Mittwoch29. Oktober 2025

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Vor der Vergabe des Prix ServaisAnne-Marie Reuter: „Wir dürfen nicht vergessen, dass Luxemburg gute Literatur produziert“

Vor der Vergabe des Prix Servais / Anne-Marie Reuter: „Wir dürfen nicht vergessen, dass Luxemburg gute Literatur produziert“
Die erste Autorin, die den Prix Servais für ein englischsprachiges Buch erhält: Anne-Marie Reuter Foto: Editpress/Lola Bourotte

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Anne-Marie Reuter erhält heute den Prix Servais für ihren Debütroman „M for Amnesia“. Im Vorfeld sprach sie mit dem Tageblatt über ihr Engagement für Luxemburgs Literatur.

Das Tageblatt trifft die Autorin, Verlegerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin Anne-Marie Reuter wenige Tage, bevor sie den Prix Servais für ihren Debütroman „M for Amnesia“ (2024, Black Fountain Press) im „Centre national de littérature“ (Cnl) in Mersch entgegennimmt. Sie freut sich auf die Zeremonie – darauf, ihr Buch und die Charaktere darin zu feiern. „Es ist die Anerkennung meines Schreibens“, sagt sie.

Prix Servais

Der Prix Servais wird seit 1992 jährlich an das bedeutendste literarische Werk des Vorjahres vergeben und ist mit 7.500 Euro dotiert. Anne-Marie Reuter nimmt den Preis für „M for Amnesia“ am Montag, dem 30. Juni, um 19.30 Uhr im „Centre national de littérature“ in Mersch entgegen. Mehr Infos: fondationservais.lu und cnl.public.lu. 

Die Auszeichnung beschert der luxemburgischen Literaturszene gleich zwei Premieren: Noch nie zuvor entschied sich die Jury des Prix Servais für ein englischsprachiges Werk oder für ein Buch von Black Fountain Press. Dies ist der erste anglophone Verlag Luxemburgs, den Anne-Marie Reuter 2017 mit Jeff Thill (Autor) und Nathalie Jacoby (Direktorin des Cnl) gründete. Heute führt sie den Verlag allein, neben ihrem Job als Englischlehrerin am Lycée Robert Schuman. Zwar bedeutet ihr der Erfolg vor allem etwas als Autorin, doch habe er auch einen Mehrwert für den Verlag, so Reuter: „Es ist wertvoll, wenn sich im Verlagskatalog ein Buch befindet, das mit dem Prix Servais prämiert wurde. Das trägt zum Prestige des Hauses und zur Wertschätzung der englischsprachigen Literatur in Luxemburg bei.“

2021 berichtete sie im Webmagazin Culture.lu vom großen Interesse am Verlag, gleich zu Beginn. Daran habe sich im Laufe der Jahre nichts geändert, versichert Reuter, die selbst in Großbritannien studierte, dem Tageblatt gegenüber. „Heute ist die englischsprachige Literatur fest in Luxemburg verankert. Das beweist schon allein die Anzahl englischsprachiger Texte, die bei Wettbewerben wie dem Prix Laurence oder dem nationalen Literaturpreis eingereicht werden.“ Immer mehr Menschen würden auf Englisch schreiben und in der Sprache lesen. Die Zahlen geben ihr recht. Im Rahmen der Bestandsaufnahme zur Bibliothekslandschaft in Luxemburg (2024) führte Ilres 2023 eine Studie zum Leseverhalten der Menschen in Luxemburg durch, und die ergab: 49 Prozent der Befragten, die in dem Jahr mindestens ein Buch gelesen hatten, bevorzugten Bücher auf Englisch.

Black Fountain Press vertritt inzwischen über 20 Autor*innen, darunter Larisa Faber sowie den kürzlich verstorbenen Pierre Joris. Die erste Publikation des Verlags: Anne-Marie Reuters Kurzgeschichtensammlung „On the Edge“ (2017). „Damals gab es keine Alternative, da die meisten Verlagshäuser in Luxemburg Manuskripte in den drei Amtssprachen bevorzugten“, erinnert sie sich. Letzteres gehörte zu den Hauptgründen, den Verlag ins Leben zu rufen. Mittlerweile würden Verlage wie Luar Editions von Marco Godinho, Fábio Godinho und Keong-A Song oder Michikusa Publishing Luxembourg von Marianne Kayser, Zsuzusanna Gaál und Robert Weis englischsprachigen Autor*innen weitere Optionen bieten. Beide Verlagshäuser wurden 2022 gegründet. Warum hat Reuter ihren Debütroman „M for Amnesia“ dennoch selbst publiziert?

„Für beide Entscheidungen gibt es Argumente, an denen sich etwas aussetzen lässt.“ Sie lächelt. „Ich schließe die Publikation bei einem anderen Verlag jedenfalls nicht aus.“ Mit ihren eigenen Manuskripten gehe sie genauso hart – wenn nicht sogar noch härter – ins Gericht als mit fremden Texten. „Ich greife bei der Bewertung jedes Manuskripts auf ein Lesekomitee zurück“, erklärt sie. „Das gilt auch für meine eigenen Werke.“ Die Publikation ihrer eigenen Bücher bereite ihr daher mehr Arbeit als die der Texte ihrer Autor*innen. „Es fällt alles auf eine Einzelperson zurück“, erläutert sie. „Die Verlagsarbeit macht Spaß, doch die administrativen Aufgaben sind zeitraubend. Ich wünsche mir künftig mehr Zeit zum Schreiben.“

Tabuthema Qualität

Über das Siegerbuch

Der Autor Antoine Pohu rezensierte „M for Amnesia“ für das Tageblatt. Hier ein Auszug aus seiner Kritik, erschienen am 1. September 2024: „Anne-Marie Reuter nous livre un roman à l’intrigue poignante, dont l’écriture efficace et une construction par chevauchement nous laisse nous-même tirer les fils, roman qui ouvre sur les grands enjeux de notre société que sont un capitalisme toujours plus barbare et le post-humanisme ambiant des géants de l’IT.“

Die Qualität der Texte, die visuelle Gestaltung der Bücher sind Anne-Marie Reuter wichtig. In der Bestandsaufnahme zum Buch-, Literatur- und Verlagssektor (2025) des Kulturministeriums heißt es derweil vonseiten der Befragten: Nicht immer gehe den Publikationen in Luxemburg eine eingehende Qualitätskontrolle voraus. Offen darüber zu sprechen? Ein Tabuthema. „In den vergangenen zehn Jahren hat sich die luxemburgische Verlagsbranche professionalisiert, unter anderem durch die Unterstützung von Kultur LX, des Focuna und des Kulturministeriums“, reagiert Reuter darauf. Die meisten Verlagshäuser würden jetzt ein Lektorat durchführen. Bei Black Fountain Press sei von Anfang an klar gewesen, dass es das braucht und der Verlag dafür zahlt. Sie zeigt jedoch Verständnis für Kolleg*innen, die das anders handhaben.

„Ich finde es unfair, dass die Haltung gegenüber Literatur aus Luxemburg hierzulande besonders streng ist“, wirft sie ein. „In jedem Land gibt es Qualitätsunterschiede. Wir dürfen nicht vergessen, dass Luxemburg gute Literatur produziert, die mühelos mit Büchern aus dem Ausland mithalten kann. Manche luxemburgischen Autoren haben sich international einen Namen gemacht. Ihre Werke werden in mehrere Sprachen übersetzt.“ Es sei momentan dringlicher, die Menschen in Luxemburg für diese Bücher zu begeistern, als über solche Qualitätsdifferenzen zu debattieren.

Eine Mammutaufgabe, denn der Konkurrenzdruck aus Deutschland, Frankreich und englischsprachigen Ländern ist groß. Umgekehrt ist die Vermarktung von Büchern aus Luxemburg im Ausland ebenfalls eine Herausforderung. Englisch gilt weltweit als die meistverbreitete Sprache für die Veröffentlichung von Büchern. „Die Anfragen aus dem Ausland halten sich in Grenzen“, offenbart Reuter, „doch wir verkaufen inzwischen Bücher in den Niederlanden und in einer Buchhandlung in London. Auch gehen auf unserer Website regelmäßig Bestellungen aus der ganzen Welt ein, sodass wir Bücher in die verschiedensten Länder verschicken.“

Es sei schwer, in den internationalen Buchmarkt einzusteigen, deswegen sei die Präsenz auf internationalen Messen unumgänglich. Die Aufnahme in Vertriebskataloge erfordere oft hohe Auflagen. Verlage aus Luxemburg könnten da nicht mithalten. „In Luxemburg gilt ein Buch als Beststeller, wenn es sich 800-mal verkauft“, nennt sie ein Beispiel. Auf dem englischen Buchmarkt liegt dieser Wert in der Regel bei mindestens 100.000 Exemplaren.

Einsatz für Schreibende

Neben der Verlagsarbeit und dem Schreiben engagiert sich Reuter auch für Schreibende in Luxemburg 
Neben der Verlagsarbeit und dem Schreiben engagiert sich Reuter auch für Schreibende in Luxemburg  Foto: Editpress/Lola Bourotte

Umso relevanter ist es, Schriftsteller*innen in Luxemburg auf ihrem Karriereweg zu unterstützen. Das empfindet Reuter genauso, weshalb sie sich 2020 an der Gründung des Verbands A:LL Schrëftsteller*innen beteiligte. Reuter hat sich inzwischen aus Zeitmangel aus dem Verwaltungsrat zurückgezogen, ist aber weiterhin Mitglied. „Ich bin nicht auf meine Einkünfte als Autorin angewiesen, aber andere Schriftsteller in Luxemburg versuchen von der Literatur zu leben“, begründet sie ihr Engagement. „Mir war und ist es wichtig, solidarisch zu sein.“ Aus der Bestandsaufnahme zum Buch-, Literatur- und Verlagssektor des Kulturministeriums (2025) geht hervor: 15 Prozent der Autor*innen, die sich in dem Rahmen an einer Befragung beteiligten, beziehen den Großteil ihres Gehalts durch das Schreiben. Lehrbeauftragte, wie Anne-Marie Reuter, sind am stärksten im Sektor vertreten.

Als großen Erfolg von A:LL Schrëftsteller*innen verzeichnet Reuter die Ausarbeitung von Gagen für Lesungen sowie den Austausch zwischen den Verbandsmitgliedern. Nach der zuvor erwähnten Bestandsaufnahme des Buchsektors trägt die Arbeit von A:LL Schrëftsteller*innen Früchte: Die Mehrheit (11 von 26) der Befragten verlangt 400 Euro für eine Lesung, also den Betrag, den der Verband vorschlägt.

Reuter setzt sich an vielen Fronten für die Literatur, für das Buch, für die Bildung ein. Doch was will sie als nächstes angehen? Die Gründung eines Übersetzungsbüros – immerhin hat sie bereits Werke von Lambert Schlechter und Larisa Faber übersetzt – oder die eines Pop-up-Geschäfts für Literatur aus Luxemburg? Reuter verrät nur so viel: „Träume und Ideen habe ich viele, eine baldige Umsetzung ist aus Zeitgründen aber eher unwahrscheinlich.“