Mittwoch22. Oktober 2025

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ÖsterreichAttentäter von Wien zu früh entlassen

Österreich / Attentäter von Wien zu früh entlassen
Blumen und Kerzen an einem der Anschlagsorte in der Wiener Innenstadt zum Gedenken an die Opfer des Anschlags am Montagabend Foto: AFP/Joe Kalmar

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In Österreich sorgt die vorzeitige Haftentlassung des Attentäters von Wien, Kujtim F., für heftige Diskussionen.

Der junge Mann, der Montagabend nach dem Blutbad in der Wiener Innenstadt erschossen worden war, hatte im April 2019 in einem Terror-Prozess 22 Monate Gefängnis bekommen, weil er sich in Syrien der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) anschließen hatte wollen. Schon nach weniger als einem halben Jahr wurde er aber freigelassen, was nun Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kritisiert: Diese Entscheidung sei „definitiv falsch“ gewesen, so der Kanzler, „wäre er nicht aus der Haft entlassen worden, hätte der Terroranschlag so nicht stattfinden können“.

Justizministerin Alma Zadic (Grüne), die damals noch nicht im Amt war, verteidigte die vorzeitige Entlassung. Sie verweist auf die gesetzliche Regelung, die eine bedingte Entlassung nach zwei Dritteln der Haft vorsieht. Dem damals 19-Jährigen wurden regelmäßige Kontakte zu Bewährungshelfern und der Deradikalisierungs-NGO Derad auferlegt. Außerdem sei der Verfassungsschutz informiert worden. Die Derad-Spezialisten hat Kujtim F. allerdings perfekt getäuscht: Sie bescheinigten ihm, kein Radikalinski mehr zu sein.

Information verschlampt

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) räumte gestern auch Fehler in seinem Ressort ein. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) war nämlich im Oktober vom slowakischen Geheimdienst darüber informiert worden, dass der spätere Täter in dem Land vergeblich versucht hatte, Munition zu kaufen. Diese Information blieb jedoch im BVT hängen. Es sei „offensichtlich in der Kommunikation etwas schiefgegangen“, so Nehammer. Jetzt soll eine unabhängige Untersuchungskommission die Umstände dieser Panne prüfen. Damit geht der Minister auf eine Forderung der Opposition ein. Die FPÖ fährt bereits schwere Geschütze auf: Ex-Innenminister Herbert Kickl will Informationen haben, dass der Attentäter gar nicht wirklich vom Radar verschwunden war, sondern tatsächlich unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand.

Unterdessen sind zwei nach dem Wiener Anschlag als Helden bejubelte Austro-Türken durch Postings in sozialen Medien ins Zwielicht geraten. Die beiden türkischstämmigen Österreicher werden seit dem Wiener Anschlag als Helden gefeiert: Recep Tayyip Gültekin und Mikail Özen hatten einen verletzten Polizisten aus dem Kugelhagel gerettet und zum Rettungswagen geschleppt. Gültekin wurde selbst leicht verletzt. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig lud die jungen Muslime tags darauf ins Rathaus, der türkische Botschafter Ozan Ceyhun in seine Residenz: „Unsere Jugend hat der ganzen Welt gezeigt, wie sich ein Türke, ein Muslim, verhält, wie er Menschen auch unter schwierigsten Bedingungen hilft“, so der Diplomat. In Ankara erkannte man die Gunst der Propagandastunde: Am Abend rief sogar Staatschef Recep Tayyip Erdogan an, um den Austro-Türken zu gratulieren. Gültekins Vater erzählt dem Präsidenten bei der Gelegenheit, dass er seinen Sohn nach ihm benannt habe.

Türkische Gemeinde irritiert

Doch in der hiesigen türkischen Gemeinde sorgt der Rummel um die Helden auch für Stirnrunzeln. Denn Einträge auf den Facebook- bzw. Instagram-Profilen der beiden konterkarieren das Heldenepos: Am 19. Dezember 2016, kurz nachdem der Islamist Anis Amri auf dem Berliner Weihnachtsmarkt mit einem gestohlenen Lkw elf Menschen zu Tode gefahren und davor den Lenker ermordet hatte, postete Gültekin diesen Satz: „mir tut es überhaupt net leid, was ihn Berlin passiert ist“ (sic). Auf Facebook kursierten zudem inzwischen gelöschte Fotos von Özen beim Wolfsgruß — dem in Österreich seit 2018 verbotenen Zeichen der rechtsextremen „Grauen Wölfe“.

Das passt nicht zu dem, was Gültekin nach der Rettungsaktion am Montag gepostet hatte: „Terror hat keine Religion, Terror hat keine Nation. Egal ob Jude, Christ oder Moslem, wir halten alle zusammen. Pray for Vienna.“

Der SPÖ-Bezirksrat Muhammed Yüksek von Wien-Favoriten rückte gestern zur Verteidigung seiner Landsleute aus: „Zur Beruhigung, der Wolf ist ihr Teamlogo“. Tatsächlich sind die beiden jungen Männer Kampfsportler. Özen selbst erklärt die Fotos mit vermeintlichem Wolfsgruß gegenüber dem Tageblatt sportlich: „Das ist mein Kampfsportsymbol – es gibt Leute, die sich als bärenstark, andere als wolfsstark bezeichnen.“ Die Fotos zeigen ihn aber nicht beim Sport, sondern etwa 2016 vorm Wiener Rathaus mit anderen, die Zeige- und kleinen Finger à la Wolfsgruß wegstrecken. Damals kämpfte Özen als „Eiserne Faust“ für den Verein „Iron Fist Gym Vienna“, dessen Symbol eine Faust ohne weggestreckte Finger ist.

„Ich habe nichts mit denen ,Grauen Wölfen‘ zu tun“, beteuert Özen. Und auch Gültekin schwört auf Facebook: „nein bin kein graue wolf anhänger ich mag nur meinen präsidenten“ (sic). Das Posting zum Berliner Anschlag lässt sich nicht schönreden. Das hat der heute 21-jährige Gültekin eingesehen und gepostet: „Auch ich war mal jung und dumm und sehe die Welt seit Jahren anders.“

In den sozialen Medien scheiden sich die Geister an den „Helden von Wien“. Für die einen sind sie „Faschisten“, andere äußern sich milde, wie dieser User: „Taten zählen mehr als Worte. Was sie geleistet haben, verdient höchsten Respekt und ein dickes Dankeschön.“