Analyse von Nouriel RoubiniAmerika und China auf Kollisionskurs

Analyse von Nouriel Roubini / Amerika und China auf Kollisionskurs
Spiel mit dem Feuer: Ein chinesisches J-16-Kampfflugzeug fliegt Ende Mai nah an ein US-Flugzeug vom Typ RC-135 heran, das im internationalen Luftraum über dem Südchinesischen Meer unterwegs ist Foto: AFP/Uncredited/US Navy

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Nach dem G7-Gipfel im Mai in Hiroshima erklärte US-Präsident Joe Biden, er erwarte ein „Tauwetter“ in den Beziehungen zu China. Doch trotz einiger jüngster offizieller bilateraler Treffen – auch US-Sekretärin Janet Yellen äußerte ihre Hoffnung auf einen baldigen Besuch in China – bleiben die Beziehungen eisig.

Tatsächlich steuert der neue Kalte Krieg statt auf ein Tauwetter auf eine neue Eiszeit zu, und der G7-Gipfel selbst hat Chinas Sorgen verstärkt, dass die USA eine Strategie der „umfassenden Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung“ verfolgen. Anders als bei früheren Treffen, bei denen die Staats- und Regierungschefs der G7 viel redeten und wenig Konkretes taten, erwies sich dieser Gipfel als einer der bedeutsamsten in der Geschichte der Gruppe. Die USA, Japan, Europa und ihre Freunde und Verbündeten machten deutlicher denn je, dass sie beabsichtigen, ihre Kräfte zu bündeln, um China entgegenzutreten.

Zudem stellte Japan (das gegenwärtig die rotierende Präsidentschaft der Gruppe innehat) sicher, führende Politiker aus dem globalen Süden einzuladen, nicht zuletzt Indiens Premierminister Narendra Modi. Durch ihr Zugehen auf aufstrebende und mittlere Mächte will die G7 andere Länder überreden, sich ihrer robusteren Reaktion auf Chinas Aufstieg anzuschließen. Viele dieser Länder dürften der Beschreibung Chinas als autoritärer staatskapitalistischer Macht, die zunehmend aggressiv Macht in Asien und weltweit projiziert, zustimmen.

Gemeinsame Geschichte antagonistischer Beziehungen

Während Indien (das dieses Jahr die Präsidentschaft der G20 innehat) im Hinblick auf Russlands Krieg in der Ukraine eine neutrale Haltung eingenommen hat, ist es seit langem in einer strategischen Rivalität mit China gefangen. Das liegt teilweise daran, dass beide Länder eine lange Grenze gemein haben, deren Verlauf in weiten Teilen umstritten ist. Selbst wenn Indien also kein offizieller Verbündeter der westlichen Länder wird, wird es sich auch künftig als unabhängige, aufstrebende globale Macht positionieren, deren Interessen stärker mit denen des Westens als mit denen Chinas und seiner faktischen Verbündeten (Russland, Iran, Nordkorea und Pakistan) im Einklang stehen.

Darüber hinaus ist Indien offizielles Mitglied des Quadrilateralen Sicherheitsdialogs, einer außerdem die USA, Japan und Australien umfassenden sicherheitspolitischen Gruppe, deren ausdrücklicher Zweck in der Abschreckung Chinas besteht. Japan und Indien unterhalten zudem langjährige freundschaftliche Beziehungen und haben eine gemeinsame Geschichte antagonistischer Beziehungen gegenüber China.

Japan hat außerdem Indonesien, Südkorea (gegenüber welchem es sich, bedingt durch die gemeinsamen Sorgen über China, um ein diplomatisches Tauwetter bemüht), Brasilien (eine weitere zentrale Macht des globalen Südens), den Vorsitzenden der Afrikanischen Union Azali Assoumani und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eingeladen. Die Botschaft war eindeutig: Die „unbegrenzte“ chinesisch-russische Freundschaft hat ernste Folgen für die Art und Weise, wie andere Mächte China wahrnehmen.

Doch ist die G7 sogar noch weiter gegangen: Sie hat einen erheblichen Teil ihrer Schlusserklärung darauf verwandt, zu erläutern, wie sie China in den kommenden Jahren entgegentreten und abschrecken will. Unter anderem beklagt das Dokument die chinesische Politik „wirtschaftlichen Zwangs“ und betont die Bedeutung einer indopazifischen Partnerschaft, um Chinas Bemühungen zur Beherrschung Asiens zu vereiteln. Es kritisiert den chinesischen Expansionismus im Ost- und Südchinesischen Meer und enthält eine klare Warnung an China vor einem Angriff auf oder Einmarsch in Taiwan.

Bei ihren Schritten zum „Abbau von Risiken“ in Bezug auf ihre Beziehungen zu China haben sich die westlichen Staats- und Regierungschefs auf Formulierungen geeinigt, die kaum weniger aggressiv sind als „Entkoppelung“. Doch nicht nur der diplomatische Sprachgebrauch hat sich geändert. Laut der Schlusserklärung werden die westlichen Eindämmungsbemühungen mit einer Strategie großer Investitionen im globalen Süden im Bereich der Umstellung auf saubere Energien einhergehen, um zu verhindern, dass zentrale Länder der Region in Chinas Einflusssphäre geraten.

Es ist kein Wunder, dass China seinen Zorn auf die G7 nicht zurückhalten konnte. Zusätzlich zur Überlappung mit einer Quad-Sitzung fällt der Gipfel von Hiroshima in eine Zeit, in der auch die NATO begonnen hat, ihren Schwerpunkt auf Asien zu legen, und in der das (Australien, Großbritannien und die USA umfassende) Aukus-Bündnis sich auf eine Konfrontation mit China im Pazifik einstellt.

Es ist Peking nun klarer denn je, dass die USA und der Westen im Allgemeinen entschlossen sind, Chinas Aufstieg einzudämmen

Der Technologie- und Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und China eskaliert derweil weiter. Japan ist dabei, Beschränkungen auf Halbleiterexporte nach China zu verhängen, die nicht weniger drakonisch sind als die der USA, und die Biden-Regierung setzt Taiwan und Südkorea unter Druck, sich dem anzuschließen. In Reaktion darauf hat China bestimmten chinesischen Unternehmen den Kauf von Chips des US-Herstellers Micron verboten.

Der US-Chiphersteller Nvidia, der sich derzeit aufgrund steil steigender Nachfrage nach seinen fortschrittlichen Chips für KI-Anwendungen im Riesentempo zur wirtschaftlichen Supermacht entwickelt, dürfte ebenfalls mit neuen Beschränkungen für den Verkauf nach China belegt werden. Die US-Politik hat klargemacht, dass sie China im Kampf um die Vorherrschaft bei der KI um mindestens eine Generation auf Abstand halten will. Der Chips and Science Act des vergangenen Jahres hat massive Anreize zur Rückholung der Chipproduktion gesetzt.

Die Beziehung darf sich nicht zu sehr abkühlen

Die Gefahr ist nun, dass China, das bemüht ist, seinen technologischen Rückstand gegenüber dem Westen aufzuholen, seine dominante Rolle bei der Produktion und Veredelung der für die ökologische Wende unverzichtbaren seltenen Erden nutzen wird, um sich gegen die US-amerikanischen Sanktionen und Handelsbeschränkungen zur Wehr zu setzen. China hat seine Exporte von Elektrofahrzeugen seit 2019 bereits um fast 700 Prozent gesteigert, und es beginnt nun mit der Bereitstellung von Verkehrsflugzeugen, um mit Boeing und Airbus zu konkurrieren.

Während die G7 also möglicherweise vorhatte, China abzuschrecken, ohne den Kalten Krieg eskalieren zu lassen, legt die Wahrnehmung in Peking nahe, dass es den westlichen Staats- und Regierungschefs nicht gelungen ist, dieses Nadelöhr zu treffen. Es ist nun klarer denn je, dass die USA und der Westen im Allgemeinen entschlossen sind, Chinas Aufstieg einzudämmen.

Natürlich würden die Chinesen dabei gern vergessen, dass die heutige Eskalation genauso viel mit ihrer eigenen aggressiven Politik zu tun hat wie mit der US-Strategie – wenn nicht mehr. Henry Kissinger, der Architekt der US-amerikanischen „Öffnung gegenüber China“ des Jahres 1972, hat jüngst in Interviews anlässlich seines 100. Geburtstages gewarnt, dass beide Länder ohne eine neue strategische Verständigung auf Kollisionskurs bleiben werden. Je kälter das Klima zwischen beiden wird, desto größer ist die Gefahr eines gewaltsamen Auseinanderbrechens der Beziehung.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Nouriel Roubini ist Professor emeritus für Volkswirtschaft an der Stern School of Business der New York University, Chefökonom des Atlas Capital Team und der Verfasser von Megathreats: 10 Bedrohungen unserer Zukunft – und wie wir sie überleben (Ariston, 2022).

Copyright: Project Syndicate, 2023.
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