Die Vorfreude auf das nahende orthodoxe Weihnachtsfest ist im Kleinstaat Montenegro tiefer Trauer und fassungslosem Entsetzen gewichen: In der früheren Hauptstadt Cetinje hat ein 45-Jähriger bei einem Amoklauf am Neujahrstag zwölf Menschen und sich selbst erschossen. Einer von vier Verletzten schwebt noch in Lebensgefahr.
Leer gefegte Straßen und eine bedrückende Stille: Nur die Absperrungen der Polizei und die Blutspuren vor dem Eingang der Gaststätte „Velestovo“ kündigten in Cetinje am Donnerstag von dem zweiten Massenmord, der die nur 14.000 Einwohner zählende Provinzstadt innerhalb von drei Jahren heimgesucht hat: Bereits 2022 hatten in Cetinje bei einem ähnlichen Amoklauf eines 34-Jährigen zehn Menschen ihr Leben verloren.
Ein Kneipenstreit war vermutlich der Auslöser der Bluttat. Den ganzen Neujahrstag soll der Täter Ace M. (Martinovic) mit Bekannten in dem am Ortseingang gelegenen „Velestovo“ getrunken haben. Nach einem handgreiflichen Streit mit einem Gast verließ der 45-Jährige am Nachmittag das Lokal, um wenig später mit einer Pistole zurückzukehren: Außer dem Wirt erschoss er in dem Lokal noch drei weitere Menschen.
Nachdem der Amokläufer laut der Polizei noch an vier weiteren Tatorten die tödlichen Schüsse auf seine Opfer abgefeuert hatte, wurde er unweit seines Wohnhauses nach stundenlanger Fahndung von der Polizei gestellt: Nach der Aufforderung, sich zu ergeben, schoss er sich selbst in dem Kopf: Auf dem Transport in die Notfallklinik erlag er kurz vor Mitternacht seinen Verletzungen.
Die genauen Motive für den Amoklauf müssen von der Polizei noch ermittelt werden: Fast alle der Opfer, darunter zwei Kinder, sind seinem Familien- und Bekanntenkreis zuzurechnen. Der von einer Anwohnerin als „ruhig“ beschriebene Täter war laut Polizeiangaben bereits 2005 wegen gewalttätigen Verhaltens zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. 2022 hatte er sich nach einer Hausdurchsuchung eine Anklage wegen illegalen Waffenbesitzes eingehandelt. In erster Instanz war er daraufhin zu drei Monaten Haft verurteilt worden, das Urteil im Berufungsverfahren stand noch aus.
Hohe Zahl an Waffenbesitzern
Außer einer dreitägigen Staatstrauer hat Montenegros Regierung am Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrats angeordnet. Bereits am Freitag soll über eine Sonderaktion zur Beschlagnahmung illegaler Waffen beraten werden: Neben dem benachbarten Serbien gilt Montenegro als das Land mit dem höchsten Anteil von Waffenbesitzern in Europa.
Nicht nur wegen der hohen Zahl der illegalen Waffen seit Ende der Jugoslawienkriege der 1990er Jahre ist in der gesamten Region die Furcht vor Nachahmer-Tätern groß. Unaufgearbeitete Kriegstraumata, Gewaltverherrlichung, Hassreden und die auch durch die Massenmigration in den Westen beschleunigte Erosion des Zusammenhalts von Familien- und Dorfgemeinschaften haben die Zahl blutiger Familiendramen und Amokläufen oft psychisch kranker und verhaltensgestörter Täter vergrößern lassen.
So ermordete in Serbien ein 13-jähriger Amokläufer mit den Waffen seines Vaters an der Belgrader Ribnikar-Schule am 3. Mai 2023 neun Mitschüler und den Schulpförtner. Einen Tag später erschoss ein 20-jähriger Nachahmer-Täter neun Menschen in mehreren Dörfern unweit des Belgrader Vororts Mladenovac. In Kroatien erschoss ein Kriegsveteran im Juli außer seiner Mutter noch fünf weitere Bewohner des Altersheims in Daruvar. Beim Amoklauf eines 19-jährigen Messerstechers an einer Schule in Zagreb verstarb kurz vor Weihnachten ein siebenjähriges Mädchen.
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können