Während das Gros der damaligen Acts heutzutage maximal noch von NDW-Ramschsamplern her bekannt ist, hat Dorau die Zeit genutzt, um neben einem Dutzend Alben (die Titel tragen wie „Demokratie“ oder „70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft“) sowie zahlreichen weiteren Plattenveröffentlichungen, Filmmusiken und Hörspiele zu produzieren. Zum Ende der 1990er schaffte es ein Remix seines Songs „Girls in Love“ in Frankreich bis in die Top Ten und könnte somit als Anschlusstreffer gelten. Dennoch funktioniert die normale Kategorisierung von dem, was Andreas Dorau künstlerisch so alles treibt, schwerlich über Plattenumsätze wie bei anderen Popstars. Überhaupt, was ist Andreas Dorau eigentlich?
Schon einmal, 2015, hat Dorau mit Sven Regener als Co-Autor ein Buch verfasst: „Immer Ärger mit der Unsterblichkeit“. Man könnte die neue Veröffentlichung als Fortsetzung dessen betrachten, was das Duo seinerzeit an biografischen Notizen ablieferte. Doch auch ohne diesen Hinweis funktioniert „Die Frau mit dem Arm“ (der surreal anmutende Titel rekurriert auf eine Krankenschwester im Zusammenhang mit Doraus Hypochondrie-Beichte), weil der anekdotische Grundcharakter des Buches kein Davor oder Danach braucht. Es steht ganz einfach für sich, Basta! Apropos Einfachheit: Andrea Doraus Sprache kommt ziemlich simpel daher, verzichtet weitgehend auf Kompliziertes, auch Anglizismen werden meistens nur da angewandt, wo es kaum Alternativen gibt, was im Sektor „Bücher über Popkultur“ ungewöhnlich ist. Aufgeschäumt wird also nichts, man könnte Andreas Dorau sogar als den ältesten Naiven des Showbusiness bezeichnen, so frei wie er in seinem und Regeners Buch von der Leber spricht. Dass das völlig kongruent zu Doraus Musik geht, ist der erste Ansatzpunkt, um über die Kunstfertigkeit des Buches zu sprechen.
Hinter der Simplizität
Der andere Ansatz liegt in der Tatsache verborgen, dass Dorau seit nunmehr vierzig Jahren in einem Metier überdauert hat, das dafür – fürs Überdauern (Evergreens sind in der Popkultur, wo es praktisch nur um Konsum und Verschleiß geht, eigentlich ein Unfall) – gar nicht angelegt ist. So schlicht wie „Die Frau mit dem Arm“ daherkommt, merkt der Leser nur allmählich, was sich da hinter der Simplizität an Erfahrung und Ansichten auftürmt. Kostprobe bezüglich der konservativen Haltung der Plattenindustrie: „Das kleingeistige, rückwärtsgewandte Beharren auf Songstrukturen war für mich eigentlich seit dem Siegeszug der elektronischen Musik mit ihrer Hookfixiertheit und repetitiven Klarheit komplett obsolet, das Zeitalter der Remixe, in denen die Songs dekonstruiert und auf das Wesentliche runtergekocht wurden, kam mir doch eigentlich auf ganzer Linie entgegen. Und dann die Plattenfirmen mit ihren Strophen! So hatte ich mir die Moderne nicht vorgestellt. Aber immer nur Avantgarde zu sein, ist auch keine Lösung (…)“
Ginge es nach Andreas Dorau, bestünde ein Popsong ausschließlich aus Refrains. Dass man damit ein weiteres Folterwerkzeug für den Einsatz in Guantánamo kreieren würde, erschließt sich jedem, der aktuelle Popsendungen im Radio eher vom Abschalten denn Anhören kennt.
Popkünstler müssen gefallen. Was an Andreas Dorau so bezaubernd wirkt, wurde bereits angesprochen. Darüber hinaus steht er als Original im konfektionierten Pop ziemlich allein auf weiter Flur da. Dass Sven Regener, der nach herkömmlichen Maßstäben so viel erfolgreichere Musiker und Buchautor (zur Erinnerung: er hat „Herr Lehmann“ verfasst) sich seine kostbare Zeit nimmt, um als namentlich genannter Ghostwriter Andreas Doraus lose Lebenserinnerungen zu sortieren, kann man nur als Hommage an den Freund verstehen – an dessen Originalität, dessen Witz und Verschrobenheit.
Info
Andreas Dorau & Sven Regner: „Die Frau mit dem Arm“. Galiani Verlag. Berlin 2023. 192 S. 22,00 Euro
De Maart
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