Montag10. November 2025

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Alain spannt den BogenBeethovens Neunte mit Philippe Herreweghe und Dmitri Tschernjakows „Così fan tutte“

Alain spannt den Bogen / Beethovens Neunte mit Philippe Herreweghe und Dmitri Tschernjakows „Così fan tutte“
Das Orchestre des Champs-Elysées und das Collegium Vocale Gent spielten Beethoven in der Philharmonie Foto: Philharmonie Luxembourg/Sébastien Grébille

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Gerade in unserer Zeit sind Stellungnahmen gegen den Krieg auch in den Konzertsälen sehr wichtig, Künstlern lässt man heute unangebrachtes Verhalten nicht mehr so einfach durchgehen. Sei das durch politische Haltung (siehe Teodor Currentzis und Anna Netrebko), durch unflätiges Benehmen (siehe Sir John Eliot Gardiner) oder durch sexuelle Übergriffe (siehe François-Xavier Roth, Charles Dutoit und James Levine).

Umso wichtiger ist es auch, dass es in unserer Zeit in den Konzertsälen zu Stellungnahmen gegen den Krieg kommt und dass aktuelle Probleme und Geschehnisse auf den Theater- und Opernbühnen zeitgemäß inszeniert werden. Beides konnte man innerhalb einer Woche auf Luxemburgs Bühnen erleben, mal besser, mal schlechter.

Gegen den Krieg

Zum einen in dem Konzert des Orchestre des Champs-Elysées unter Philippe Herreweghe am vergangenen Freitag, wo das Collegium Vocale Gent vor dem eigentlichen Hauptwerk Hanns Eislers A-cappella-Chor „Gegen den Krieg op. 55“ (1936) anstimmen ließ, ein Werk, das Eisler bereits 1916 begonnen hatte und später dann 1936 nach den Regeln der Zwölftonmusik umschrieb. Der Text stammt von Bertolt Brecht und ist ein Mahnruf gegen den Krieg und die militärische Ordnung.

Ohne Pause kam es dann sofort zur Aufführung von Ludwig van Beethovens 9. Symphonie. Und wer Herreweghe kennt, der weiß, dass er kein Verfechter großer emotionaler bzw. spektakulärer Interpretationen ist. Somit bleibt die Aufführung durch sein auf historischen Instrumenten spielendes Orchestre des Champs-Elysées sehr stark der historischen Aufführungspraxis verpflichtet, so wie man sie vor zwanzig oder dreißig Jahren sah. Heute spielen selbst historisch informierte Ensembles weitaus lässiger und versöhnlicher. Herreweghe aber bleibt seiner Linie treu, befreit Beethoven von allen angedichteten Emotionen im Sinne eines romantischen Empfindens. Die Akzente sind hart, der Duktus rigide, das Spiel markant und die Tempi recht zügig, sodass selbst das wunderbare „Adagio molto e cantabile“ eher den Charakter eines Andante ohne viel „cantabile“ erhält.

Herreweghe schafft es, aus der heutigen plakativen Sichtweise der Neunten eine regelrechte Skulptur zu meißeln, die ohne Effekte und trügerisches Wohlbefinden auskommt. Das Finale deutet er richtig und lässt den Anfang relativ harsch erklingen, sodass die ersten Worte des Bassisten, „Oh Freunde, nicht diese Töne“, hier wirklich stimmen. Das Solistenquartett war mit Sophie Harmsen (Mezzo), Ilker Arcayürek (Tenor) und Jarrett Ott gut und mit Eleanor Lyons hervorragend besetzt. Aber wer sich jetzt auf eine ausufernde Freude eingestellt hatte, wurde trotz des großartigen Collegium Vocale Gent eines Besseren belehrt. Herreweghe blieb seinem historischen Konzept treu, dirigierte spannungsvoll, aber ohne aufgesetzte Emotionen. Vielmehr ließ er all dies sich aus der Musik selbst heraus entwickeln, was dann am Ende zu einem sehr interessanten, ungewohnten, aber durchgehend überzeugenden Resultat führte. Und dass das Publikum am Schluss restlos begeistert war, zeigt auch, dass die historische Aufführungspraxis endlich im Publikumsempfinden angekommen ist.

Musikalische Mogelpackung

Dmitri Tschernjakows Inszenierung von „Cosi fan tutte“ mag vielleicht ein Gewinn für das Theater sein, sie ist aber ganz sicherlich ein Verlust für Mozart. Am Beginn steht eine tolle Idee: Zwei in die Jahre gekommene Ehepaare treffen sich an einem abgelegenen Ort bei einem dritten Paar und entfliehen nach und nach der Öde und Routine des Ehealltags. Ob dies Tschernjakow wirklich gelingt, kann ich allerdings nicht sagen, denn ich verließ die Vorstellung noch während des ersten Aktes. Der Regisseur hatte sich für seine Inszenierung bewusst ein Solistenensemble zusammengestellt, bei dem jeder Sänger zwischen 50 und 60 Jahre alt und stimmlich oft schon über seinen Zenit hinaus war.

Vor allem aber, alle Sänger sind diesen Mozart-Rollen, die sie früher gesungen haben und in- und auswendig kennen, längst entwachsen. Wenngleich sie auch sehr spielfreudig agierten und Tschernjakows moderne Vision der „Così“ bestens umsetzten, so streiften sie gesanglich oft das stimmliche Desaster. „Oh Freunde, nicht diese Töne“ hätte man den Sängern am liebsten zugerufen. Was in den Ensembleszenen noch funktionierte, wurde in den Arien und Duetten zur Qual. Keine korrekt gesungene Linie, brüchiger Vortrag, knapper Atem, stimmliche Einbrüche trübten das Hörvergnügen doch extrem und nach Ferrandos katastrophal gesungener Arie „Un’aura amorosa del nostro tesoro“ gab es glücklicherweise einen Vorhang, sodass ich fluchtartig den Saal verließ und mich so dieser musikalischen Qual entziehen konnte.

Nein, mit dieser Inszenierung haben die Sänger Agneta Eichenholz (Fiordiligi), Claudia Mahnke (Dorabella), Nicole Chevalier (Despina), Charles Workman (Ferrando), Russell Braun (Guglielmo) und Georg Nigl (Don Alfonso) sich und vor allem dem Mozart-Gesang wirklich keinen Dienst erwiesen. Selbst der von mir sonst hochgeschätzte Georg Nigl war gesanglich eine reine Enttäuschung und ich fragte mich mit jedem Ton: „Ist das wirklich Mozart??“ Im Orchestergraben dirigierte Fabio Bondi einen in den Ansätzen historisch informierten, ruppigen Mozart ohne Eleganz, ohne Schönheit und ohne Subtilität.

Wenig Charme und Transparenz auch beim Luxembourg Philharmonic, das mit einem nur korrekten und pauschalen Spiel ebenfalls nur wenig Freude aufkommen ließ. Modernes Musiktheater ja, aber nur, wenn es nicht auf die Kosten der Musik und des Gesangs geht. Und in diesem Sinne ist diese Produktion von Mozarts „Così fan tutte“ vom Festival d’Aix-en-Provence, die in Zusammenarbeit mit dem Théâtre du Châtelet, den Théâtres de la Ville de Luxembourg und dem Festspielhaus Baden-Baden stattfand, musikalisch gesehen eine regelrechte Mogelpackung.

Dirigent Philippe Herreweghe führte die Musizierenden an
Dirigent Philippe Herreweghe führte die Musizierenden an Foto: Philharmonie Luxembourg/Sébastien Grébille
Eindrücke der Oper „Cosi fan tutte“, hier aufgeführt beim „Festival d’Aix-en-Provence“
Eindrücke der Oper „Cosi fan tutte“, hier aufgeführt beim „Festival d’Aix-en-Provence“ Foto: Monika Rittershaus
„Cosi fan tutte“ wurde im Grand Théâtre in Luxemburg-Stadt aufgeführt
„Cosi fan tutte“ wurde im Grand Théâtre in Luxemburg-Stadt aufgeführt Foto: Monika Rittershaus