Montag24. November 2025

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Historischer StreikBelgische Regierung will noch mehr Sozialabbau – Gewerkschaften rufen drei Tage landesweite Proteste aus

Historischer Streik / Belgische Regierung will noch mehr Sozialabbau – Gewerkschaften rufen drei Tage landesweite Proteste aus
Die Eisenbahner waren unter den ersten, die am Montag in Belgien die Arbeit niedergelegt haben Foto: Dirk Waem/Belga/AFP

Das hat Belgien seit den wilden 80er Jahren nicht mehr erlebt: Die Gewerkschaften haben nicht einen, sondern gleich drei Tage „grève nationale“, also einen landesweiten Streik, ausgerufen.

Mit den Protesten, die am Montag begannen und bis Mittwoch dauern sollen, wollen die Arbeitnehmervertreter gegen die Austeritätspolitik der rechtsliberalen Regierung um Premier Bart De Wever (N-VA, flämische Nationalisten) protestieren.

De Wever quittierte den historischen Streik auf seine Art: mit noch mehr Zumutungen. Wenige Stunden, nachdem Eisenbahner, Bus- und Metrofahrer und andere öffentlich Bedienstete die Arbeit niedergelegt hatten, verkündete der Premier eine Einigung im wochenlangen Budgetstreit. Sie sieht Einsparungen in Höhe von 9,2 Milliarden Euro vor. Die Maßnahmen, die bis 2029 umgesetzt werden sollen, bringen weitere soziale Einschnitte und Härten.

So sollen zwei Milliarden Euro im Gesundheitswesen gekürzt werden. Die so genannte „Arizona“-Regierung will auch 100.000 Langzeitpatienten wieder in Lohn und Brot bringen, um noch mehr Geld zu sparen. Außerdem soll die Mehrwertsteuer beim Gas und bei sportlichen Aktivitäten steigen, während der automatische Inflationsausgleich bei Löhnen ab 4.000 Euro brutto im Monat ausgesetzt wird. Für Belgien kommt dies einem Tabubruch gleich.

Wenn Sie es nicht wagen, schmerzhafte Entscheidungen zu treffen, dann sind Sie des Regierens nicht würdig

Bart De Wever, belgischer Premierminister

Es gehörte nämlich zu den sozialen Errungenschaften, dass die Löhne automatisch an die Preise angepasst wurden. Arbeitslose konnten jahrelang auf einen neuen Job warten, ohne dass die Arbeitslosenbezüge gekürzt wurden. Mehr als eine halbe Million Belgierinnen und Belgier sind aus gesundheitlichen Gründen seit mehr als einem Jahr krank geschrieben und genießen großzügige Unterstützung. All dies will bzw. muss die Regierung nun zusammenstreichen.

Der Zwang kommt von den Finanzmärkten, die hohe Zinsen für den riesigen belgischen Schuldenberg verlangen, aber auch von der EU. Die EU-Kommission hat Belgien zum Abbau seines Defizits verdonnert, zugleich aber höhere Ausgaben für die Rüstung gefordert. Auf diese Quadratur des Kreises antwortet die Regierung mit einem Sparkurs, der wesentlich härter ist als in den Nachbarländern. Entsprechend hart auch fällt die Reaktion der Gewerkschaften aus. Sozialdialog? Fehlanzeige!

„Angriff auf die Kaufkraft“

Statt auf die Streikenden zuzugehen, goss De Wever sogar noch Öl ins Feuer. „Ich will ehrlich sein: Jeder wird es in seiner Brieftasche spüren“, erklärte er bei der Präsentation seiner Sparpläne. „Wenn Sie es nicht wagen, schmerzhafte Entscheidungen zu treffen, dann sind Sie des Regierens nicht würdig,“ fügte er hinzu. Um seine Politik durchzusetzen, hatte De Wever sogar mit dem Rücktritt gedroht und eine letzte Frist bis Weihnachten gesetzt.

Nun kann der flämische Politiker weitermachen, seine Koalition hat den Streit vorerst beigelegt. Doch auf der Straße brodelt es. Das Volk ist unzufrieden, wie zwei zufällig ausgewählte Stimmen zeigen. „Wenn man uns noch mehr wegnimmt, weiß ich nicht, wovon ich leben soll“, sagt Simone, eine 79-jährige pensionierte Landwirtin. „Die Maßnahmen werden den belgischen Sport schwer treffen“, fürchtet Jeremy, ein 30-jähriger Sportlehrer.

Die linke Opposition greift die Unzufriedenheit auf. „Diese Maßnahmen haben keine Legitimation, keine Partei hatte sie in ihrem Wahlprogramm“, sagt Raoul Hedebouw, Chef der linksradikalen Partei der Arbeiter PTB. Der Regierung wirft er „Rentenraub“ und einen „Angriff auf die Kaufkraft“ vor. Ähnliche Töne kommen vom wallonischen Sozialistenchef Paul Magnette. Jeder zweite Arbeitnehmer werde unter den Sparmaßnahmen leiden, kritisiert er.

Bei den Streikenden sind De Wevers Ankündigungen wie eine Bombe eingeschlagen. Sie wollen ihre Proteste nun sogar noch ausweiten. Nach dem Schienenverkehr am Montag sollen am Dienstag Krankenhäuser, Kindertagesstätten und Schulen bestreikt werden. Für Mittwoch haben die Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen, der Flugverkehr in Brüssel wird eingestellt.