EditorialBergkarabach und die Folgen: Der Verlierer steht fest – doch wer hat überhaupt gewonnen?

Editorial / Bergkarabach und die Folgen: Der Verlierer steht fest – doch wer hat überhaupt gewonnen?
Wohnzimmer nach Bombenbeschuss in Stepanakert: Die Folgen des Krieges reichen weit über Bergkarabach hinaus Foto: Armand Back

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Dieser ferne Krieg um diesen merkwürdigen Flecken Erde namens Bergkarabach, in dem ferngesteuerte Hightech-Drohnen menschenbetriebene Sowjet-Panzer zerschossen und innerhalb von sechs Wochen Tausende starben, ist vorbei.

Sein Ende ist das erwartete in einer Auseinandersetzung zwischen einer wirtschaftlich wackeligen Drei-Millionen-Nation und einer rohstoffgesegneten Zehn-Millionen-Nation. Die Kleinen mussten kapitulieren und bekamen einen Friedensvertrag aufgezwungen, der alles Erträumte zunichtemacht und einiges Errungene infrage stellt. Der Deal beendet diesen Krieg. Im Konflikt um Bergkarabach, dem ewigen Kampf zwischen Armenien und Aserbaidschan, markiert er nur ein weiteres Kapitel.

Doch auch die Machtverhältnisse in der Region haben sich verschoben.

Armenien hat den Krieg verloren. Wer ihn gewonnen hat, ist weniger eindeutig. Armenien hoffte umsonst auf seine Schutzmacht Russland, Aserbaidschan wusste von Beginn an die Türkei hinter sich. Russland, das auch an Aserbaidschan Waffen verkauft, meldete sich erst, um beiden Seiten das Ende ins Heft zu diktieren – und die eigenen Bedingungen noch dazu. Dem militärischen Sieger Aserbaidschan setzen russische Friedenssoldaten ein enges Korsett. Armenien ist noch mehr unter die Fuchtel Moskaus geraten, eine Schutzmacht, auf die kein Verlass ist.

In Ankara ist die Freude groß. Die Türkei unterstützte Baku, schleuste syrische Dschihadisten an die Front, lieferte Kampfdrohnen – und trieb diesen Krieg so entscheidend voran. Nach Einmischungen in Syrien, im Irak und Libyen sowie dem Gasstreit im Mittelmeer schreibt Erdogan seine aggressive Außenpolitik fort. In Bergkarabach haben türkische Drohnen nach Syrien und Libyen den dritten Konflikt im laufenden Jahr mitentschieden. Moskau mag die Nachkriegsordnung im Südkaukasus diktieren, Ankara bestimmte das Kriegsgeschehen. Die USA waren aus Trump-Gründen abgemeldet. Aus Europa hat sich vor allem Frankreich zu Wort gemeldet, aber dessen Wort hat im Südkaukasus kaum Gewicht.

Demnach war früh absehbar geworden, dass die Republik Arzach, so die Eigenbezeichnung, und Armenien diesen Krieg alleine wegstecken müssten, die 150.000 Menschen in Bergkarabach ihrem Schicksal überlassen würden. Was dann auch geschah: Wohnhäuser, Märkte, Schulen, Geburtskliniken und eine Kathedrale wurden bombardiert, Hunderttausend mussten flüchten. Über den NATO-Staat Türkei eingebrachte Dschihadisten blieben ebenso eine Randnotiz im Weltgeschehen wie in Kriegsgefangenschaft enthauptete Kämpfer der Verteidigungskräfte Bergkarabachs. Dass Streubomben zum Einsatz kamen und Phosphor abgeworfen wurde, um ganze Wälder abzufackeln, blieb folgenlos.

Die russisch-türkischen Beziehungen sind unterdessen noch komplizierter geworden, als sie es bereits waren. Mal ist man Feind, mal Freund, gegenseitige Provokationen und wirtschaftliche Kooperationen gehen Hand in Hand. Beide Staaten haben ihre regionale Macht unter Beweis gestellt. Und trotz aller Differenzen sind sich beide Staaten einander näher, als sie es jeweils zu Europa sind. Den Südkaukasus machen Moskau und Ankara unter sich aus, der Rest der Welt schaut zu. Die Karabach-Armenier bezahlen den Preis.

J.Scholer
15. November 2020 - 9.59

Nachtrag , den aktuellen Ereignissen in Berg-Karabach wegen: Nach den letzten Nachrichten verlässt die armenische Bevölkerungsmehrheit Berg-Karabach. Die Angst vor Völkermord , die Angst vor dem islamischen Feind treibt die Einwohner dazu ihr Hab und Gut zu verbrennen. Auch wenn wir noch nicht von etnischer Säuberung sprechen , doch eindeutig hier eine Völkervertreibung stattfindet .Nun kann man nur hoffen die Kulturgüter , wie das Dadiwank-Kloster nicht aus religiösen Wahnsinn zerstört werden. Traurig keine Politikerstimmen aus Europa sich gegen diesen Krieg, diese Völkervertreibung erhoben haben. Ich ziehe Parallelen zu der Judenverfolgung , der Shoa.Vor 1940 wussten viele Politiker, Bürger in Europa die Juden verfolgt wurden , in den Jahren 1940 bis 1945 war bekannt was in den Konzentrationslagern vorgeht, nach 1945 wurden einige Täter abgeurteilt, die Mehrzahl wurde bewusst verschont und trat in die Dienste der Wirtschaft, Staat,.....wurden zu Helfern im Kalten Krieg. Heute geben wir uns bestürzt über die bekannten Taten , ziehen unserer Moral , humanistischer Denkweise wegen einige alte greise Täter vor Gericht , trotz wir wissen sie ihre Strafe nie büssen werden und wenn dann wie jetzt in Berg-Karabach ein weiteres düsteres Kapitel der Menschheit sich auftut , schweigen wir , der Souveränität, der Wirtschaft anderer Länder wegen. Ich verwehr mich dagegen , egal welcher Interessen wegen, Menschen ihrer Zugehörigkeit zur Religion, Ethnie aus ihrer Heimat vertrieben, ermordet werden, verwehre mich dagegen längst vergangener , schändlicher Zeitgeschichte nach Tätern zu suchen, wir es nicht fertigbringen neuer schändlicher Zeitgeschichte, Tätern entgegenzutreten neue Völkervertreibung und Völkermord zu verhindern.

Edy Kirsch
14. November 2020 - 12.30

Fazit: Europa huet Armenien eng zweete Kéier verroden an den Erdogan ka weider maache, wat e wëll.

J.Scholer
14. November 2020 - 11.08

Ewiger Frieden, Pazifismus wie Humanismus ein utopischer Traum bleibt ,Wahrheit und Fakt , ein Krieg nur Verlierer kennt. Werter Herr Back Ihr Artikel betrübt mich , er in den Ansätzen zwar nicht falsch ist , doch Sie der Wahrheit und Informationspflicht wegen einige Hintergründe dieses Stellvertreterkrieg nicht kommentieren. Ich verweise auf einen Artikel Ihres Journalistenkollegen Tal Leder ( In Berg-Karabach droht ein Stellvertreterkrieg) betreffend die Interessen mancher Länder und Nationen. Vergessen wir ebenfalls nicht , die EU Länder die militärische Güter an die Türkei liefern, an diesem Krieg mitverdienen. Noch mehr Sorge macht mir die Gefahr einer ethnischen Säuberung sprich Völkermordes an der Bevölkerung. Die Völkermorde an den Armenier, den Juden, die Killing Fields,....Sebrenica waren keine Lehre, im Gegenteil.Ich berufe mich auf die Aussagen im Zusammenhang mit Völkermorden von Yehuda Bauer( israel.Historiker) :“Menschen sind vorprogrammiert auf Mord.“ und „ Wir bestehen auf Souveränität .“Wir kennen das radikale Vorgehen der Dschihadisten, Russland als Garant einer Friedenstruppe in meinen Augen , eben der Kehre aus Sebrenica wegen, nicht vertrauenswürdig.Seien wir vorgewarnt oder keiner sollte später sagen , das wussten wir nicht.