Ganze Filmteams kommen jährlich zum Lago Maggiore und stellen höchstpersönlich ihre Werke vor, die es ins prestigereiche Festivalprogramm geschafft haben. Oft kann man sie auf den Terrassen der stimmungsvollen Altstadt beobachten oder sie in den Kinosälen antreffen. Das Tageblatt hatte die Chance, mit den Cineasten der fünf Koproduktionen zu sprechen, die vom Film Fund Luxembourg unterstützt wurden und in Locarno vertreten waren.

Regisseur Radu Jude, der am Samstag mit dem Junior Jury Award den 2. Preis der Independent Juries bekam, war in der ersten Festivalwoche anwesend. Das Tageblatt berichtete bereits über seine Produktion „Dracula“ (siehe Ausgabe vom 12. August). Donato Rotunno von Tarantula Luxembourg gestattete uns ein spontanes Gespräch, als wir ihm beim Teatro Kursaal eine Viertelstunde vor der Premiere des Films „L’Exil“ des tunesischen Regisseurs Mehdi Hmili begegneten. Der Spielfilm inszeniert einen Stahlarbeiter, der sich zwischen rostenden Hallen und einer mysteriösen Explosion, bei der sein Freund ums Leben kommt und er schwer verletzt wird, in ein gefährliches Netz von Korruption, Verrat und Rache begibt.
Über Exil und einen Deal
„Es ist unsere zweite Zusammenarbeit mit Mehdi. Ursprünglich sollte es ein Dokumentarfilm werden, der sich aber angesichts der politisch kritischen Umstände in Tunesien zum fiktionalen Langfilm entwickelt hat“, erklärte er. Dass es sich bei dieser Zusammenarbeit um ein richtiges Abenteuer gehandelt habe, erläuterte Rotunno mit den Worten: „Also Kino machen bedeutet nicht nur Filme produzieren, sondern Filme leben, mit all den Hürden, die es zu meistern gilt: persönlicher, psychologischer bis hin zu politischer und finanzieller Natur!“ Seine Begeisterung für Locarno zeigte sich deutlich. „Vier meiner Filme haben schon um einen Pardo [Pardo d’oro, Hauptpreis des Festival, d.R.] gewetteifert und ich bekam auch einen Silbernen Pardo vom mythischen Filmemacher Vittorio Storaro überreicht. Außerdem schätze ich das intergenerationelle Publikum hier, das Filme entdecken und diskutieren möchte, ohne sie zu intellektualisieren.“
Auch der Schweizer Regisseur Jean-Stéphane Bron gab sich publikumsnah. Bekannt ist Bron für seine minutiös recherchierten Dokumentarfilme, doch mit „The Deal“, einer sechsteiligen Serie, gelingt ihm ein packender Polit-Thriller, der nicht mit spektakulären Action-Szenen in den Bann zieht, sondern mit dem Enthüllen von spannenden und subtilen Machtspielen, die sich hinter internationalen Verhandlungen verstecken. Konkret handelt es sich um das Genfer Nuklear-Abkommen zwischen den USA und dem Iran von 2015, in deren Berichterstattung und Diplomatenmemoiren Bron sich vertieft hat, bevor er fiktionale Elemente hinzugefügt hat. Die wahren Deals passieren im Schatten, wie es der Untertitel „Dans l’ombre, tout se négocie“ klar ausdrückt.

Da „The Deal“ als ambitionierte Koproduktion zwischen der Schweiz, Frankreich, Belgien und Luxemburg (Bidibul Productions) entstanden ist, haben wir den Regisseur, nach dem Projektionsmarathon von fünf Stunden, auf diese Zusammenarbeit angesprochen. Die Antwort war prompt: „Ohne Luxemburg gäbe es diese Serie gar nicht, so einfach ist es! Es klingt vielleicht banal, aber die Schweiz und Frankreich allein hätten das Risiko eines Flops nicht auf sich nehmen können. Auf Papier stand das Projekt wohl, aber niemand garantierte am Anfang den Erfolg, den wir jetzt gerade ernten.“ Er erklärte weiter, dass Les Films Pelléas, zweifacher Palme- d’Or -Gewinner, sich dem Projekt zugesellten und Luxemburg überzeugen konnten. „Wir haben 20 Tage lang im Großherzogtum gedreht, fantastische Drehorte dort ausfindig gemacht und so manche lange Hotelflure, die man im Film sieht, sind gar nicht in Genf, sondern in Luxemburg, ebenso wie der Flughafen“, gestand er. Wer also gut aufpasse, erkenne auch luxemburgische Schauspieler und Statisten, vor allem während der Pressemeetings. „Also wirklich, ein idealer Partner!“ schwärmte er noch weiter.
Vom Iran bis nach Japan
Für „Un simple accident“, ein iranisch-französisch-luxemburgisch koproduziertes Drama (Bidibul Productions), war Locarno erneut Bühne für politisches und soziales Engagement. Das Werk des polarisierenden iranischen Regisseurs, der schon mehrmals im eigenen Land durch seine regierungsfeindliche Haltung ins Gefängnis kam und Berufsverbot bekam, wurde am 15. August – in Italien Ferragosto genannt – auf der Piazza Grande projiziert und das Publikum verspürte sichtlich die bedrückende Intensität der Bilder und der Handlung, die Panahi oft durch kurze Situationskomik aufzulockern versucht. Auf die Frage eines Fans, ob sich durch den Angriff Israels auf den Iran, welcher sich zeitlich zwischen dem Festival in Cannes, wo sein Film prämiert wurde, und dem aktuellen Festival in Locarno situiere, etwas im Iran verändert habe, antwortete Panahi ohne Umschweife: „In Diktaturen werden Katastrophen erwünscht, entweder indem sie welche provozieren oder indem sie Andere dazu bringen, ihnen Katastrophen aufzuerlegen! Dadurch können sie noch mehr Druck auf ihr Volk ausüben. Im Moment haben Inhaftierungen und Hinrichtungen zugenommen, die Zensur ist strenger geworden und es werden weitere Gräueltaten verzeichnet.“

Nach so viel Kino, das sich mit Kriegen, Korruption und Entmenschlichung befasst (vergleichsweise auch in den meisten der internationalen Weltpremieren), wirkt der Film „Yakushima’s Illusion“ wie ein tiefes Atemholen. Entstanden ist der Film durch die Koproduktion von Luxemburg (Viktoria Productions), Belgien, Frankreich und Japan. Mit feinsinnigem Taktgefühl und tiefer Menschenkenntnis entführen zwei Frauen die Zuschauer in eine Welt voller Poesie, Spiritualität, Naturverbundenheit und Empathie. Die Regisseurin Naomi Kawase und Schauspielerin Vicky Krieps haben zusammen ein Werk geschaffen, das, trotz existentieller Dramen, die es erzählt, eine visuelle und emotionale Wohltat ist. Auch wenn es primär um Herztransplantationen bei Kindern in Japan geht, deren Häufigkeit durch kulturelle Tabus sehr gering ist. Auch verbildlicht der Film das spurlose Verschwinden von Menschen, „Johatsu“ genannt, und hinterfragt die Perzeption von Liebe, Zeit, Endlichkeit, Verlust und Trauer.

Mein Akzent ist luxemburgisch geprägt und da ich stolz darauf bin, erschien es mir sinnvoll, ihn narrativ durch die Einführung von Luxemburg im Dialog zu rechtfertigen
Und wie ist Vicky Krieps mit diesen schweren Themen umgegangen? „Zu Beginn gab es noch kein Drehbuch, das ist erst nach und nach entstanden. Ich wusste aber, dass es sich um den Verlust einer geliebten Person handele, eine Erfahrung also, die leider Teil meines Lebens ist“, sagte sie auf Nachfrage des Tageblatt. „Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man mit der Person reden will, die einfach nicht mehr da ist, obschon man sich ihr verbunden fühlt. Als Naomi dann die Krankenhausthematik hinzufügte, da spürte ich, dass der Film um eine poetische Dimension bereichert wurde, denn er brachte es fertig, die ungewöhnliche Brücke zwischen Herzoperationen und einer Liebesgeschichte zu schlagen“, führte sie weiter aus. Auch wollten wir erfahren, wieso sie in ihrer Rolle als Ärztin Corry angebe, in Luxemburg aufgewachsen zu sein. „Weil Corry an einigen Stellen auch Französisch spricht“, erwiderte sie lächelnd auf diese Frage. „Mein Akzent ist luxemburgisch geprägt und da ich stolz darauf bin, erschien es mir sinnvoll, ihn narrativ durch die Einführung von Luxemburg im Dialog zu rechtfertigen.“
Auch wenn die höchsten Auszeichnungen Pardo d’Oro und Pardo Verde nicht an die luxemburgischen Koproduktionen gingen, sondern an „Tabi to Hibi“ von Sho Miyake und „Mare’s Nest“ von Ben Rivers, hat Luxemburg beim 78. Festival von Locarno seine Größe im globalen Filmgeschäft erneut bewiesen.
De Maart
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