geworden sind, verdeutlichte ausgerechnet am Mittwoch die Staatssekretärin für psychische und seelische Gesundheit. Vor einem Termin mit Angehörigen jugendlicher Selbstmörderinnen unterzog sich Gillian Keegan zwar einem Test, wartete das Ergebnis aber nicht ab. Mitten in dem seit Monaten anberaumten Termin zu dem sensiblen Thema wurde ihr mitgeteilt, ihr Ergebnis sei positiv ausgefallen. Keegan machte trotzdem weiter, angeblich mit dem Einverständnis der Gesprächspartner. Hinterher entschuldigte sich die 53-Jährige für ihren „Beurteilungsfehler“. Von Rücktritt war natürlich nicht die Rede.
Wie auch, wenn doch der im Amt verharrende Regierungschef höchstpersönlich an einer Reihe von Lockdown-Partys teilgenommen hat? Zu einem dieser Events wurde Johnson im Parlament angesprochen: Ein neu aufgetauchtes Foto zeigt ihn mit einer offenen Flasche Champagner bei einer Weihnachtsfeier im Dezember 2020 zu einer Zeit, als in London sämtliche Partys in geschlossenen Räumen verboten waren. Bisher hatten die Sprecher der Downing Street stets behauptet, der Premier habe nur „kurzzeitig und zu Beginn der Party“ teilgenommen, um sich bei seinen Leuten zu bedanken. Der Fragesteller solle sich beruhigen, antwortete Johnson, das Event werde ohnehin bereits von der Polizei untersucht.
Aus den eigenen Reihen kam kein Widerstand gegen solch fadenscheinige Argumente, um eklatante Rechtsverstöße zu rechtfertigen. Mögen die Gesichter seiner Kabinettskollegen auf der Regierungsbank auch lang und immer länger werden – alles deutete am Mittwoch darauf hin, dass Johnson in die am Donnerstag beginnenden zehntägigen Parlamentsferien gehen kann, ohne dass ihm die vielbeschworene Vertrauensabstimmung in der eigenen Fraktion ins Haus steht. Ob der Premierminister noch jene „moralische Autorität“ besitzt, deren Fehlen Banker Armitage auf der BBC beklagte, steht auf einem anderen Blatt.
Heiterkeit bei Freund und Feind
Immerhin – über Humor verfügt der Mann, den sein neuer Sprecher Guto Harri zu Wochenbeginn als „kein vollkommener Clown“ kennzeichnete. Hübschestes Beispiel seiner Mini-Regierungsumbildung war nämlich die neugeschaffene Stelle eines „Staatssekretärs für Brexit-Vorteile“. Dass Johnson diese Stelle im Kabinettsbüro, früher häufig für einen „Staatssekretär ohne Aufgabenbereich“ reserviert, auch noch mit Jacob Rees-Mogg besetzte, sorgte bei Freund und Feind für Heiterkeit.
Der 52-jährige Katholik und Vater von sechs Kindern, von Spöttern gern als „ehrenwerter Abgeordneter für das 18. Jahrhundert“ bezeichnet, war bisher als Minister für Parlamentsangelegenheiten („Leader of the House“) vor allem für seine entspannte, geradezu liegende Haltung auf den grünen Unterhaus-Bänken bekannt. Mit seinem beträchtlichen Reichtum hingegen ging Rees-Mogg ganz unentspannt um: Als der harte Brexit und damit Turbulenzen auf den Finanzmärkten vor der Tür standen, verlegte seine Asset-Management-Firma ihren Geschäftssitz kurzerhand nach Dublin.
Wie sich der EU-Ausstieg auf die normale Bevölkerung auswirkt, hat ebenfalls am Mittwoch der Parlamentsausschuss für öffentliche Ausgaben festgestellt: Britische Firmen und damit automatisch auch die Konsumenten hätten mit „höheren Kosten, Papierkrieg und Grenzverzögerungen“ zu kämpfen.
De Maart
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