Europäischer KulturpreisAnnett Reeder: „Kultur soll Brücken bauen, gerade heute“

Europäischer Kulturpreis / Annett Reeder: „Kultur soll Brücken bauen, gerade heute“
Annett Reeder bei der Preisverleihung des Europäischen Kulturpreises im Jahr 2022 Foto: Europäischer Kulturpreis/Marc John

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An diesem Freitag wird der diesjährige Europäische Kulturpreis in der Philharmonie Luxemburg vergeben: Unter den ausgezeichneten Personen sind die Großherzogin Maria Teresa, der ehemalige Politiker Jean-Claude Juncker und das Luxembourg Philharmonic – doch was hat es mit dem Kulturpreis eigentlich auf sich? Ein Gespräch mit Frau Annett Reeder, der Projektleiterin des Europäischen Kulturforums.

Tageblatt: Sehr geehrte Frau Reeder, wie und warum ist es zu der Initiative des Europäischen Kulturpreises gekommen?

Annett Reeder: Gerade in einer Zeit wie heute ist es wichtig, einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über europäische Werte und Ziele anzustoßen. In diesem Sinne ist es unser Ziel, einen lebendigen und konstruktiven Dialog zwischen den europäischen Staaten zu fördern und Impulse für einen kommunikationsfreudigen Kulturaustausch inmitten Europas zu geben. Unsere Gesellschaft arbeitet demnach ausschließlich gemeinnützig. Neben dem Vorstand nimmt das Kuratorium eine besonders wichtige Rolle ein, denn hier wurden Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen gewonnen, die dann auch die möglichen Preisträger vorschlagen.

Der Europäische Kulturpreis ist weit gefächert und konzentriert sich nicht nur auf Künstler im eigentlichen Sinne.

Nein, wir sehen da schon weiter. Natürlich nehmen die Künstler aus allen Bereichen eine wichtige Rolle ein, aber wir zeichnen auch andere Persönlichkeiten aus, die sich beispielsweise für das kulturelle Zusammenleben oder gesellschaftliche Integration starkgemacht haben. Für uns ist es wichtig, dass unsere Preisträger Brücken schlagen und konstruktive Werte der Kommunikation und des Miteinanders vertreten.

In diesem Jahr findet die Verleihung erstmals in Luxemburg statt.

Ja, der Europäische Kulturpreis wird in jedem Jahr woanders verliehen und berücksichtigt demnach auch die Künstler und verdienstvollen Menschen, die im Sinne eines gemeinsamen Europas agieren. Letztes Jahr waren wir in der Schweiz, und zwar in Zürich, davor fand die Verleihung im Opernhaus Bonn und in der Wiener Staatsoper statt. Im nächsten Jahr werden wir in Chemnitz sein.

Das Luxembourg Philharmonic ist ein wunderbares Beispiel, wie verschiedene Nationen, ich glaube, es sind 25, aus Europa und aller Welt konstruktiv zusammen Musik machen. In diesem Sinne ist das Orchester ein Brückenbauer der Kulturen.

Annett Reeder, Projektleiterin des Europäischen Kulturforums

Was können Sie zu den Preisträgern aus Luxemburg sagen?

Ich denke, wir haben wirklich sehr verdienstvolle Persönlichkeiten ausgewählt, die in den Bereichen Integration und Förderung im Sinne eines gemeinsamen Europas Wesentliches geleistet haben. Großherzogin Maria Teresa wird für ihr Engagement in Sachen Frauenrechte und Gleichberechtigung ausgezeichnet. Darüber hinaus ist sie seit vielen Jahren Unesco-Botschafterin des guten Willens. Kaum ein anderer Politiker hat sich so um ein gemeinsames Europa verdient gemacht wie Jean-Claude Juncker und sich immer wieder international für sein Land Luxemburg starkgemacht. Er ist ein Vorkämpfer der europäischen Integration, ein Brückenbauer und somit ein würdiger Preisträger. Frank Elstner war ein Pionier des Rundfunks und des Fernsehens. Ein Mann, der sich immer wieder neu erfunden hat und vor allem immer wieder jungen Nachwuchstalenten die Chance gegeben hat, sich zu beweisen. Elstner war und ist ein Förderer und ein kreativer Geist, der für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird.

Auch das Luxemburg Philharmonic gehört zu den Preisträgern.

Ja, denn dieses Orchester hat sich durch sein Engagement und seine Nachwuchsförderung ausgezeichnet. Nicht nur, dass es wunderbare pädagogische und verbindende Konzerte für alle anbietet, sondern vor allem auch, weil die Orchestermusiker durch die Akademie auch junge, aufstrebende Talente fördern. Zudem ist das Orchester ein wunderbares Beispiel, wie verschiedene Nationen, ich glaube, es sind 25, aus Europa und aller Welt konstruktiv zusammen Musik machen. In diesem Sinne ist das Luxembourg Philharmonic ein Brückenbauer der Kulturen.

Leider entwickelt sich die Kultur in Europa momentan nicht in die richtige Richtung. Unsere Gesellschaft ist in einem Umbruch von dem industriellen zu einem digitalen Zeitalter. Und die junge Generation verliert dabei ein bisschen den Anschluss an die Kultur.

Annett Reeder, Projektleiterin des Europäischen Kulturforums

Weitere Preisträger sind die Geigerin Lisa Batiashvili, die mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra, Rolando Villazon, Ronan Keating …

… und Ornella Muti, die für ihre Leistung als international tätige Schauspielerin den Preis erhält. Dann die georgische Geigerin Lisa Batiashvili, die für die Förderung junger Menschen in der Musikszene ihrer Heimat und die Gründung ihrer eigenen Stiftung zur Förderung junger Hochbegabter aus ihrer Heimat ausgezeichnet wird. Ronan Keating wird im Bereich des Crossover ausgezeichnet, weil er Pop und Klassik auf einem künstlerisch sehr hohen Niveau zusammenbringt. Wir werden Keating also zusammen mit dem Luxembourg Philharmonic erleben können. Auch die in Berlin lebende mexikanische Dirigenten Alondra de la Parra wird für ihr Engagement ausgezeichnet, ebenso Rolando Villazon, ein Mann mit vielen Talenten, der als Sänger, Intendant, Moderator, Regisseur und Schriftsteller eine der schillerndsten und populärsten Künstler der Klassikszene ist und es immer wieder versteht, neue Brücken zu den Menschen aufzubauen. Nicht zu vergessen die Wiener Chormädchen, die an der Seite der Wiener Sängerknaben auftreten werden. Die Wiener Sängerknaben, die selbst ihr 525-jähriges Bestehen feiern, haben sich schon vor 20 Jahren dem Ziel verschrieben, auch Mädchen eine adäquate musikalische Ausbildung zu ermöglichen.

Wie schätzen Sie denn die momentane Situation der Kultur in Europa ein?

Leider entwickelt sich die Kultur in Europa momentan nicht in die richtige Richtung. Unsere Gesellschaft ist in einem Umbruch von dem industriellen zu einem digitalen Zeitalter. Und die junge Generation verliert dabei ein bisschen den Anschluss an die Kultur. Weil eben diese in den Schulprogrammen nicht mehr als besonders wichtig erachtet wird. Da ist die Politik gefragt, zumal Kultur ja durchaus positiv und kommunikationsfördernd belegt ist. Gerade heute bei der Migration und bei der angestrebten Verständigung der Kulturen. Schauen Sie, Barenboims East-Western Divan Orchestra ist doch dafür das schönste Beispiel. Und Sparmaßnahmen sind da völlig fehl am Platz. Im Gegenteil. Wir vom Europäischen Kulturpreis sehen die Kultur als Chance, als wichtiger Faktor zu einer friedlichen, internationalen Verständigung. Und wir hoffen, dass unser Preis etwas dazu beiträgt. Kultur soll Brücken bauen, gerade heute.