36 Jahre lang wohnte Joe Biden den Ansprachen der US-Präsidenten im Kongress als Senator im Publikum bei. Weitere acht Jahre saß er als Vizepräsident bei den Reden hinter Präsident Barack Obama. Am Mittwochabend ist nun Bidens große Stunde gekommen: Erstmals spricht der 78-Jährige als Präsident der Vereinigten Staaten im Kapitol vor den beiden Kammern des US-Kongresses, am Vorabend seines 100. Tages im Amt. Seinem Stil bleibt der Demokrat treu: Seine 65-minütige Ansprache ist versöhnlich, nicht spalterisch. Seinen Landsleuten macht Biden Mut. Auch mit Blick auf den erstarkenden Rivalen China verspricht er: „Die Zukunft wird Amerika gehören.“
Biden beschwört einen amerikanischen Neuanfang nach der Ära seines Vorgängers Donald Trump. „Nach 100 Tagen der Rettung und Erneuerung ist Amerika bereit zum Abheben. Wir arbeiten wieder. Träumen wieder. Entdecken wieder. Führen die Welt wieder an“, sagte Biden am Mittwochabend (Ortszeit) im US-Kapitol. Hoffnungsvoll äußerte sich der Demokrat mit Blick auf die Corona-Pandemie und warb für billionenschwere Pläne, mit denen er in den USA einen tiefgreifenden Wandel herbeiführen will.
Seit Biden am 20. Januar den Republikaner Trump im Weißen Haus abgelöst hat, prägt er einen ganz anderen Stil. Trotz der bisherigen Blockadehaltung der Republikaner stimmte Biden versöhnliche statt konfrontative Töne an. Die erste Rede eines neuen Präsidenten bei einer gemeinsamen Sitzung des Repräsentantenhauses und des Senats im US-Kapitol wird traditionell nicht als Rede zur Lage der Nation bezeichnet, die ansonsten jährlich erfolgt.
In diesem Jahr war einiges anders. Erstmals in der Geschichte der USA saßen bei diesem Anlass zwei Frauen hinter dem Präsidenten: Kamala Harris, die erste Vizepräsidentin des Landes, und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Zudem war Bidens Publikum wegen der Corona-Pandemie deutlich kleiner als in einem normalen Jahr. Die 200 statt üblicherweise 1.600 Zuhörer saßen getrennt voneinander und mit Masken in den Rängen.
Wir arbeiten wieder. Träumen wieder. Entdecken wieder. Führen die Welt wieder an.
Biden forderte Abgeordnete beider Parteien auf, weitreichende Pläne seiner Regierung zu unterstützen. Ein von ihm vorgeschlagenes Infrastrukturpaket bezeichnete er als größten Anschub für den Arbeitsmarkt seit dem Zweiten Weltkrieg. Das mehr als zwei Billionen US-Dollar (rund 1,7 Billionen Euro) umfassende Programm werde in den kommenden acht Jahren zudem massives Wachstum schaffen.
Weitreichend sind auch Bidens Pläne zur Unterstützung von Familien und zur Förderung der Bildung. Er will die schmalen Sozialleistungen deutlich ausweiten und die Kosten in Höhe von 1,8 Billionen US-Dollar über Steuererhöhungen stemmen. „Niemand sollte zwischen einem Job und einem Gehaltsscheck oder der Versorgung von sich selbst und eines geliebten Menschen – eines Elternteils, Ehepartners oder Kindes – wählen müssen“, sagte der Präsident.
Warnungen an Moskau und Peking
Doch die USA sind innenpolitisch weiter tief gespalten. Bidens Vorschläge bedürfen der Zustimmung des Kongresses, wo die Demokraten nur eine hauchdünne Mehrheit halten. Und einige Vorhaben könnten selbst bei einzelnen gemäßigten Demokraten im Senat auf Ablehnung stoßen.
Mit Blick auf die Corona-Pandemie zeigte sich Biden hoffnungsvoll: Er zog eine positive Zwischenbilanz und forderte die Amerikaner auf, sich impfen zu lassen. Es seien genügend Impfdosen verfügbar. „Die letzten 100 Tage in einer der schlimmsten Pandemien der Geschichte waren eine der größten logistischen Errungenschaften, die dieses Land jemals gesehen hat.“ Doch noch sei die Seuche nicht besiegt, die USA müssten wachsam bleiben. Biden widmete sich auch anderen drängenden Problemen des Landes wie der „Epidemie der Waffengewalt“ und strukturellem Rassismus, bei denen er die Parteien zur Zusammenarbeit aufrief. Biden sagte, nun gelte es, wahre Veränderung herbeizuführen.
Zwar stellte Biden die innenpolitische Agenda ins Zentrum der Rede, aber er ging auch auf Herausforderungen durch China, Russland, den Iran und Nordkorea ein. Chinas Präsidenten Xi Jinping rief er zur Einhaltung globaler Handelsregeln auf. Den russischen Präsidenten Wladimir Putin warnte Biden inmitten zunehmender Spannungen vor einer weiteren Eskalation. Moskaus Handeln werde Konsequenzen haben.
Die „Krisen unserer Zeit“ könne keine Nation allein bewältigen, sagte Biden. Als Beispiele nannte er Terrorismus, Cybersicherheit, den Klimawandel und Pandemien. Die USA seien zurück, um die Welt anzuführen – gemeinsam mit ihren Verbündeten.
Am Redepult rief Biden auch die dramatischen Bilder vom 6. Januar in Erinnerung, als Trump-Anhänger den Sitz des US-Kongresses gewaltsam gestürmt hatten. „Der Aufruhr war eine existenzielle Krise – ein Test, ob unsere Demokratie überleben kann.“ Überlebt habe sie – nun gelte es aber, im Wettbewerb mit den Autokratien der Welt zu zeigen, dass die US-Demokratie noch immer funktioniere. (dpa)
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