Die Stimmung vor dem Gerichtssaal ist angespannt, während die Polizei Menschen in Handschellen über den Flur führt. Vor einem der Sitzungsräume hat sich eine Menschentraube gebildet: Sie wartet auf den Prozessauftakt gegen einen ehemaligen Sozialarbeiter der Gemeinde Sanem.
Der Beschuldigte soll seine Position ausgenutzt haben, um sich an hilfesuchenden Frauen zu vergreifen und sie unter Druck zu setzen. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, den Betroffenen gedroht zu haben, ihnen die bewilligten Sozialhilfen zu entziehen oder sie beim „Service central d’assistance sociale“ (SCAS) anzuschwärzen, falls sie seine Annäherungen nicht erwidern. Eine Frau soll er vergewaltigt haben. Nachdem Mitarbeiterinnen des Beschuldigten 2019 auf die Umstände aufmerksam wurden und diese gemeldet hatten, suspendierte ihn der Schöffenrat. Das Dossier wurde an den „Conseil de discipline“ des Ministeriums für den öffentlichen Dienst weitergeleitet, der sich für seine Absetzung aussprach. Dieser Entscheidung kamen der damalige Bürgermeister Georges Engel (LSAP) und der Schöffenrat 2022 nach. Die Gemeinde tritt als Nebenklägerin auf.
Leugnung und Details
Die mutmaßlichen Taten erstreckten sich mindestens über einen Zeitraum von neun Jahren und fanden sowohl in den Sozialwohnungen als auch im Büro des Angeklagten statt. Vorwürfe, die Letzterer zum Großteil leugnet, darunter die potenzielle Vergewaltigung. Er trat am Dienstag als erster Redner in den Zeugenstand. Zwar habe er mit mehreren Hilfesuchenden eine sexuelle oder intime Beziehung geführt, doch sei dies seiner Ansicht nach – bis auf einen Annäherungsversuch– einvernehmlich geschehen. Er räumte ein, dies sei für einen Sozialarbeiter dennoch unangebracht. „Ich habe die nötige Distanz zu den Frauen verloren und meine Autoritätsfunktion nicht mehr wahrgenommen“, so der Angeklagte. „Ich bin in eine Spirale geraten und wusste nicht mehr, was ich tue.“ Über die Motive der Anzeigen könne er nur spekulieren.
Zur Berichterstattung
Bis zur Urteilsverkündung gilt die Unschuldsvermutung gegenüber allen Beteiligten. Die Namen der beteiligten Privatpersonen werden zu deren Schutz nicht genannt.
Es folgten die Offenlegung des neuropsychiatrischen Gutachtens, des Ermittlungsberichts sowie die Aussagen ehemaliger Kolleginnen und von drei Betroffenen. Aus den Befragungen vor Gericht ging unter anderem hervor, dass der Beschuldigte schon vor Jahren zumindest der Grenzüberschreitung verdächtigt wurde. Nach Informationen des Tageblatt wurde er bereits 2013 von einer ehemaligen Kollegin, mit der er damals zudem eine Beziehung führte, mit dem Vorwurf konfrontiert, er unterhalte private Beziehungen zu den Klientinnen. Das Gemeindesekretariat soll ebenfalls über den Verdacht informiert worden sein. Es kam zum Austausch mit dem Präsidenten des Sozialbüros, der für den Beschuldigten folgenlos geblieben sein soll – die betreffende Kollegin wechselte wenig später den Arbeitsplatz. Dies deckt sich mit den Aussagen zweier Betroffenen: Die Frauen berichteten im Zeugenstand, politischen Verantwortlichen und anderen Gemeindemitarbeitenden ihr Unwohlsein im Umgang mit dem Beschuldigten anvertraut zu haben. „Niemand glaubte mir“, sagte eine von ihnen. Erst als sich die Vorwürfe häuften, sei den Frauen Gehör geschenkt worden.
In dem Zusammenhang hob der Hauptermittler vor Gericht auch die enge Freundschaft zwischen Georges Engel und dem Angeklagten hervor, sprach gar von einer möglichen Deckung. Engel versicherte dem Tageblatt gegenüber, die besagten Vorwürfe seien ihm bis 2019 unbekannt gewesen. Zwar bestätigte er die Freundschaft mit dem Angeklagten, betonte aber auch: „Ich habe weder versucht, ihn zu decken, noch habe ich meine Kenntnis über mögliche Straftaten verheimlicht.“ Er habe die Suspendierung und Entlassung gemeinsam mit dem Schöffenrat veranlasst. Auf Anordnung der Autoritäten habe er den Kontakt mit dem Beschuldigten außerdem bis zum Ende der Befragungen vor dem Gerichtsverfahren abgebrochen, inzwischen stünden sie nur noch selten im Austausch. Das wurde am ersten Prozesstag bestätigt. Für den Angeklagten sei die Kontakteinschränkung eine schwere Belastung, hieß es vonseiten des Psychiaters. Weitere Gerichtstermine folgen.
De Maart

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