ÖsterreichAngst vor Rechtspopulisten beflügelt großkoalitionäre Retro-Fantasien

Österreich / Angst vor Rechtspopulisten beflügelt großkoalitionäre Retro-Fantasien
Nachdem niemand mehr mit einer Rückkehr von Sebastian Kurz rechnet, wird aus Türkis wieder Schwarz und manche träumen wieder von einer großen Koalition Foto: AFP/Joe Klamar

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Aus der Not geboren entwickeln Österreichs Sozial- und Christdemokraten nostalgische Gefühle. Angesichts des Höhenfluges der FPÖ besinnt man sich wieder auf die gute alte Zeit der großen Koalition.

Sebastian Kurz hatte die ÖVP vor sieben Jahren von Schwarz auf Türkis umgefärbt. Seit der gestürzte Ex-Kanzler nur noch als politisch Untoter durch Society-Events geistert, haben sich selbst treueste Fans die Hoffnung auf ein furioses Comeback abgeschminkt. Dies umso mehr, als Kurz vorigen Freitag im Prozess wegen Falschaussage einen – noch nicht rechtskräftigen – Schuldspruch sowie eine Verurteilung zu acht Monaten bedingter Haft bekommen hat.

Im öffentlichen Auftritt präsentiert sich die ÖVP längst wieder schwarz. Nur die Bundespartei hat in ihrem Logo – quasi als Erinnerung an bessere Zeiten – noch eine feine türkise Linie. Neuerdings wird diese Rückfärbung aber doch wieder zu einem Symbol der Hoffnung auf Machterhalt. Auffallend häufig melden sich nämlich in der ÖVP Nostalgiker zu Wort, die einer Renaissance der großen Koalition das Wort reden. Ganz so groß wie früher wäre ein solches Bündnis, das während gut der Hälfte der Zweiten Republik Usus war, zwar nicht mehr, aber eine Mehrheit mit der SPÖ könnte sich bei der Parlamentswahl im September knapp ausgehen. Zur Not müsste ein dritter Partner – Grüne oder Neos – ins Boot geholt werden.

Integrationsfigur Kickl

Auch das sollte keine unüberwindbare Hürde sein. Denn der voraussichtliche Wahlsieger wirkt integrativ auf die restliche Parteienlandschaft. Nicht, dass es in der ÖVP noch viele gäbe, die von einem Revival der im Ibiza-Skandal untergegangenen türkis-blauen Koalition träumen, weil man sich der FPÖ ideologisch doch näher wähnt. Aber mit beziehungsweise unter einem Kanzler Herbert Kickl möchte doch kaum ein ÖVPler koalieren. Andererseits wird der Rechtspopulist sicher nicht wie im Jahr 2000 Jörg Haider auf einen Regierungsposten verzichten, um die schwarzen Bedenkenträger ruhigzustellen.

„Rotes Gesindel“

Die gewohnte Alternative war freilich seit Kurz verpönt. Die türkise Devise lautete: Keine Koalition mit dem „roten Gesindel“, wie die mit der FPÖ regierende niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die SPÖ in einer publik gewordenen SMS einmal genannt hatte. Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. SPÖ-Chef Andreas Babler hat sie in vielen Interviews zum Ausdruck gebracht. Er sprach von einer „radikalisierten ÖVP“, konnte aber auch nicht erklären, wie der Hauptfeind Kickl unter Ausschluss der ÖVP zu verhindern wäre.

Doch mittlerweile mehren sich in beiden Lagern die Stimmen derer, die ihr Heil in einer Neuauflage der großen Koalition sehen. Der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler, der in Graz bereits mit der SPÖ koaliert, tat kund, dass er diese Konstellation auch auf Bundesebene bevorzuge. Auch aus Sicht seines Tiroler Amtskollegen Anton Mattle wäre eine Koalition mit der SPÖ ein gutes Modell. Babler sei zwar „noch ein Stück weit entfernt von jenem Weg, den die ÖVP gehen kann“, aber es gelte, einen Weg zu finden, so der Tiroler Landeschef.

Babler zu links

Tatsächlich finden sich auf SPÖ-Seite nicht nur Befürworter einer Wiederbelebung der 2017 von Kurz gesprengten Koalition, sondern sogar welche, die Babler für die ÖVP handzahm machen wollen. Während der Kärntner SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser und der Tiroler SPÖ-Vorsitzende Georg Dornauer das großkoalitionäre Comeback nur prinzipiell befürworten, fordert ein mächtiger Genosse schon die Kurskorrektur zwecks Annäherung an die Christdemokraten: Josef Muchitsch, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Gewerkschafter, verlangt eine Abkehr vom Linksruck, den Babler der SPÖ nach seiner Kür vor gut neun Monaten verordnet, allerdings damit bislang keine Trendumkehr in den Umfragen geschafft hat. „Es ist Babler gelungen, die linke Hälfte zu binden. Aber mit ihr ist das große Ziel nicht zu schaffen“, sagt Muchitsch und fügt aus dem Mund eines Gewerkschafters Verwunderliches hinzu: „Der Andi (Babler, Anm.) darf nicht als Schreckgespenst der Wirtschaft dastehen.“ Ganz konkret findet Muchitsch, dass Babler mit seinem Ruf nach der 32-Stunden-Woche den Bogen überspannt habe. Auch die Forderung nach Vermögenssteuern dürfe nicht zu einer unüberwindbaren Hürde aufgebaut werden, schließlich würde man das, so Muchitsch, „mit keiner anderen Partei zusammenkriegen“. Die SPÖ sollte sich auf die Besteuerung von Vermögenszuwächsen beschränken. Die gibt es allerdings ohnehin schon. Muchitsch könnte einer Neuauflage der großen Koalition nach der Herbstwahl jedenfalls „viel abgewinnen“.

SPÖ doch mit FPÖ?

Ganz anderer Meinung ist da sein burgenländischer Parteifreund Hans-Peter Doskozil, der Babler im vergangenen Jahr im Ringen um den Parteivorsitz knapp unterlegen war. Der Landeshauptmann wertet das rote Werben um die ÖVP als „Riesenfehler“. Die ÖVP habe die anderen Parteien immer nur als Steigbügelhalter genutzt, sei aber unfähig, Politik für die breite Mehrheit zu machen, findet Doskozil. „Und mit dieser ÖVP wollen wir uns wieder ins Bett legen? Ich verstehe das nicht.“

Viele Sozialdemokraten verstehen allerdings nicht, welche Tür der Burgenländer offen hält. Doskozil ist überzeugt, dass der von seiner Partei erarbeitete Wertekatalog zur Beurteilung potenzieller Koalitionspartner die FPÖ „nicht per se ausschließt“. Es gibt seit 20 Jahren einen gültigen Parteitagsbeschluss, der Koalitionen mit der FPÖ auf allen Ebenen untersagt. Doskozil selbst konnte sich allerdings ungestraft darüber hinwegsetzen, als er 2015 im Burgenland die Rechtspopulisten ins Koalitionsboot holte. Seither malt die ÖVP in jedem Wahlkampf den rot-blauen Teufel an die Wand. Auch heuer ist das ungeachtet der rot-schwarzen Liebäugelei wieder so.