Mittwoch29. Oktober 2025

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NeujahrsempfängeArbeiterkammer und Industriellenvereinigung feiern zeitgleich: Erster Stresstest für den Sozialdësch

Neujahrsempfänge / Arbeiterkammer und Industriellenvereinigung feiern zeitgleich: Erster Stresstest für den Sozialdësch
Europaparlamentspräsidentin Roberta Metsola und Premier Luc Frieden beim Neujahrsempfang der Fedil (links) und Nora Back, Präsidentin der Chambe des salariés, auf dem Neujahrsempfang der CSL (rechts) Fotos: Editpress/Julien Garroy & Hervé Montaigu 

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Von der Luxexpo bis zum Cercle Cité ist es zwar nicht weit. Am Donnerstag aber schienen Welten dazwischen zu liegen. Zwei Neujahrsempfänge am selben Abend waren der Grund. Die Industriellenvereinigung hatte nach Kirchberg geladen, die Arbeiterkammer auf die place d’Armes.

„Also am Moment ass et mat deene Krankeschäiner scho speziell“ – „Oh jo“. Der von tiefen Seufzern begleitete Gesprächsfetzen, der aus der Reihe dahinter zu hören ist – gibt er den Ton des Abends vor? Es ist Donnerstagabend, kurz nach 18 Uhr in der Luxexpo. Die Industriellenvereinigung hat zu ihrem traditionellen „Pot de Nouvel An“ geladen. Werden die Redner Georges Rassel, Roberta Metsola und vor allem Luc Frieden (CSV) ins gleiche Horn blasen wie die beiden Herren, die gerade die Zeit bis zum Auftakt des Abends mit diesem kurzen Smalltalk-Lamento überbrücken?

Wenige Kilometer entfernt, im Herzen der Stadt, füllt sich währenddessen das Cercle Cité. Eine Viertelstunde noch, dann soll der Neujahrsempfang der „Chambre des salariés“ (CSL) beginnen. Arbeitsminister Georges Mischo (CSV) ist eingetroffen. Familienminister Max Hahn (DP) sowie die ehemaligen Arbeitsminister Georges Engel und Dan Kersch (beide LSAP) sind bereits im Saal. Schließlich trifft auch Martine Deprez (CSV), Ministerin für Gesundheit und soziale Sicherheit, ein. Ebenso zahlreiche Abgeordnete verschiedener Parteien. „Es wird spannend zu sehen, wer sich alles hier zeigen wird.“ Wenn man den Gesprächen der Gäste zuhört, merkt man schnell, dass es keine normalen Zeiten sind – und dann noch diese beiden Empfänge am selben Abend.

Auf in die Arena: Fedil-Direktor René Winkin, Europaparlamentspräsidentin Roberta Metsola, Premier Luc Frieden und Fedil-Präsident Georges Rassel in der Luxexpo
Auf in die Arena: Fedil-Direktor René Winkin, Europaparlamentspräsidentin Roberta Metsola, Premier Luc Frieden und Fedil-Präsident Georges Rassel in der Luxexpo Foto: Editpress/Julien Garroy

Nach einem ganzen Jahr CSV-DP-Regierung und dem Vorpreschen bei Renten, Kollektivverträgen, Öffnungszeiten und Sonntagsarbeit sind die Fronten zwischen Regierung und Sozialpartnern in der Tat angespannt wie lange nicht. Zumindest bis zum vergangenen Dienstag standen alle Zeichen auf weitere Eskalation. Und auch jetzt sind längst nicht alle Sorgen ausgeräumt. Im Cercle Cité wird das bald deutlich werden. Die Gewerkschaften haben das Jahr 2024 als Generalangriff der Regierung gegen sie empfunden. Doch das Treffen zu Wochenbeginn zwischen Frieden und den beiden Gewerkschaftschefs Nora Back (OGBL) und Patrick Dury (LCGB) und der Abmachung, über einen „Sozialdësch“ miteinander im Dialog zu bleiben, schien etwas Druck aus dem Kessel zu nehmen.

Am Donnerstag nun wurde die noch frische Annäherung mit den Neujahrsempfängen, die gerne von kämpferischen Tönen begleitet werden, auf eine erste Probe gestellt.

LCGB-Präsident Patrick Dury, OGBL- und CSL-Präsidentin Nora Back sowie CSL-Direktor Sylvain Hoffmann vor den Gästen im Cercle Cité
LCGB-Präsident Patrick Dury, OGBL- und CSL-Präsidentin Nora Back sowie CSL-Direktor Sylvain Hoffmann vor den Gästen im Cercle Cité Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Kurz nach 18 Uhr steht in der Luxexpo als Auftakt-Redner Georges Rassel auf der Bühne. Es ist seine erste Neujahrsrede als Fedil-Präsident. Auf Rassel folgt die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola. Die letzte Rede ist Premier Luc Frieden vorbehalten. Rassel und Metsola werden in der Luxexpo ihren Rollen gerecht. Der Fedil-Präsident wiederholt die Forderungen seiner Vereinigung, verkneift sich dabei aber nicht den Appell an die Regierung, sich doch bitte nicht zu sehr weichklopfen zu lassen von den Gewerkschaften. Wichtiger aber scheint Rassel die von ihm eingeforderte Entbürokratisierung auf europäischem Niveau, wo Regulierungen der Industrie in den Mitgliedsstaaten das Leben viel zu schwer machen würden. Die Europaparlamentspräsidentin, eine Christdemokratin wie Luc Frieden, spricht vor allem über die Wachstumsmöglichkeiten, die Europa weiter hat, und lobt Luxemburg in höchsten Tönen. Was man halt so macht und sagt bei einer solchen Einladung.

Im Cercle Cité verzögert sich der Beginn des offiziellen Teils der Veranstaltung, da weiterhin viele Gäste ankommen, darunter auch immer mehr Politiker. Um 19 Uhr aber eröffnet CSL-Präsidentin Nora Back den Abend mit ihrer Rede. Bildungsminister Claude Meisch (DP) trifft gerade noch rechtzeitig ein. Back begrüßt die Gäste und hebt hervor, dass die CSL noch nie so viele Teilnehmer bei ihrem Neujahrsempfang verzeichnet habe. Angesichts der parallel stattfindenden Veranstaltung in der Luxexpo sei das besonders bemerkenswert, so Back mit einer kleinen Spitze in Richtung der Arbeitgeberorganisation.

Xavier Bettel trifft um zehn nach sieben im Cercle Cité ein. Den Auftakt bei der Fedil wollte er sich offenbar nicht entgehen lassen. Einige Abgeordnete und andere Minister kombinieren ebenfalls beide Veranstaltungen. Bettel ist immerhin rechtzeitig da, um die Kritik von Back an der Regierung nicht zu verpassen. „Nach den Sozialwahlen dachten wir, es würde ruhiger werden, aber wir haben die Rechnung ohne die neue Regierung gemacht“, erklärt Back. Sie kritisiert falsche Behauptungen im Zusammenhang mit der geplanten Rentenreform und verweist auf alarmierende Zahlen. Das Armutsrisiko bei Rentnern habe sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. „Wir wehren uns strikt gegen eine Verschlechterung auf allen Ebenen“, betont Back und fordert eine Reform, die die Schwachstellen des Systems ausbessert, um die aktuellen Leistungen zu sichern.

Wie es die Tradition will, sind die Gäste beim Neujahrsempfang der Industriellenvereinigung unterdessen vor allem auf die Worte des Premiers gespannt. Man erhofft sich bei dieser Gelegenheit einen Ausblick auf das, was die Regierung in den kommenden Monaten anpacken will. Zudem gilt diese Ansprache als Stimmungsbarometer. Wird sie kämpferisch sein? Oder doch eher versöhnlich?

Zu Beginn seiner Rede, es ist jetzt kurz nach 19 Uhr, setzt Luc Frieden ein verschmitztes Lächeln auf. Ein Mundwinkel zuckt leicht nach oben, der Blick wirkt kurz schelmisch. Leider, sagt der Premier, würde er immer als der Premier des Kapitals tituliert. Und leider habe es heute gleich zwei Veranstaltungen gegeben. Aber er könne ja nur an einer teilnehmen. Und dabei sei die andere Veranstaltung an diesem Abend der Neujahrsempfang der „Chambre des salariés“ gewesen. So schade. Die Lacher der mit Industrievertretern, Unternehmenschefs, Ministern, Abgeordneten und hohen Beamten gefüllten Luxexpo hat Frieden damit auf seiner Seite. Fedil-Humor at its best. Die Leute im Saal wissen, wo Frieden hingehört. Auch Frieden weiß, wo er selbst hingehört, und das ist nicht die Arbeiterkammer.

Nora Back bei ihrer Rede zum Neujahrsempfang
Nora Back bei ihrer Rede zum Neujahrsempfang Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Bemerkenswerter als diese kleine Spitze in Richtung Gewerkschaften wird aber, dass es quasi die einzige bleiben sollte. Frieden wiederholt seine Vorstellungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten, die „modernisiert“ und „an die Zeit angepasst“ werden müssten. Doch die Renten erwähnt er nicht. Auch auf den Krankenstand, den ominösen „absentéisme“, den Fedil-Präsident Rassel noch kurz davor ausdrücklich beklagte, geht Frieden nicht ein. Und ganz am Ende seiner Ansprache, da, wo Redner ihre wichtigste Botschaft platzieren, spricht Frieden vom Treffen mit den Gewerkschaften, der Vereinbarung, sich „zwei, drei Mal im Jahr“ zusammenzusetzen, kurzum: der Wichtigkeit des Sozialdialogs für den Fortbestand des Luxemburger Modells. 

Eine halbe Stunde zuvor brandet im Cercle Cité lauter Applaus auf. Back hat gerade die Regierung und Arbeitgeberverbände dafür kritisiert, die junge gegen die ältere Generation auszuspielen. „Ein System sichert man, indem man es stärkt. Und das geschieht in Luxemburg im Sozialdialog.“ Back wirft der Regierung vor, in ökologischen und sozialen Belangen in die falsche Richtung zu steuern. Applaus folgt, als sie auf die Angriffe auf das Kollektivvertragswesen eingeht, die zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führten. Auch die Ausweitung der Sonntagsarbeit und die Flexibilisierung der Öffnungszeiten würden es den Arbeitnehmern erschweren, Beruf und Privatleben zu vereinbaren. Die Regierung habe die Dringlichkeit der sozialen Herausforderungen nicht erkannt.

Luc Frieden sprach in der Luxexpo zur Industriellenvereinigung
Luc Frieden sprach in der Luxexpo zur Industriellenvereinigung Foto: Editpress/Julien Garroy

Chamberpräsident Claude Wiseler kommt im Cercle Cité dann die undankbare Aufgabe zu, nach der CSL-Präsidentin reden zu müssen. In seiner Ansprache mahnt er angesichts der angespannten Weltlage zur Besonnenheit. Wiseler schwenkt schnell von seinem globalen Exkurs zurück nach Luxemburg. Auch hierzulande verschärfe sich der Ton. Doch: „In Luxemburg lösen wir soziale Konflikte im Dialog. Der Sozialdialog gehört zu unserer DNA.“ Allerdings funktioniere dieser nur, wenn alle Seiten kompromissbereit seien. Und: Es sei dann Aufgabe der Politik, Entscheidungen zu treffen.

Damit sagt Wiseler den Satz, den auch Frieden immer rauf und runter betet: Man könne reden, aber am Ende entscheide er beziehungsweise die Regierung. Auch wenn die Aussage nicht falsch ist, sind es solche Sätze, die die Gewerkschaften, die nicht nur gehört, sondern eingebunden sein wollen, regelmäßig aufschrecken lassen.

Trotzdem dürfte die Entspannungspolitik, die Frieden mit dem Sozialdësch vermitteln will, den ersten Stresstest der beiden Neujahrsempfänge überstanden haben. Doch bei den Gewerkschaften, das ging aus Backs Rede deutlich hervor, ist viel Vertrauen zerstört worden im vergangenen Jahr. Auf Frieden kommt noch viel Arbeit zu. Den von ihm ausgerufenen Sozialdësch kann er kaum scheitern lassen – und zwischen dem Geist, der bei der Fedil wehte, und jenem bei der CSL liegen immer noch Welten.