16. November 2025 - 11.10 Uhr
Akt.: 16. November 2025 - 11.11 Uhr
ViandenAuf einen Plausch mit Victor Hugo: Zu Besuch im Atelier der Bildhauerin Marie-Josée Kerschen
„Il songe. Il s’est assis rêveur sous un érable.
Entend-il murmurer la forêt vénérable?
Regarde-t-il les fleurs? Regarde-t-il les cieux?
Il songe. La nature au front mystérieux (…)“
Mit diesen Sätzen beginnt das Gedicht „À Vianden“, das Victor Hugo am 8. Juni 1871 zu Ehren des Städtchens schrieb, in dem er gleich viermal zu Gast war und für kurze Zeit lebte. Das Haus an der Our-Brücke, in dem er damals wohnte, wurde 1935 zum Victor-Hugo-Museum, das auch heute noch immer viele Besucher anlockt. Gegenüber erinnert eine Büste Victor Hugos auf dem Brückenkopf an den Mann, der zu den größten französischen Autoren gezählt wird. Hier sei nur an einige seiner Werke erinnert, wie z.B. die Gedichte „Les Châtiments“, „Les Contemplations“ oder auch noch „La Légende des siècles“ sowie seine Romane „Notre-Dame de Paris“ (1831), „Les Misérables“ (1862) und „Quatrevingt-treize“ (1874). Als Politiker setzte er sich für Menschenrechte, Pressefreiheit und die Abschaffung der Todesstrafe ein. Als Hugo sich gegen den Staatsstreich auflehnte, mit dem sich Bonaparte am 2. Dezember 1851 zum Präsidenten auf Lebenszeit machte, wurde er kurz inhaftiert und anschließend aus Frankreich verbannt.
Doch zurück nach Vianden: Handelt es sich bei der oben erwähnten Büste Victor Hugos um eine Kopie eines Werkes des französischen Künstlers Auguste Rodin, die vom französischen Senat gestiftet wurde, so soll demnächst ein Original an diesen doch sehr facettenreichen Schriftsteller erinnern. Die Rede geht hier von einem Werk der über die Landesgrenzen hinweg bekannten Bildhauerin Marie-Josée Kerschen, die seit 1983 in Vianden lebt und auch dort ihr Atelier hat.
„Etwas Dringendes zu sagen“
In „Eine Hymne auf das Leben“ schrieb der 2018 verstorbene luxemburgische Autor und Journalist Guy Wagner vor genau 25 Jahren unter anderem Folgendes: „Schon bei der ersten Begegnung mit den Werken von Marie-Josée Kerschen weiß man, dass man ihnen nicht einfach aus dem Weg gehen kann. Sie haben etwas Dringendes zu sagen, wollen den Betrachter konfrontieren. Aber diese Konfrontation kann sich nur dann zu einem Dialog und einem Verständnis entwickeln, wenn man bereit ist, sich auf einen einzigartigen, wenn nicht gar einzigartigen kreativen Prozess einzulassen und sich dafür zu öffnen.“
So ähnlich ergeht es auch uns, als wir das Atelier von Marie-Josée Kerschen betreten, nachdem wir im idyllischen Ourstädtchen, das sich an dem Tag unter einem grauen Schleier versteckt, auf die Suche nach der rue du Ruisseau gemacht haben, einer kleinen und sehr engen Gasse zwischen Rathaus und Our. Im Atelier auf Nummer 5C begegnen wir der Frau, über deren Karriere und Werke es überaus viel zu erzählen gäbe, was aber den Rahmen dieses Artikels sprengen würde.
Im Laufe meiner Arbeit habe ich mich derart viel mit dieser Person auseinandergesetzt, dass ich mich dabei erwische, mit ihm zu reden

„Ee Moment, wannechgelift“, gibt uns die heute 73-jährige Kunstschaffende mit dem Rücken zu uns gewandt zu verstehen. Sie befreit ihre Hände noch kurz von Gipsresten und begrüßt uns dann mit einem freundlichen Lächeln. Nur wenige Schritte weiter stehen wir – der Leser ahnt es wohl – vor Victor Hugo, der auf einer Parkbank Platz genommen hat. „An dieser Skulptur, die Hugo aus dem Jahre 1871 darstellt, arbeite ich jetzt seit vergangenem Juli“, so die Bildhauerin. „Es begann mit einem Gerüst aus feinem Maschendraht, das später mit gipsgetränkten Leinentüchern und anschließend mit einer ungefähr vier Zentimeter dicken Schicht aus Modellgips umhüllt wurde.“ Apropos Gips: Bis dato hat die Bildhauerin rund 80 Kilogramm Modellgips verarbeitet.
Obwohl Holz das Material ist, mit dem Marie-Josée Kerschen laut eigenen Aussagen am liebsten arbeitet, hat sie dieses Projekt von Anfang an interessiert. Das Ganze soll später auf der Our-Promenade aufgestellt werden, damit sich die Besucher kurz zum Plausch neben Hugo setzen können, Selfie inklusive, versteht sich.
„Ich führe heute bereits Gespräche mit ihm“, so Kerschen. „Im Laufe meiner Arbeit habe ich mich derart viel mit dieser Person auseinandergesetzt, dass ich mich dabei erwische, mit ihm zu reden. Kein Wunder auch, ich verbringe doch immerhin fünf bis sechs Stunden täglich mit ihm.“ Sie gesteht aber ein, dass sie „ihren Victor“ an manchen Tagen auch früher verlässt, „dann brauche ich eine Pause. An solchen Tagen komme ich aber dann später, ja sogar spätabends zurück ins Atelier, um nach ihm zu sehen.“
Einweihung am 18. April 2026
Nun dürfe sie aber nicht mehr zu viel Zeit verlieren, denn die Gipsfigur müsse spätestens in 14 Tagen in die Gießerei in der Nähe von Maastricht (NL), wo zuerst eine Negativ-Form der einzelnen Skulpturteile gegossen wird, die anschließend mit Bronze ausgefüllt wird. Die einzelnen Teile werden später zusammengeschweißt. Der Rohguss wird dann bearbeitet, um Details zu verfeinern, und die Oberfläche wird poliert und patiniert, um Farbe und Schattierungen zu erzeugen.
Die offizielle Einweihung dieser Skulptur ist für den 18. April 2026 geplant. „Bis dahin ist es noch ein gutes Stück Arbeit“, so Marie-Josée Kerschen, die uns abschließend noch zur Besichtigung einer Kollektion ihrer aus Holz gefertigten Skulpturen einlädt.
De Maart





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