Mittwoch5. November 2025

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ReiseberichtAuf dem Weg zur Erleuchtung: Alltag im buddhistischen Kloster

Reisebericht / Auf dem Weg zur Erleuchtung: Alltag im buddhistischen Kloster
Unterricht mit thailändischen Kindern Foto: Laila Bintner

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Ich will viele Leben leben. Deshalb probiere ich während meiner Reise durch Südostasien eine ganz neue Lebensform aus und verbringe zwei Wochen in einer buddhistischen Nonnenschaft im ländlichen Westen Thailands. Gegen einige Stunden Arbeit pro Tag bekomme ich dort kostenlose Unterkunft und Verpflegung. Während meiner Zeit lerne ich viel über das Land, die Religion und diesen Lebensstil. Vielleicht finde ich keinen inneren Frieden, aber immerhin komme ich der Idee davon näher.

Einatmen, ausatmen. Ich versuche, an die fünfminütigen Meditationsvideos auf YouTube zurückzudenken, die ich mir mit siebzehn manchmal angehört habe. „Lasse deine Gedanken an dir vorbeiziehen wie Wolken“, glaube ich mich zu erinnern. Aber mein Kopf fühlt sich gerade eher an wie ein Aquarium, in dem Gedanken wie bunte Fische herumschwimmen. Ich schaue auf die große, goldene Buddhastatue vor mir. Ihr Blick kommt mir wohlwollend, aber undurchdringlich vor. Ich sitze auf dem Boden in einem Gemeinschaftszimmer des buddhistischen Klosters in Thailand, in dem ich die nächsten drei Wochen verbringen werde, und versuche, zu meditieren.

„Mit der Zeit wird es einfacher“, meint T. nach der Meditation. Er und C. sind die anderen zwei Helfer im Kloster. Sie sind schon seit einer Woche hier, für mich aber ist es der erste Abend. Noch weiß ich kaum, wie sich das Leben im Kloster abspielt. T. und C. erklären mir die Abläufe. „Was macht ihr denn den ganzen Tag über?“, frage ich, als sie mir erzählen, dass die Arbeit meistens schon gegen 9 Uhr morgens beendet ist. Sie zucken mit den Schultern. „Irgendwie vergeht die Zeit dann doch schneller hier, als man denkt.“

Nach dem Abendessen gehe ich in meine Hütte. Sie ist sehr einfach – das Bett zum Beispiel besteht aus einem Tisch mit einigen Kissen, die Toilette hat keine Spülung –, aber ich habe mehr Raum für mich als je zuvor auf der Reise. Vorhin habe ich meine Kleider mit einem leichten Gefühl des Triumphs in die Kommode eingeräumt. Es ist das erste Mal auf meiner Reise, dass ich nicht aus meinem Rucksack leben muss. Trotzdem kommt es mir merkwürdig vor, jetzt so viel Zeit an einem Ort zu verbringen.

Das Klostergelände
Das Klostergelände Foto: Laila Bintner

Ich habe das buddhistische Kloster auf einer Internetseite gefunden, wo Reisende sich bei verschiedenen Gastgebern überall auf der Welt um einen Aufenthalt bewerben können. Bei diesen helfen sie einige Stunden täglich und bekommen dafür kostenlose Übernachtungen und Verpflegung. Kultureller Austausch soll hierbei im Vordergrund stehen: Backpacker können den Alltag in ihrem Reiseland kennenlernen und die Gastgeber holen sich mit den Reisenden die Welt in ihr Zuhause.

Es ist leicht, beim Reisen in einer Blase zu bleiben. Touristen leben oft in einer Art Parallelwelt zu der Lebensrealität der Einheimischen. Es ist möglich, nach Thailand zu reisen und nicht mehr zu sehen als den Strand vor dem All-inclusive-Resort oder Bier in pinken Plastikeimern auf der Vollmondparty. Die Zeit im Kloster ist eine Gelegenheit, eine Facette des authentischen Lebens in Thailand kennenzulernen. Zudem kann ich hier über den Buddhismus lernen. Ich finde es besonders interessant, dass es in dieser Religion keinen allmächtigen Gott gibt, sondern jeder durch das Entwickeln seines eigenen Geistes zur Erleuchtung finden kann.

Es dauert nicht lange, bis auch ich zu einem Teil des Alltags im Kloster geworden bin. Die Tage beginnen immer gleich: Um 4.30 Uhr ertönt ein lauter Gong über das Gelände – Zeit, aufzustehen. An meinen ersten Tagen fühlt sich das frühe Aufwachen wie ein Schlag ins Gesicht an. Trotzdem mag ich es, aus meiner Hütte zu treten, wenn es noch dunkel ist draußen. Die Welt schläft noch, wenn ich morgens zum Tempel gehe. Ich trete leise hinein und setze mich auf meinen Platz, ein Kissen hinten im Raum. Vor mir sitzen die Nonnen in ihren orangen Gewändern, bereits in ihre Meditation vertieft. Nachdem ich mich dreimal vor der großen Buddhastatue vorne im Raum verbeugt habe, fange auch ich an zu meditieren. Ich finde es schwierig, mich nicht von meinen Gedanken mitreißen zu lassen, aber versuche es jeden Morgen wieder aufs Neue.

C. mit dem Haushuhn des Klosters
C. mit dem Haushuhn des Klosters Foto: Laila Bintner

Diese Morgenmeditation, die fast eine Stunde dauert, fühlt sich immer irgendwie heilig an. Es ist das einzige Mal, dass alle Bewohner des Tempels gemeinsam meditieren. Wir treten aus dem Tempel, wenn die ersten Sonnenstrahlen durch die Bäume scheinen. Dann teilen sich die Aufgaben von den anderen Helfern und mir auf. An einem Tag bleibe ich im Kloster und putze die Gemeinschaftsräume, am nächsten fahre ich mit den Nonnen in das Dorf, um die Almosen zu sammeln. Das sind Lebensmittelspenden, die die Nonnen von den Dorfbewohnern erhalten. Sie leben von diesen, denn selbst kochen oder arbeiten dürfen sie nicht. Das würde sie nämlich von ihrer spirituellen Praxis ablenken und den Weg zur Erleuchtung erschweren. Durch die Almosen können sie sich darauf konzentrieren, sich geistlich weiterzuentwickeln. Davon profitiert dann auch die Bevölkerung: Die Nonnen teilen ihre Einsichten mit den Menschen und organisieren zum Beispiel Veranstaltungen, wo sie über buddhistische Lehren aufklären. Zudem bedeutet die Gabe von Almosen gutes Karma. Das soll die Chancen darauf, in einem nächsten Leben Erleuchtung erlangen zu können, erhöhen.

Es ist noch ruhig, wenn die Nonnen morgens von Haus zu Haus ziehen. In einer Reihe stellen sie sich vor den Häusern auf, in denen Menschen leben, die Essen spenden. Jede Nonne hat eine Schale, in die Reis gefüllt wird. Zusätzlich erhalten sie hausgekochte Mahlzeiten, verpackt in Plastiktüten. Meine Aufgabe ist es, diese Tüten zu sammeln und zu tragen. Die letzte Station auf dem Rundgang ist immer ein kleines Haus abseits des Dorfes. Hier wohnt eine thailändische Familie, die aus einem Ehepaar in ihren Fünfzigern und einer älteren Frau besteht. Wenn die Nonnen ankommen, sitzt meistens schon einer von ihnen wartend auf den Stufen vor dem Haus. Dann wechseln sich die drei dabei ab, den Reis in die Schalen der Nonnen zu geben. Zum Schluss verbeugen sie sich und sprechen ein Gebet.

Ausflug zu einem Tempel
Ausflug zu einem Tempel Foto: Laila Bintner

Die Almosen am Morgen sind immer ein besonderes Erlebnis. Diese Tradition ist für Touristen eigentlich höchstens als Außenstehende zugänglich, aber auch das verschlafen die meisten. Ich bin überrascht, wie viele Menschen bereit sind, für die Nonnen zu kochen und ihnen Essen zu spenden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass in Luxemburg jemand in aller Früh aufstehen würde, um Selbstgekochtes zu verschenken, gutes Karma hin oder her.

Nächtliche Besucher an den Fenstern von Lailas Hütte
Nächtliche Besucher an den Fenstern von Lailas Hütte Foto: Laila Bintner

Um 7.45 Uhr läutet es zum Essen. T., C. und ich haben die Essensspenden in Schüsseln auf einem Tisch hergerichtet. Zuerst dürfen die Nonnen sich bedienen, dann sind wir dran. Zur Auswahl gibt es verschiedene Gerichte. Vieles davon ist Fleisch in einer scharfen Soße, aber worum genau es sich handelt, erfährt man höchstens auf dem Teller.

Die morgendliche Mahlzeit ist die größte und die einzige, die gemeinsam eingenommen wird. Die Nonnen dürfen ab 12 Uhr nichts mehr essen. T., C. und ich packen uns einiges vom Essen für Mittag und Abend in Boxen ein. Nachdem wir den Abwasch erledigt haben, sind wir mit den Aufgaben für den Tag eigentlich fertig. Trotzdem gibt es oft noch viel zu tun. Zweimal die Woche gehen wir in eine thailändische Schule, um Kindern dort Englisch beizubringen. Am Anfang bin ich skeptisch. Ich weiß nicht, was ich davon halte, dass ich ohne Qualifikation oder Erfahrung Englisch unterrichten soll. Aber ich stelle fest, dass kein richtiger Frontalunterricht von uns erwartet wird. Wir sollen eher ein wenig Abwechslung zu dem Schulalltag bieten und den Kindern Englisch spielerisch näherbringen.

C., T. und Laila vor einem der Tempel, die die Freunde zusammen besucht haben
C., T. und Laila vor einem der Tempel, die die Freunde zusammen besucht haben Foto: Laila Bintner

Zudem brauchen die Schulen, die wir besuchen, Unterstützung. Dort fehlt es an Lehrkräften und finanziellen Mitteln. Ab und zu machen wir auch Ausflüge in der Gegend. An einem Tag besuchen wir einen lokalen Markt, an einem anderen einen großen hölzernen Tempel über mehrere Etagen, der in die Karstfelsen integriert ist. Alle drei Tage haben wir ein Gespräch über die buddhistischen Lehren mit Luangmae, der obersten Nonne. Sie hat den Orden gegründet und das Kloster auf dem Land ihrer Mutter aufgebaut. Sie strahlt Ruhe aus, wirkt aber auch sehr autoritär. Nach einigen Tagen bin ich immer noch ein wenig eingeschüchtert von ihr.

„Du darfst dich an nichts festhalten“, sagt sie oft. Damit meint sie, dass alles temporär ist: Euphorie zum Beispiel genauso wie Gefühle von Trauer. Die erste der vier edlen Wahrheiten im Buddhismus ist, dass das Leben Leiden ist. Das Ziel der Buddhisten ist es, dieses zu überwinden. Sich nicht an flüchtigen Empfindungen festzuhalten, ist zentral dafür. Während des Meditierens soll man sich darin üben. Luangmae bringt mir bei, dass man während einer Meditation zu dem neutralen Beobachter seines Selbst werden soll. Laut ihr geht es nicht darum, keine Gedanken zu haben, sondern diese wertfrei wahrzunehmen.

Schwieriges Gelände gilt es zu bewältigen
Schwieriges Gelände gilt es zu bewältigen Foto: Laila Bintner

Während unserer Gespräche weiß ich oft nicht, wo ich anfangen soll mit den Fragen. Ich habe das Gefühl, unwissend zu sein und bin manchmal verwirrt, wenn sie Konzepte aufbringt, von denen ich noch nie gehört habe. Doch während meines Aufenthalts sammele ich Wissen wie kleine Puzzleteile. Am Ende habe ich das Gefühl, mehr vom Gesamtbild zu sehen als am Anfang, sehe aber auch die Lücken in meinem Wissen deutlicher als zuvor.

Meine Zeit im Kloster endet früher als geplant. Nach etwas über einer Woche werde ich sehr krank und kann mein Bett kaum noch verlassen. Mit meinen letzten Kräften packe ich nach zwei Wochen schon meinen Rucksack und steige in den Bus nach Bangkok, um dort in ein Krankenhaus nach westlichen Standards zu gehen. Es macht mich traurig, so abrupt abreisen zu müssen. Aber ich glaube, dass das Kloster in meinem Kopf für immer ein Ort des Friedens sein wird. Egal, wo auf der Welt ich bin, es gibt einen Ort mitten in Thailand, in dem sich jeden Morgen um 5 Uhr morgens die Nonnen im Tempel versammeln und zusammen meditieren. Ich weiß nicht, ob sie zur Erleuchtung finden werden, aber ich hoffe es. Wenn nicht in diesem Leben, dann vielleicht im nächsten.