Eden ist heute eines von vielen eher verschlafenen Örtchen, die sich an der australischen Ostküste zwischen Melbourne und Sydney entlang reihen. Wenig erinnert noch an die glanzvollen Zeiten der Vergangenheit, als Eden sogar mit im Rennen war, Australiens Hauptstadt zu werden. Doch trotz der günstigen Lage der 3.000-Seelen-Gemeinde entschied man sich letztendlich dafür, mit Canberra eine Stadt vom Reißbrett aus zu planen.
Ein Ort, der Einblick in diese früheren Zeiten gibt, als Eden Zentrum der Fisch- und Holzindustrie war und eine zentrale Rolle im Walfang und der Walindustrie spielte, ist das Eden Killer Whale Museum. Dort im Untergeschoss des Museums posiert einer der berühmtesten Protagonisten oder zumindest das, was von ihm heute noch übrig ist: „Old Tom“, der bekannteste Killerwal Australiens, der bis heute einen geradezu legendären Ruf hat.
„Old Tom“ war zu Lebzeiten ein stattlicher Schwertwal. Mit knapp sieben Metern Länge und einem Gewicht von sechs Tonnen war er der Anführer einer der Orca-Gruppen, die vorbeiziehende Wale in die Bucht von Eden trieben. Er alarmierte die Walfänger und nahm selbst an der Jagd auf die Wale teil, indem er bei der Verfolgungsjagd neben den Booten herschwamm. Als „Belohnung“ für seine Hilfe erhielt der Orca die Lippen und Zungen des getöteten Wales.
Humorvoll und ein wenig nervig
„Old Tom“ soll ein recht eigenwilliger Charakter gewesen sein, humorvoll, aber auch ein wenig nervig. Beispielsweise sprang er wohl gerne auf das Seil, das an einem harpunierten Wal befestigt war, und hielt sich mit seinen Zähnen daran fest, um von dem verletzten Tier wie ein Treibanker herumgeschleppt zu werden. Als „Old Tom“ 1930 schließlich starb, wurden seine Überreste an Land gebracht. Später landeten seine Knochen sogar im Museum.
Die Eskapaden des offensichtlich hochintelligenten Tieres sind bis heute so legendär, dass Besucher teils von weither anreisen, um zumindest das Skelett von „Old Tom“ zu bestaunen. Auch eine junge Forscherin faszinierte die Geschichte und das Leben von „Old Tom“ bereits seit langem: „Ich war gerade mal fünf Jahre alt, als ich meiner Mutter sagte, dass ich Meeresbiologin werden wollte“, berichtete Isabella Reeves von der Flinders University in Südaustralien, die gemeinsam mit anderen Forschenden aus Australien, Neuseeland und Norwegen nun eine aktuelle Studie zur Herkunft von „Old Tom“ geleitet hat. Um mehr über den Killerwal und seine Ursprünge zu verstehen, musste Reeves DNA von „Old Tom“ extrahieren – eine nicht ganz einfache Aufgabe bei einem Skelett. Die beste Chance habe man in solch einem Fall bei der sogenannten Pulpa, dem Inneren eines Zahnes, berichtete die Forscherin.
Lokal ausgestorben
Doch ein Erfolg war keineswegs sicher: Bevor die Knochen ins Museum nach Eden kamen, lagerten sie neun Jahre lang in einem Schuppen und selbst im Museum sind sie nicht in einem Raum, in dem die Temperatur kontrolliert ist. „Als wir letzten Dezember nach all der Laborarbeit unsere ersten Sequenzierungsversuche zurückbekamen, war ich deswegen sehr nervös“, erinnerte sich die Meeresbiologin. Doch Reeves hatte Glück. Die DNA ließ Rückschlüsse zu, woher der berühmte Killerwal stammte und als Reeves seine genetische Zusammensetzung mit Killerwalen auf der ganzen Welt verglich, stellte sie fest: „Old Tom“ war kein reiner Australier, vielmehr fanden sich seine Vorfahren eher in neuseeländischen Gewässern wieder.
Damit folge „Old Tom“ „der großen australischen Tradition, die Berühmtheiten Neuseelands für sich zu beanspruchen“, wie es in einer Pressemitteilung der Universität hieß. Zudem hatte „Old Tom“ gemeinsame Vorfahren mit Schwertwalen aus Australasien, dem Nordpazifik und dem Nordatlantik. Den modernen neuseeländischen Schwertwalen sei er aber am ähnlichsten.
Eine traurige Erkenntnis kam in der Untersuchung jedoch auch zutage: So ist der Großteil von „Old Toms“ DNA-Code heutzutage bei anderen Schwertwalen nicht mehr zu finden, was darauf hindeutet, dass die Schwertwale von Eden lokal wohl ausgestorben sind.
Das Ende der „Killers of Eden“
Walfang brachte vor allem die Buckelwale einst an den Rand des Aussterbens
Mehr als 30.000 Buckelwale wurden in Australien und Neuseeland von Walfängern getötet, bevor dem lokalen Walfang 1963 ein Ende gesetzt wurde. 1965 erhielten die Tiere dann internationalen Schutz. Die letzte kommerzielle Walfangstation in Australien, die Cheynes Beach Whaling Company in Westaustralien, wurde 1978 geschlossen. 1979 verabschiedete Australien dann eine Anti-Walfang-Politik. Seitdem erholen sich die Tiere wieder. Ihre Zahl ist in australischen Gewässern von rund 1.500 auf mindestens 40.000 gestiegen. Forscher und Umweltschützer sprechen teils sogar von bis zu 65.000 Tieren. Seit Anfang 2022 gelten Buckelwale in Australien deswegen nicht mehr als gefährdet.
Durch die Zusammenarbeit mit Steven Holmes, einem Vertreter des indigenen Thaua-Volkes in der Region, konnten die Forscher zudem neue Erkenntnisse gewinnen, wie die Kooperation der Walfänger mit den sogenannten „Killers of Eden“ überhaupt zustande gekommen sein könnte. So berichtete Holmes, dass das lokale Küstenvolk über seine Traumzeitgeschichten („Dreaming“) bereits lange vor der europäischen Kolonisierung und dem Aufkommen des kommerziellen Walfangs eine Verbindung zu den Orcas („Beowas“) und auch zu „Old Tom“ pflegte. „Wir betrachten Beowas als unsere Brüder“, sagte er. Sterbe ein Mitglied der Thaua, so werde es gemäß ihres Glaubens als Beowa wiedergeboren. Dass die Indigenen deswegen den Kontakt zu den Orcas suchten, könnte einer der Gründe gewesen sein, warum die Schwertwale bereit waren, auch mit den Walfängern zu kooperieren.
Warum die Killerwale letztendlich aus Eden verschwunden sind, dazu gibt es mehrere Theorien: Sicher spielt mit, dass die Walpopulation durch den Walfang empfindlich eingebrochen ist und Killerwale – wie Reeves erklärte – häufig ihrem Futter folgen. Doch es habe auch zwei Vorfälle gegeben, wo die Menschen die Killerwale „betrogen“ hätten, berichtete die Forscherin, und es werde gerätselt, ob dies die Partnerschaft letztendlich zerstört haben könnte. Zudem deuten Missbildungen bei den Schwertwalen daraufhin, dass unter den Killerwalen um „Old Tom“ Inzucht herrschte. Auch das könnte zum Zusammenbruch der Population beigetragen zu haben.
De Maart




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