Sonntag28. Dezember 2025

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ÖsterreichAnti-Kickl-Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS steht, schafft aber nicht den großen Wurf

Österreich / Anti-Kickl-Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS steht, schafft aber nicht den großen Wurf
Man darf gespannt sein, ob die drei das denn auch tun, das Richtige: (v.l.n.r.) der SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler, der künftige ÖVP-Kanzler Christian Stocker und die Chefin der liberalen NEOS, Beate Meinl-Reisinger posieren mit dem Koalitionsabkommen Foto: AFP/Alex Halada

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ÖVP, SPÖ und die liberale NEOS-Partei haben sich am Donnerstag auf ein Regierungsprogramm geeinigt, womit Herbert Kickls Kanzlertraum vorerst geplatzt ist. Ganz aufgeben muss der Rechtspopulist die Hoffnung aber nicht …

Mit einer drastischen Metapher hatte Markus Söder die sich in Deutschland anbahnende Große Koalition zur Vernunft gemahnt. Mit der „letzten Patrone der Demokratie“ meinte Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef die letzte Chance der politischen Mitte, den Verlust ihrer Mehrheiten an die extremen Ränder abzuwenden.

Söders Mahnung gilt in gleichem Maß für Österreich, wo ÖVP, SPÖ und liberale NEOS fünf Monate nach der Wahl doch noch zueinander gefunden haben. Nachdem ein erster Anlauf zur Austro-Ampel zu Jahresbeginn ebenso gescheitert war, wie der darauffolgende Versuch eines türkis-roten Paarlaufes und die Verhandlungen über ein Mitte-rechts-Bündnis, steht der Alpenrepublik nun bevor, was beim großen Nachbarn gerade krachend gescheitert ist: Eben doch eine Dreier-Koalition, deren ideologische Bandbreite von ziemlich weit links außen bis etwas rechts von der Mitte an sich schon einen schmerzhaften Spagat darstellt.

Kickl als Kitt

Dennoch soll jetzt möglich sein, was vor wenigen Wochen noch unmöglich war. Das „Sesam öffne dich“ heißt Herbert Kickl. Der FPÖ-Chef hat die ÖVP in den Verhandlungen endgültig gelehrt, was sie im Wahlkampf schon selbst getrommelt, aber nach der Übernahme des Parteivorsitzes durch den künftigen Bundeskanzler Christian Stocker vorübergehend ausgeblendet hatte: Mit diesem – auch Rechtsextremisten zugeneigten – Rechtspopulisten ist kein Staat zu machen. Kickl träumte mit nur 28 Prozent der Stimmen am Konto von einem disruptiven Umbau der Republik à la Donald Trump. Diese Perspektive hat ihre ernüchternde Wirkung nicht verfehlt – und ÖVP, SPÖ sowie NEOS doch noch zusammengeschweißt. Kickl ist der Kitt einer Koalition, die allerdings noch kein Letzte-Patrone-der-Demokratie-Bewusstsein erkennen lässt.

Reformdefizit

Mit Verschärfungen im Asylbereich und einem Kopftuchverbot für Mädchen darf die ÖVP ihr zentrales Thema und damit ihre Klientel bedienen, die SPÖ mit einer Kindergrundsicherung und Erleichterungen für Mieter sowie der Sondersteuer für Banken und Energiekonzerne punkten. Doch der große Wurf für eine grundlegende Staatsreform, die es angesichts nicht kleiner werdender wirtschaftlicher Herausforderungen dringendst bräuchte, ist ebenso wenig erkennbar, wie eine sicherheitspolitische Neuorientierung unter den Bedingungen der zuerst von Wladimir Putin und nun von Donald Trump oktroyierten Zeitenwende. Österreich träumt weiter seinen Traum von der Neutralität, ohne zu begreifen, dass ein zunehmend auf sich allein gestelltes Europa sich sicherheitspolitische Trittbrettfahrer weder leisten kann noch will.

Sehr große Koalition

Unter die Rubrik „Noch immer nicht begriffen“ fällt auch die rekordverdächtige Zahl von 21 Regierungsmitgliedern: Während dem Bürger ein harter Sparkurs verordnet wird, der etwa Pensionisten eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge um 0,9 Prozent beschert und alle um den als Ausgleich für die CO2-Bepreisung erfundenen Klimabonus bringt, gilt beim Postenschacher das Prinzip Maßlosigkeit. Die Regierungsbank im Nationalrat muss sogar umgebaut werden, weil dort nur Platz für 18 ist. Zudem beruht das Aufblähen des Regierungsapparates weniger auf sachlicher Notwendigkeit, sondern mehr auf gegenseitigem Misstrauen: Jede Partei will in Ministerien der anderen Staatssekretäre als Aufpasser installieren. Die braucht es offenbar, obwohl Stocker und sein künftiger SPÖ-Vizekanzler Andreas Babler sowie die NEOS-Chefin und künftige Außenministerin Beate Meinl-Reisinger bei der Präsentation gestern „Konsens und Pragmatismus“ betonten und einander sogar duzten.

Letzte Hürde

Ganz in trockenen Tüchern ist die Koalition erst, wenn die 3.000 NEOS-Mitglieder am Sonntag den Pakt mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit absegnen. Ein Nein würde Kickl zwar nicht gleich wieder ins Spiel bringen, da ÖVP und SPÖ dann alleine weitermachen wollen, wenn auch mit nur einer Stimme Mehrheit im Parlament. Der weiter im Umfragehoch segelnde FPÖ-Chef darf aber auf das baldige Scheitern der politischen Mitte hoffen, die die letzte Patrone für einen Schuss ins Knie verwenden könnte.