Sonntag19. Oktober 2025

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DeutschlandBald 100 Tage CDU-SPD-Koalition: Von weggeschlossenen Handys und eisigen Mienen

Deutschland / Bald 100 Tage CDU-SPD-Koalition: Von weggeschlossenen Handys und eisigen Mienen
Mit der Kommunikation hapert es noch: (v.l.) CSU-Innenminister Alexander Dobrindt, Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil und Kanzler Friedrich Merz Foto: AFP/Odd Andersen

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Trotz eines rasanten Gesetze-Starts ist die Koalition bereits kurz nach ihrem Start in einem turbulenten Sommer gelandet. Nach Gesprächen im Kanzleramt, mit Ministern, Partei- und Fraktionschefs schälen sich drei große Probleme heraus, an denen diese Koalition scheitern könnte, wenn Schwarz-Rot sie nicht löst. Eine Spurensuche.

Die Miene von Kanzler Friedrich Merz spricht Bände. Die von seinem Vizekanzler Lars Klingbeil auch, ebenso die von Unionsfraktionschef Jens Spahn. Es ist Freitagmittag, der letzte Tag im Bundestag vor der parlamentarischen Sommerpause. Eigentlich sollte es der Tag des gegenseitigen Händeschüttelns in der schwarz-roten Koalition werden. Man wollte sich für gemeinsame Projekte, besonders im Bereich der Wirtschaftsentlastung, feiern.

Doch stattdessen herrscht mindestens Katzenjammer, man musste eine verabredete Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht abblasen. Der Ärger unter- und aufeinander bei Union und SPD ist groß und legt offen, dass es bereits nach zwei Monaten Bruchstellen gibt.

Eines betrifft die Kommunikation: Lars Klingbeil ist beim Zahnarzt. Und bekommt sein Handy nicht leise, es summt ununterbrochen. Am anderen Ende ist der Bundeskanzler und will seinen Vize dringend sprechen. Es ist jener Freitagmorgen, kurz nach acht Uhr. Doch die Leitung funktioniert nicht, stattdessen gibt es eine SMS. Und die hat es in sich: Die Union könne dem Vorschlag der SPD für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, nicht zustimmen. Es gebe Plagiatsvorwürfe. Die Unionsfraktion werde sich deshalb bei der Abstimmung über diese Personalie enthalten. Ob sich Klingbeil an diesem Morgen von seinem Zahnarzt oder dem Kanzler schmerzhafter behandelt fühlte, lässt sich nicht recherchieren. Aber auch ein anderer hat zu diesem Zeitpunkt Schmerzen beim Blick auf sein Handy. CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder frühstückt in Berlin, gleich beginnt der Bundesrat. Doch dann traut auch Söder seinen Augen nicht. Plagiatsvorwürfe? An Söders Miene ist abzulesen, dass er das Vorgehen der Fraktion in Berlin für klares Missmanagement hält.

Probleme mit der Kommunikation

Schon ein paar Wochen zuvor hatte es Probleme in der Kommunikation gegeben, beim Thema Stromsteuer. Die Koalition verabredet ein umfangreiches Entlastungspaket bei den Energiekosten, vermeidet aber aus Kostengründen die Stromsteuersenkung für alle Haushalte. Finanzminister Klingbeil verkündet das bei einer Pressekonferenz etwas verdruckst, im Kabinett ist da die Vorlage aber schon durch, abgesprochen mit dem Kanzler. Doch dann schießt es aus der Union aus allen Löchern, der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, auch Söder und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst gehen auf die Barrikaden. Im Kanzleramt und im Finanzministerium ist man gleichermaßen verschnupft. Ein Koalitionsausschuss zu diesem Thema endet mit dem Ergebnis, dass Söder seine Mütterrente ein Jahr früher als von Klingbeil geplant bekommt. Es bleiben viele Fragezeichen, zumal auch der eigentliche Regierungsmanager, Kanzleramtsminister Thorsten Frei, bei diesem Termin nicht vor Ort, sondern in seinem Wahlkreis ist. Das versteht keiner, zumal auch die Organisation des Koalitionsausschusses an sich ein Problem darstellt.

Merz will keine Durchstechereien aus vertraulichen Runden, da reagiert der Kanzler allergisch. Das führt dann dazu, dass keiner der Spitzen der Koalition über ein Arbeitsgerät verfügt – auch Laptops bleiben draußen. Es gibt keine Rückkopplung zu Mitarbeitern, kein schnelles Nachschlagen, keine Akteneinsicht. Ob man Ergebnisse mit einem Bleistift auf Papier notieren solle, soll einer gefragt haben. So ganz durchdacht ist diese Herzkammer der Koalition offenbar noch nicht.

Denn zur Miss-Kommunikation fehlt auch eine klare Organisationsstruktur. Es ist nicht so, dass nicht viel geredet wird, oder es persönlich nicht passt. Das betonen viele in Kabinett, Parteien und Fraktionen übereinstimmend. Aber es fehlt der erfahrene Blick von oben auf das Geschehen im Bundestag, das frühzeitige Identifizieren von möglichen Krisen in der Koalition. Bei der Union hat die neue Truppe, mit wenigen Ausnahmen, keine Regierungserfahrung. Bei der SPD dagegen sitzen zu viele, die in der Regierung waren und nun eher Lust am politischen Heckenschützendasein haben. Das schlechte Ergebnis von Vizekanzler Klingbeil beim SPD-Parteitag ist ein Ausdruck des Frustes, der vielerorts in der Partei herrscht. Aufbruchstimmung kommt da wenig auf.

Die Lehren der ersten Wochen

Dazu kommt eine deutlich stärkere Polarisierung in den Fraktionen von Union und SPD. Bei der Union sind 60 neue Bundestagsabgeordnete eingezogen, in der SPD nicht wenige, die sich Linken und Grünen deutlich näher fühlen. Am Applaus-Verhalten in der Generaldebatte kann man das gut ablesen. Die Zustimmung für den CDU-Kanzler ist bei der SPD eher gering, selbst bei der Rede des eigenen Fraktionschefs ist man verhalten. Zwei Tage später gibt es in der Geschäftsordnungsdebatte nach der abgesetzten Richterwahl großen Applaus der SPD für die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann, die Unionsfraktionschef Spahn auf das Heftigste kritisiert. Bei der Union schütteln viele die Köpfe. Hier wiederum hat man sich in Teilen von sozialen Netzwerken bei der heftigen Ablehnung der Juristin Brosius-Gersdorf leiten lassen, ist dem Narrativ gefolgt, ohne sich selbst ein Bild zu machen. Das stößt der SPD übel auf.

Was sind die Lehren aus diesen ersten Wochen? Mehr Kommunikation untereinander, professionelleres Arbeiten, mehr Vorausschau, härteres Durchgreifen, gleichzeitig mehr Verständnis für die Positionen des anderen, so lauten auf beiden Seiten die Vorsätze. Abwarten, wie lange sie im voraussichtlich heißen Herbst tragen. „Man muss auch Regierung lernen“, sagt einer, der mitten drin sitzt. Wohl wahr.