Als Kernstück der vielfältigen Ankündigungen galt eine am Montag im Unterhaus vorgestellte, auf zehn Jahre angelegte Anti-Drogen-Strategie. Peinlich nur, dass ausgerechnet jetzt eine neue Untersuchung belegt: Im Herzen der parlamentarischen Demokratie wird nach Herzenslust gedopt und geschnupft. Parlamentspräsident („Mister Speaker“) Lindsay Hoyle hat Scotland Yard alarmiert.
Der Regierungschef war eigens nach Liverpool gereist, um als Drogen-Sheriff Eindruck zu machen. In einem Polizeiparka, den weißblonden Haarschopf unter einer schwarzen Wollmütze verborgen, pries Johnson seine Drogenpolitik, die in traditioneller Weise gleichermaßen auf Verfolgungsdruck wie auf Hilfe für die Süchtigen setzt. Rund 300.000 Problemfälle – auf das Konto dieser Abhängigen geht der Polizeistatistik zufolge die Hälfte aller Einbrüche sowie Diebstahls- und Raubdelikte im Land – erhalten bessere Therapiemöglichkeiten. Gleichzeitig sollen die Strafverfolger binnen zehn Jahren 2.000 jener „county lines“-Gangs aus dem Verkehr ziehen, die das ganze Land flächendeckend mit Kokain und Heroin versorgen.
Innenministerin Priti Patel nimmt außerdem eine dritte Gruppe aufs Korn: gelegentliche Konsumenten harter Drogen, die ihre Sucht so weit unter Kontrolle haben, dass sie bürgerliche Berufe ausüben können. Bei einer rechtskräftigen Verurteilung soll diesen Delinquenten zukünftig Führerschein oder Reisepass entzogen werden, wie es etwa bei Rasern im Verkehr oder Fußballhooligans üblich ist.
Der Drogenkonsum steigt, schwere Gewaltdelikte nehmen ebenso zu wie unsoziales Verhalten
Ob diese Idee einer gerichtlichen Überprüfung standhalten würde? Jedenfalls reiht sie sich nahtlos ein in die langjährige Politik von Regierungen verschiedener Couleur, die stets auf Härte und Abschreckung setzten. Zwar gibt es ein umfassendes Methadon-Programm sowie eng umgrenzte Experimente mit der medizinisch überwachten Ausgabe von Heroin an Schwerstsüchtige. Weiterhin steht aber die Strafverfolgung sowohl von Dealern wie von Süchtigen im Vordergrund. Dabei hat schon 2014 eine regierungsamtliche Untersuchung festgestellt, es gebe „keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen der Strenge der Bestrafung von Drogenbesitz und der Häufigkeit des Konsums”.
Während Johnson und Patel von der „größten Investition“ in Rehabilitierung und Therapie prahlen, verweist die Opposition auf die Sparpolitik konservativer Regierungen seit 2010, der viele Therapieplätze zum Opfer fielen. Die Regierung mache „zu häufig große Versprechungen“ ohne zählbare Ergebnisse zu liefern, mahnt Labours innenpolitische Sprecherin Yvette Cooper.
Hohe Zahl an Drogentoten
Einig sind sich die Fachleute immerhin in der Diagnose: Es muss etwas getan werden. „Der Drogenkonsum steigt, schwere Gewaltdelikte nehmen ebenso zu wie unsoziales Verhalten“, weiß Cooper. Die Zahl der Drogentoten in England und Wales lag im vergangenen Jahr bei 4.561, dem höchsten Stand seit 1993. In Schottland ist die Lage noch schlimmer: Dort starben 1.339 Menschen an den Folgen ihres Drogenkonsums; bezogen auf die Größe der Bevölkerung waren dies mehr als dreimal so viele wie im Rest des Landes.
Dass harte Drogen wirklich überall sind, beweisen neue Zahlen aus dem Palast von Westminster, dem Sitz des britischen Parlaments. Bei kürzlichen Schnelltests in den weitläufigen Gebäuden fanden sich in elf von zwölf Toiletten Kokainspuren, berichtet die Sunday Times. Speaker Hoyle hat deshalb Scotland Yard auf den Plan gerufen. Beim Ältestenrat steht das Thema diese Woche auf der Tagesordnung. Im Unterhaus gebe es ja seit langem Bombenspürhunde, weiß Ausschusschef Charles Walker. „Vielleicht müssen wir jetzt auch Drogenspürhunde einsetzen.“
Für die Regierung hat die neue Diskussion über die beste Drogenpolitik immerhin einen gewissen Ablenkungseffekt. Übers Wochenende waren die Zeitungen nämlich voll von anderem gesetzeswidrigen Verhalten: Im Advent vergangenen Jahres gab es in der Downing Street für offenbar mehr als drei Dutzend Angestellte eine fröhliche Weihnachtsfeier mit „Getränken, Snacks und Partyspielen“. Der Haken an der Sache: Zu diesem Zeitpunkt waren solche Zusammenkünfte bei Androhung saftiger Strafen verboten. „Alle Corona-Regeln wurden eingehalten“, beteuern Regierungsmitglieder ebenso treuherzig wie unglaubwürdig.
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