„Keine Immigration“ steht auf einem handgemalten Transparent auf der polnischen Seite von Frankfurt an der Oder. Auf der Europabrücke in dem Vorort Slubice in Polen herrscht stockender Kolonnenverkehr. Die Fahrzeuge nach Polen kommen nur noch im Schritttempo voran. Der Zigarettenkauf und einmal Volltanken im billigeren Polen müssen auf die lange Bank geschoben werden. Der Grund ist, dass Warschau bis zum 5. August die Schengen-Regeln außer Kraft gesetzt hat und Warschau stattdessen wieder die Staatsgrenze nach Deutschland und Litauen hin kontrolliert. An der deutsch-polnischen Grenze sind 52 Übergänge und Tausende Grenzgänger davon betroffen.
Auf der Europabrücke zwischen Frankfurt und Slubice kontrolliert der polnische Grenzschutz vor allem PKWs mit abgedunkelten Scheiben und Minibusse. Nur selten schauen sich die Uniformierten in Tarnanzügen und den gelben Schutzwesten auch einen Ausweis genauer an. „Immerhin wird endlich wieder kontrolliert, das ist gut so“, sagt ein Aktivist der polnischen „Bewegung zur Kontrolle der Grenzen“ (ROG). Die rechtsextreme Bürgerbewegung wurde vom umstrittenen PiS-Politiker Robert Bakiewicz ins Leben gerufen. Sie will die angeblich drohende Massen-Immigration vor allem von Muslimen nach Polen bekämpfen. „Nur weil wir hier stehen, arbeitet der Grenzschutz so gut“, sagt der 70-Jährige, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will. Über 130 Kilometer ist er angereist, um heute hier an der Grenze auszuhelfen.
Sein tätowierter, jüngerer Kollege stammt aus Slubice selbst und ist mit dem lokalen Fußballclub verbunden. „Wir wehren hier den Anfängen, damit es in Polen nicht so weit wie in Deutschland mit islamistischen No-Go-Zonen kommt“, ereifert sich der Einheimische im Gespräch. Die neue deutsche Regierung unter Friedrich Merz hätte dieses Problem endlich auch erkannt. Nun wollten sie es auf dem Rücken Polens lösen und schöben Tausende Migranten nach Polen ab. „Sie stecken allen polnische Kassenzettel in die Taschen, um zu beweisen, dass sie via Polen eingereist sein sollen; so ein Schwachsinn“, sagt der bullige junge Pole mit dem kahlgeschorenen Kopf.
Regierungschef Tusk unter Druck
Erboste Bürger wie der Rentner und der junge Kahlkopf treiben seit Wochen die konservativ-liberale Regierung Donald Tusk vor sich her. Unterstützt werden sie dabei von der national-populistischen Oppositionspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), die bereits im Präsidentenwahlkampf das Thema der angeblich drohenden Überfremdung durch Migranten hochgespielt hatte. Tusk befindet sich nach der überraschenden Niederlage des weltoffenen Liberalen Rafal Trzaskowski bei den Präsidentschaftswahlen innenpolitisch mächtig unter Druck.
Öl ins Feuer gegossen hat in dieser Debatte um die Migration ausgerechnet auch Deutschland selbst. Denn Berlin veröffentlichte Anfang Juli Zahlen, wonach in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres rund 3.000 Personen aus Deutschland nach Polen zurückgeschoben worden seien. Viele von ihnen stammen aus der Ukraine, manche aber auch aus Russland, Syrien und Irak. Noch im Jahr 2023, als noch Jaroslaw Kaczynskis PiS regierte, schickte Deutschland nur rund 800 Personen zurück nach Polen.
Für PiS und die inzwischen vier ROG-Wächter am polnischen Ende der Europabrücke zwischen Frankfurt an der Oder und Slubice ist deshalb klar, dass Tusk auf polnische Interessen pfeife und ein Lakai Berlins sei. „Sobald wir uns zurückziehen, lassen die Grenzschützer wieder jeden nach Polen einreisen, der das nur will“, ist der einheimische Fußballfan überzeugt. Auf seinem Smartphone zeigt er die Bürgerkontrolle von drei Afghanen vor ein paar Tagen. Die ROG-Wächter sprechen auf dem Video Polnisch, die mutmaßlichen Afghanen Englisch. Schließlich ziehen die südländisch aussehenden Fußgänger resigniert wieder ab. „Unser Sieg!“, sagt der Tätowierte.
Statt Massen kommt nur eine Handvoll
In Slubice auf der Brücke ist die ROG-Wache an diesem Tag ausgesprochen höflich mit den an einer einzigen Hand zählbaren Ausländern. An anderen Stellen patrouillieren laut eigenen Angaben mobile ROG-Gruppen mit Ferngläsern, Kameras und Drohnen. Vor allem die grüne Grenze zu Deutschland hin im Norden bei Szczecin (dt. Stettin) gilt als Gefahrenzone für die angebliche Masseneinwanderung, die allerdings nirgends stattfindet. In Rosowko hat vor ein paar Tagen Kaczynski selbst bei einem Ortstermin vor der Masseneinwanderung von aus Deutschland abgeschobenen Muslimen gewarnt.
„Für die lokale Wirtschaft sind diese Kontrollen natürlich nicht gut“, sagt der tätowierte Einheimische, der selbst oft in Frankfurt ist, „aber diesen Preis müssen wir für Polens Sicherheit und Souveränität bezahlen“. Mit Sorge betrachtet diese neue Entwicklung 150 Kilometer östlich in Robakowo bei Poznan Piotr Mierzwicki, Chef des neusten, hochmodernen und gerade erst eingeweihten dritten DHL-Verteilzentrums in Polen. 50 Prozent seiner umgeschlagenen Güter gehen ins Ausland, von Bremen bis Barcelona. „Grenzkontrollen sind ein großes Problem für uns“, sagt DHL-Logistiker Mierzwicki, „jede Verzögerung kostet Geld“.
De Maart
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