Freitag17. Oktober 2025

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Grazer GymnasiumAmoklauf schockt Alpenrepublik: Gescheiterter Ex-Schüler erschoss neun Menschen

Grazer Gymnasium / Amoklauf schockt Alpenrepublik: Gescheiterter Ex-Schüler erschoss neun Menschen
Ein Polizist steht in der Nähe des Grazer Gymnasiums, in dem am Dienstag neun Menschen von einem Amokläufer erschossen wurden Foto: Erwin Scheriau/APA/dpa

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Österreich in Schockstarre: Der Amoklauf eines ehemaligen Schülers in einem Grazer Gymnasium forderte am Dienstag neun Todesopfer. Der 21-jährige Täter richtete sich nach dem Blutbad selbst. Mögliches Motiv: Mobbing.

Regierungs- und Oppositionsparteien hatten für den gestrigen Vormittag in Wien zu mehreren Pressekonferenzen geladen. Es sollte Bilanz gezogen werden über die ersten 100 Tage der ÖVP-SPÖ-NEOS-Koalition. Keiner dieser Pressetermine fand statt. Vielmehr musste Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) eine dreitägige Staatstrauer ausrufen, nachdem in der steirischen Landeshauptstadt eine beispiellose Tragödie passiert war.

Kurz vor zehn Uhr war ein junger Mann in einen Klassenraum des Bundesoberstufengymnasiums in der Dreierschützengasse unweit des Hauptbahnhofs gestürmt und hatte aus einer Schrotflinte sowie aus einer Pistole auf Schüler und Lehrer gefeuert. Im benachbarten Klassenzimmer setzte er seinen mörderischen Horrortrip fort. In der Schule brach Panik aus, bei der Polizei gingen zahlreiche Notrufe ein. Rettungs- und Sicherheitskräfte waren binnen weniger Minuten am Tatort, wo sie ein Bild des Grauens vorfanden. Sieben Schüler bzw. Schülerinnen lagen tot in ihrer Klasse, ebenso zwei Lehrkräfte. 300 geschockte Jugendliche und Lehrkräfte mussten evakuiert werden. Mehr als ein Dutzend Menschen wurden mit teils lebensbedrohlichen Schussverletzungen von Rettungskräften geborgen und auf die bald überlasteten Spitäler der Landeshauptstadt verteilt. Die Zahl der Toten könnte sich inzwischen noch erhöht haben. In einer Toilette fanden Sondereinsatzkräfte der Polizei schließlich den mutmaßlichen Täter – ebenfalls tot. Er hatte sich nach dem folgenschwersten Amoklauf der österreichischen Geschichte mit einer seiner beiden Waffen erschossen.

Innenminister Gerhard Karner (l.) und Knazler Christian Stocker auf einer Pressekonferenz nach dem Amoklauf
Innenminister Gerhard Karner (l.) und Knazler Christian Stocker auf einer Pressekonferenz nach dem Amoklauf Foto: AFP

Täter unbescholten

Was den jungen Mann zu dieser Schreckenstat getrieben hatte, ist noch nicht abschließend geklärt. Ein politischer bzw. terroristischer Hintergrund dürfte jedoch auszuschließen sind. Der Österreicher Artur A. stammte aus dem Großraum Graz, war bislang unbescholten und nicht amtsbekannt. Die Tatwaffen hatte der Waffenscheinbesitzer völlig legal erworben. Der 21-Jährige hatte allerdings einen besonderen Bezug zum Tatort: Er war hier zur Schule gegangen, hatte aber keinen Abschluss geschafft. Kolportiert, wenn auch von den Behörden bislang nicht bestätigt, wird, dass sich der Amokläufer als Mobbingopfer betrachtet haben soll. Unbestätigt blieben daher auch Informationen der Kronen-Zeitung, wonach ein Abschiedsbrief des Täters gefunden worden sein soll.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) ersuchte um Verständnis, vorerst keine Details über Tathergang und Motive offiziell mitteilen zu können. Die Ermittlungen im Umfeld des Täters standen gestern noch am Anfang. Im Nachgang ist wohl auch eine politische Debatte über Österreichs Waffengesetze zu erwarten. Jeder Waffenkäufer muss zwar einen psychologischen Eignungstest absolvieren, ob dieser aber ausreichend ist, um labile Personen von Waffen fernzuhalten, ist fraglich. Im aktuellen Fall hat der spätere Amokläufer den Test offenbar bestanden. Die politische Auseinandersetzung über allfällige Konsequenzen der Tat oder auch Versäumnisse im Vorfeld wird freilich erst nach der dreitägigen Staatstrauer beginnen.

„Nationale Tragödie“

Vorerst steht die kollektive Trauer im Vordergrund. Anstatt in den geplanten Pressekonferenzen die Vorzüge beziehungsweise Verfehlungen der seit 100 Tagen amtierenden Dreier-Koalition zu analysieren, eilten die Politgranden gestern Nachmittag nach Graz. Bundeskanzler Stocker, Innenminister Karner, Bildungsminister Christoph Wiederkehr (NEOS) und Sicherheitsstaatssekretär Jörg Leichtfried (SPÖ) drückten in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem steirischen Landeshauptmann Mario Kunasek (FPÖ) und der kommunistischen Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) ihre sichtlich tiefe Betroffenheit aus. Stocker sprach von „einer nationalen Tragödie, die unser gesamtes Land tief erschüttert“. „Dieser Horror ist nicht in Worte zu fassen“, hatte Bundespräsident Alexander van der Bellen zuvor schon in einer Stellungnahme geschrieben.

Zahlreiche Einsatzkräfte wurden an das Grazer Gymnasium gerufen
Zahlreiche Einsatzkräfte wurden an das Grazer Gymnasium gerufen Foto: AFP

Die Fahnen an allen öffentlichen Gebäuden Österreichs sind während der dreitägigen Staatstrauer auf halbmast gesetzt, am Landhaus in Graz wurde die schwarze Flagge gehisst. Das österreichische Fußball-Nationalteam ging am Abend mit Trauerflor ins WM-Qualifikationsspiel in Serravalle gegen San Marino. Heute wird um 10 Uhr bundesweit in einer Trauerminute der Grazer Opfer gedacht. Die FPÖ verschiebt ihren für das Wochenende in Tirol geplanten Parteitag, auf dem Parteichef Herbert Kickl im Amt bestätigt werden sollte. Auch die steirische ÖVP sowie die KPÖ sagten ihre anstehenden Landesparteitage ab.

Die Politik wird damit dem Schock gerecht, der weite Teile der Bevölkerung erfasst hat. Horrornachrichten von derart blutigen Amokläufen an Schulen kannte man bislang nur aus den USA. Allerdings war Graz schon einmal Schauplatz einer ähnlichen, wenn auch weniger folgenschweren Tat. Vor fast genau zehn Jahren, am 20. Juni 2015, hatte ein damals 26-Jähriger bei einer Amokfahrt mit seinem Auto durch die Innenstadt drei Menschen getötet und Dutzende verletzt. Der 2016 zu lebenslanger Haft verurteilte Täter hat vor zwei Jahren in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher Suizid begangen.