Montag27. Oktober 2025

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Nordirland vor TurbulenzenBei der Wahl am Donnerstag dürfte erstmals eine irisch-nationalistische Partei vorn liegen

Nordirland vor Turbulenzen / Bei der Wahl am Donnerstag dürfte erstmals eine irisch-nationalistische Partei vorn liegen
Mit Michelle O’Neill (2.v.r.) will Sinn Féin erstmals Platz eins erreichen Foto: AFP/Paul Faith

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Bei der Wahl am Donnerstag dürfte erstmals eine irisch-nationalistische Partei vorn liegen. Das macht die Befriedung der britischen Provinz nicht leichter

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Nirgendwo gilt dieser Merksatz eindeutiger als in Nordirland, wo an diesem Donnerstag das Regionalparlament neu zusammengesetzt wird. Seit der Spaltung der grünen Insel in die Republik und den britischen Nordosten vor 101 Jahren stehen die Politiker vor schier unüberbrückbaren Gegensätzen: die machtgewohnte protestantische Mehrheit und die lange unterdrückte katholische Minderheit; Königs-treue, nach London schauende Unionisten und irische, nach Dublin orientierte Republikaner; die aufs offene Meer blickende Industriestadt Belfast und der tief konservative ländliche Raum.

Das Karfreitagsabkommen beendete 1998 nicht nur einen blutigen, drei Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg. Es spannte auch die Vertreter der unterschiedlichen Gruppierungen in eine unbequeme Konkordanzregierung nach Schweizer Muster zusammen. Ein knappes Vierteljahrhundert nach seinem mühsamen Zustandekommen wirkt der politische Kompromiss so bedroht wie nie zuvor.

Drei Hauptursachen

Dafür gibt es drei Hauptursachen. Die Mehrheit wird, erstens, zur Minderheit, jedenfalls politisch: Während viele Unionisten von der skandalgeplagten DUP abwandern, machen die Nationalisten ihr Kreuz überwiegend bei Sinn Féin (SF). Den Umfragen zufolge werden die beiden Großen – 2017 fast gleichauf – Stimmen einbüßen; weil aber der DUP größere Verluste ins Haus stehen, wird SF erstmals Platz eins und damit den Posten der Ersten Ministerin beanspruchen können.

Die Kandidatin Michelle O’Neill diente schon bisher als Ko-Regierungschefin, nur gemeinsam ist das Duo handlungsfähig. Aber die Symbolik zählt. Sie dürfte, zweitens, zwei Trends verstärken: Die DUP und ihre angst-beladene Wählerschaft ziehen sich noch stärker in die Wagenburg unionistischer Gewissheiten zurück. Gleichzeitig werden auf Seiten der triumphalistisch auftretenden Republikaner die Rufe nach einer Volksabstimmung über die Wiedervereinigung lauter.

Über allem liegt, drittens, der schwere Brexit-Schatten. Eigentlich leben die Nordiren in der besten aller Welten: Um die Landgrenze offenzuhalten, gehören sie weiterhin teilweise dem EU-Binnenmarkt an. Um dessen Integrität zu gewährleisten, einigten sich Brüssel und London auf begrenzte Zoll- und Einfuhrkontrollen zwischen Nordirland und der Hauptinsel. Die müssten weg, schreien die Unionisten, und werden darin von Boris Johnsons Regierung bestärkt.

Und eine Gewissheit

Der Premierminister und seine Konservativen haben am Donnerstag in Großbritannien ebenfalls Wahlen zu bestehen und dürften dabei Einbußen erleiden. Mag sein, dass es dann zum längst erwarteten Aufstand gegen den polizeilich abgestraften Lockdown-Sünder kommt. Gewissheit hingegen besteht über eines: In die Stabilität, ja den Frieden Nordirlands müssen die Regierenden in London ebenso wie in Dublin sowie die Brüsseler EU-Kommission schon bald erheblich mehr politisches und finanzielles Kapital investieren.

Tendenzen in Schottland und Johnsons Zukunft

Traditionell gilt der Wahltag Anfang Mai als wichtiger Stimmungstest für die landesweiten Parteien ebenso wie die auf ihre jeweilige Region beschränkten Nationalisten. Bei den britischen Kommunalwahlen geht es demnach am Donnerstag nicht zuletzt um Boris Johnsons Zukunft – sehen die Briten im Premierminister eher einen Kriegshelden oder den Partylöwen? Natürlich steht diese Frage nicht auf den Stimmzetteln, mit denen die Briten an diesem Donnerstag vielerorts neue Kommunalvertretungen bestimmen. Von ihrer Beantwortung dürfte aber vieles abhängen: Wer Boris Johnsons lautstarke und tatkräftige Unterstützung der Ukraine, zuletzt am Dienstag dokumentiert durch eine gefeierte Rede per Live-Schaltung ins Kiewer Parlament, für wichtiger hält als die zahlreichen Lockdown-Partys in der Downing Street, wird eher dazu neigen, der konservativen Regierungspartei den Rücken zu stärken.
In Schottland muss der örtliche Tory-Chef Douglas Ross mit Verlusten rechnen, Platz Zwei dürfte nach langer Schwäche wiedereinmal an die Labour-Party unter ihrem jugendlichen Boss Anas Sarwar gehen. Unangefochten die Nummer Eins bleiben aber die Nationalisten unter Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon. Vom Amtsbonus profitieren wird in Wales hingegen Labour, wo Mark Drakeford als Erster Minister hohes Ansehen genießt.
Traditionell bleiben die Wahllokale bis 23 Uhr MESZ geöffnet. Ergebnisse gibt es daher frühestens am Freitagmorgen. sbo