Mittwoch22. Oktober 2025

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SerbienBelgrad fiebert einem Jahreswechsel fast wie zu Vor-Corona-Zeiten entgegen

Serbien / Belgrad fiebert einem Jahreswechsel fast wie zu Vor-Corona-Zeiten entgegen
Goran Bregovic und sein Wedding and Funeral Orchestra werden ebenfalls an Silvester in Belgrad für Stimmung sorgen Foto: Fabrizio Pizzolante/Editpress-Archiv

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Als wäre Covid nie gewesen: Fast wie im Vor-Corona-Leben lockt Serbiens Hauptstadt Belgrad mit unzähligen Silvesterpartys und Konzerten in Clubs, Restaurants, Cafes und auf den Straßen. Die Warnungen von Epidemiologen vor einer neuen Infektionswelle bleiben ungehört.

Nichts scheint in Europa mehr, wie es einst war, am Vorabend des dritten Corona-Jahrs. Statt des kollektiven Abzählens der letzten Jahressekunden auf Marktplätzen, in Wirtshäusern und Tanztempeln ist fast auf dem ganzen Kontinent Sektgläser-Klingen im kleinen Kreis angesagt. Nicht so in Serbien: Fast wie im Vor-Corona-Leben lockt die Party-Metropole Belgrad scheinbar immun gegen das Virus mit unzähligen Silvesterfeiern und Konzerten.

Als habe es Covid nie gegeben: Nicht nur der unverwüstliche Balkan-Barde Goran Bregovic, sondern fast alle bekannteren Goldkehlchen des Landes werden in der Neujahrsnacht in der Zweistromstadt brummen und summen, schmettern und trällern. „Die spektakulärste Silvesterfeier“ gelobt Belgrads „Stadtmanager“ Goran Vesic. Außer mit Freiluftkonzerten hoffen die Stadtväter ihre Schäflein mit Laser-Show und Feuerwerkspektakel in die vermutlich eher milde Silvesternacht zu locken.

Auch in Europas neuer Kulturhauptstadt Novi Sad, Nis oder Kragujevac sind zum Jahreswechsel öffentliche Rudelfeiern angesagt. Wie die Lemminge werden die Belgrader zu Silvester zudem erneut in die überfüllten serbischen Bergressorts pilgern. Allein auf der aus allen Fugen platzenden Großbaustelle Zlatibor werden über 45.000 Besucher erwartet: Trotz der Versicherung, dass alle Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden, scheint drangvolle Enge in den verrauchten Wirtshäusern, Festsälen und Hotels unausweichlich.

Zumindest ab 20 Uhr ist auch in Serbiens Gastronomie mittlerweile die Vorlage von Covid-Zertifikaten Pflicht: Angeblich nur Getestete, Geheilte oder Geimpfte sollen die Musentempel entern können. Obwohl die Kommunalverwaltung in Belgrad für die Silvesternacht zwei Schnelltestzentren eingerichtet hat und 5.000 Schutzmasken verteilen will, zeigen sich Epidemiologen besorgt.

Man sollte Menschenmassen besser vermeiden. Es wird noch genug Gelegenheiten zum Feiern geben.

Mirad Djerlek, serbischer Staatssekretär

Ansammlungen von mehr als 500 Menschen seien von „niemandem im Krisenstab genehmigt“ worden, ärgert sich der immer weniger zu Gehör kommende Chefepidemiologe Predrag Kon: Die Silvesterfeiern könnten auch wegen der Heimkehr der Gastarbeiter aus dem Ausland zum „Auslöser“ sprunghaft steigender Infektionszahlen werden.

Weniger Infizierte, aber auch wenig Geimpfte

Doch die Epidemiologen-Warnungen bleiben weitgehend ungehört. Einerseits ist die Gastronomie-Lobby stark. Gleichzeitig lassen die nahenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Frühjahr die Würdenträger im Vorwahlkampf vor unpopulären Covid-Maßnahmen eher zurückschrecken. Andererseits ist die epidemiologische Lage im Balkanstaat im Moment im Gegensatz zu Westeuropa eher ruhig.

Seit Ende Oktober ist die Sieben-Tage-Inzidenz von 726 auf 114 geschrumpft und der Anteil der positiven Getesteten von fast 35 auf 8,5 Prozent gesunken. Doch letzte Woche ist auch in Serbien erstmals das Omikron-Virus registriert worden. Die zu Jahresbeginn zunächst sehr flott angelaufene Immunisierung ist in den letzten Monaten fast vollständig ins Stocken geraten: Im Land der überzeugten Impfmuffel sind erst 48 Prozent der Bevölkerung zumindest einmal geimpft.

„Die Risiken, die uns im nächsten Monat erwarten, sind groß“, warnt Staatssekretär Mirad Djerlek: „Man sollte Menschenmassen besser vermeiden. Es wird noch genug Gelegenheiten zum Feiern geben.“

Doch Belgrad setzt zu Vorwahlzeiten lieber aufs Feier-Zuckerbrot statt auf die unpopuläre Maßnahmen-Peitsche. Anstatt angesichts der sich ausbreitenden Omikron-Variante restriktivere Vorsorgemaßnahmen zu treffen, „geben wir dem Volk Spiele und Zirkus“, klagt der Epidemiologe Zoran Radovanovic: „Und das wird sich in den kommenden Monaten bitter rächen.“