Selbst die Europaparlamentarier im fernen Straßburg zeigen sich über die Hinweise auf „mutmaßliche Zwangsarbeit und Menschenhandel“ beim EU-Anwärter Serbien „zutiefst besorgt“: In einer Mitte Dezember verabschiedeten Erklärung forderten sie die zuständigen Behörden auf, die Einhaltung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte von über 400 vietnamesischen Arbeitern auf der Fabrikbaustelle des chinesischen Reifenherstellers Linglong in Zrenjanin „sicherzustellen“.
Von „modernem Sklaventum“ spricht der Belgrader Jurist Danilo Curcic, wenn der hoch gewachsene Koordinator der Menschenrechtsinitiative „A11“ über die missliche Lage der Vietnamesen in Zrenjanin berichtet: „Erst müssen die Leute schon in Vietnam eine Vermittlerprovision von 2.000 Dollar bezahlen. Dann nimmt man den Leuten hier den Pass ab, lässt sie völlig rechtlos.“ Die hohe Zahl unbezahlter Überstunden gehe nicht nur mit verspäteter und unvollständiger Auszahlung der Löhne, sondern auch mit „furchtbaren Bedingungen“ gepaart: „Die in Serbien üblichen Standards für Gefängnisse und Tierhaltung sind besser als die Unterkünfte, in denen sie bis vor kurzem untergebracht waren.“
Die in Serbien üblichen Standards für Gefängnisse und Tierhaltung sind besser als die Unterkünfte, in denen sie (vietnamesische Gastarbeiter, Anm.) bis vor kurzem untergebracht waren
Mitte November hatte der TV-Sender N1 erstmals über die menschenunwürdigen Zustände in den Baracken auf dem Gelände des Industriegebiets im nordserbischen Zrenjanin berichtet. Den 402 Vietnamesen, die von diversen Vermittlerfirmen für den Bau der neuen Fabrik des Linglong-Konzerns angeheuert worden waren, standen in ihren eiskalten und viel zu kleinen Behausungen nur zwei funktionierende Warmwasserboiler und keine Waschmaschine zur Verfügung. Über Stühle verfügte ihre Unterkunft nicht: Ihre in einer provisorischen Unterkunft zubereiteten Mahlzeiten hatten sie im Freien auf dem Boden kauernd einzunehmen.
Wegen ihrer unzureichenden Ernährung hätten die Arbeiter auf den umliegenden Feldern Karnickel gefangen, erzählt Curcic. Doch nicht nur ihre „katastrophale Unterbringung“ und völlig unzureichende medizinische Versorgung, sondern auch ihre Knebelverträge würden „in jeder Hinsicht gegen serbisches Recht verstoßen“: „Sie müssen sich verpflichten, sich nicht gewerkschaftlich zu organisieren, nicht von der Arbeitsstelle zu flüchten und ihre Rückreise bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses selbst zu finanzieren.“ Gleichzeitig müssten sie einen Bürgen benennen, der bei Bruch des Arbeitsvertrags weitere 2.000 Dollar an die Agentur zu bezahlen habe: „Die Arbeiter wurden nun zwar in eine bessere Unterkunft verlegt. Aber an ihrer rechtlosen Lage hat sich nichts geändert.“
Klagen der Arbeiter mehren sich
Die anhaltende Emigration in den Westen macht auf dem Balkan die Arbeitskräfte knapp. Allein Serbiens boomende Baubranche klagt über den Mangel an 60.000 Facharbeitern, im Gastronomie- und Hotelgewerbe sind über 18.000 Stellen nicht besetzt. Nicht nur auf den Großbaustellen chinesischer Investoren füllen Vertragsarbeiter aus Asien die durch Auswanderung und Bevölkerungsschwund gerissenen Lücken auf.
Rund 20.000 Arbeitsgenehmigungen – meist für sechs bis zwölf Monate – stellt Serbiens Ausländerbehörde jährlich aus: Die meisten der Vertragsarbeiter kommen aus China, Indien und Bangladesch, aber auch aus der Türkei, Albanien oder Nordmazedonien. Hinzu kommt eine kaum zu beziffernde Zahl von Schwarzarbeitern: Laut Branchenschätzungen sollen allein auf dem Bau 40 Prozent der ausländischen Beschäftigten über keine Arbeitserlaubnis verfügen.
Der Durchschnittsverdienst der ausländischen Arbeiter soll laut der Zeitung Blic 420 Euro netto im Monat betragen. Den vietnamesischen Arbeitern in Zrenjanin waren in ihren Verträgen laut Curcic Netto-Monatslöhne zwischen 560 und 730 Euro gelobt worden: „Für vietnamesische Verhältnisse ist das ein sehr guter Lohn. Die Leute kamen in dem festen Glauben, relativ viel Geld verdienen und sparen zu können. Aber sie ahnten natürlich nicht, auf was für Bedingungen sie hier treffen würden.“
Tatsächlich mehren sich nicht nur bei chinesischen Großinvestoren die Arbeiterklagen über eine menschenunwürdige Unterbringung und Ausbeutung. Bereits vor Jahresfrist protestierten 50 chinesische Arbeiter des Kupferkonzerns Zijin in der ostserbischen Bergbaustadt Bor gegen inhumane Arbeits- und Wohnbedingungen und ihre mangelhafte Ernährung.
Im März zogen in der Hauptstadt mehrere Dutzend türkische Arbeiter auf die Straße, die bei den Bauarbeiten in dem umstrittenen Nobelviertel „Belgrad am Wasser“ monatelang keine Löhne erhalten hatten. Im August erzwangen 50 indische Bauarbeiter mit einem Hungerstreik vor dem Rathaus in Kraljevo die ihnen von ihrem serbischen Arbeitgeber vorenthaltene Auszahlung von mehreren Monatslöhnen und ihren Heimflug.
Justizbehörden reagieren nicht
Allein in Bor schätzt die oppositionelle Lokalpolitikerin Irena Zivkovic die „geheim gehaltene“ Zahl der chinesischen Arbeiter auf 2.000-3.000. Diese würden in Containern vor den Toren der Stadt hausen und dürften „nicht in die Stadt kommen“: „Bei den Protesten klagten sie selbst, durstig zu sein und kaum Trinkwasser zu erhalten.“ Für die Gerüchte, dass auch Häftlinge aus China zur Zwangsarbeit nach Serbien abkommandiert würden, habe sie keine Bestätigung erhalten: „Das Innenministerium hat meine Nachfrage nie beantwortet.“
Erschwert werde der Zugang zu den chinesischen Arbeitern nicht nur durch deren „geringe Bereitschaft, mit irgendjemand anderem als ihren Arbeitgebern zu kommunizieren“, berichtet Curcic. Laut dem serbisch-chinesisch Sozialabkommen können Investoren aus dem Reich der Mitte chinesische Arbeitskräfte in den ersten fünf Jahren nach chinesischen Recht beschäftigen.
Doch auch bei der Verletzung der Rechte von Vertragsarbeitern aus anderen Nationen zeigen sich Serbiens Würdenträger und Behörden auffällig passiv. Auch nach über 50 Tagen hätten die Justizbehörden nicht auf die Anzeigen von A11 wegen des Verdachts von Menschenhandel und Arbeitsausbeutung reagiert, so Curcic. Stattdessen bemühten sich die Würdenträger, den Skandal als „Missverständnis“ herunterzuspielen.
„Wollt ihr, dass wir eine Investition von 900 Millionen Euro zerstören?“, reagierte Staatschef Aleksandar Vucic unwirsch auf lästige Journalistennachfragen nach Linglong. Der Politik, um jeden Preis Investitionen anzulocken, werde „alles untergeordnet“, klagt Curcic. Linglong habe Subventionen in Höhe von 95 Millionen Euro erhalten, aber halte sich trotzdem nicht an die Gesetze des Landes: „Wenn der Staat weiter auf eine Politik der zugedrückten Augen setzt, werden sich derartige Extremverstöße gegen die Menschen- und Arbeitsrechte wiederholen – auch bei heimischen Arbeitern.“
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