Donnerstag30. Oktober 2025

Demaart De Maart

Putins KriegBilder aus der Ukraine rufen in Sarajevo traumatische Erinnerungen wach

Putins Krieg / Bilder aus der Ukraine rufen in Sarajevo traumatische Erinnerungen wach
Kriegsruine aus den 90er Jahren in der südbosnischen Stadt Mostar Foto: Elvis Barukcic/AFP

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Das Blutvergießen in der Ukraine ruft vor allem in Bosnien und Herzegowina Erinnerungen an die Jugoslawienkriege der 90er Jahre wach. Vor 30 Jahren begann die Belagerung von Sarajevo. Die Parallelen zwischen dem Bosnien- und dem Ukrainekrieg sind auffällig. Doch es gibt auch Unterschiede.

Zerstörte Wohnblöcke, ausgebrannte Panzer, Leichen auf den Straßen und endlose Flüchtlingskolonnen: Nirgendwo stoßen die Kriegsbilder aus der Ukraine auf ein so traumatisiertes Echo wie in dem zerrissenen Vielvölkerstaat Bosnien und Herzegowina.

„All unsere Friedensdemonstrationen und Appelle fruchteten nichts. Der Krieg kam. Und wir waren mehr als 1.400 Tage ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne Gas, ohne alles“, erinnert sich ein weißhaariger Rentner an der Marschall-Tito-Straße in Sarajevo an die Schrecken des Bosnienkriegs (1992-1995): „Ich fürchte, dass den Ukrainern nun dasselbe Schicksal wie uns damals droht.“  

Vor knapp 30 Jahren begann in der Nacht zum 5. April 1992 die Belagerung von Sarajevo – und der Bosnienkrieg. Über zwei Millionen Menschen – gut die Hälfte der Bevölkerung – wurden vertrieben. Knapp 100.000 Menschen verloren beim blutigsten der Jugoslawienkriege ihr Leben: Allein bei dem im Juli 1995 begangenen Genozid von Srebrenica wurden mehr als 8.000 muslimische Bosniaken bei systematischen Massenhinrichtungen ermordet.

Egal, ob muslimische Bosniaken, bosnische Serben oder Kroaten: Vor allem bei älteren Bosniern rufen die verstörenden Bilder aus Charkiw, Mariupol und Kiew ungute Erinnerungen an die vor drei Jahrzehnten selbst erlebten Kriegs- und Flüchtlingsschrecken wach. Tatsächlich gibt es auffällige Parallelen zwischen dem Ukraine- und dem Bosnienkrieg, aber auch Unterschiede.

Wie heute Putin das Existenzrecht der Ukraine infrage stellt, sprach 1992 der serbische Autokrat Slobodan Milosevic und später auch der kroatische Staatsgründer Franjo Tudjman den Nachbarn das Recht auf den eigenen Staat ab. Eigene territoriale Ambitionen wurden auch von Belgrad und Zagreb mit dem Schutz der eigenen Volksgruppe gerechtfertigt. Wie heute lehnte der Westen eine direkte Kriegsbeteiligung ab: Russland war nach dem Zerfall des Sowjetimperiums Anfang der 90er Jahre ohnehin mit sich selbst beschäftigt.

Nachhaltige Zerrüttung

Doch während in den 90er Jahren das UN-Waffenembargo für alle Kriegsteilnehmer galt, steht der Westen der Ukraine nun mit Waffenlieferungen aktiv beiseite. Klassifizierte der Westen die Jugoslawienkriege als „Bürgerkriege“, spricht er nun klar von einer Invasion.

Zivile Opfer gab es in Bosnien im Gegensatz zur Ukraine auf allen Seiten. Während bei Bosniens „ethnischen Säuberungen“ viele Opfer in die von den „eigenen“ Armeen kontrollierten Landesteile flüchteten, scheinen ihre ukrainischen Schicksalsgenossen nur jenseits der Landesgrenze sicher. In Bosnien konnte keine Seite einen Sieg erzwingen. Nun steht der Ukraine ein haushoch überlegener Aggressor gegenüber. Hatten die Jugoslawien-Kriege für eine nachhaltige Zerrüttung Südosteuropas zur Folge, hat der Ukraine-Krieg globale Auswirkungen: Die Sorge vor einem neuen Weltkrieg scheint keineswegs unbegründet.

Von einer echten Aussöhnung kann in Bosniens endloser Nachkriegszeit auch 30 Jahre nach Kriegsbeginn noch immer keine Rede sein. Dennoch stehen weniger die Sorge vor einem neuen Waffengang als politische Gründe hinter der Entscheidung, die Stärke der internationalen Eufor-Truppe mit 1.100 Soldaten fast zu verdoppeln: Der Westen will Moskau signalisieren, dass er der versuchten Ausbreitung des russischen Einflusses auf dem Balkan künftig entschieden entgegentreten will.