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ErweiterungAmbitioniert, aber kaum machbar: Albanien will bis 2030 EU-Mitglied werden

Erweiterung / Ambitioniert, aber kaum machbar: Albanien will bis 2030 EU-Mitglied werden
Die erste KI-generierte Ministerin „Diella“ spricht über Bildschirm im albanischen Parlament Foto: Adnan Beci/AFP

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Ausgerechnet das lange als Europas Armenhaus verrufene Albanien will sich mit virtueller Hilfe zum „Spitzenreiter“ der EU-Erweiterung mausern – und den EU-Beitritt bis 2030 erzwingen. Doch trotz eines Blitzstarts beim Beitrittsmarathon wirkt Tiranas ambitionierter EU-Fahrplan kaum realistisch.

Kaum im Amt, hat Albaniens neue virtuelle Würdenträgerin den EU-Anwärter bereits in die Schlagzeilen gehievt. Von einer Dialog-Chatbox, die ratsuchende Bürger mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) routiniert durch die Sites von Albaniens e-Verwaltung lotste, ist der in ein Trachtengewand gekleideten „Diella“ der Karrieresprung ins Kabinett geglückt: Als „erste KI-Ministerin der Welt“ soll Diella über die korruptionsfreie Vergabe von Staatsaufträgen wachen – und so Albaniens EU-Integration beschleunigen.

Diella sitze zwar nicht physisch, aber virtuell auf der Regierungsbank, verkündete Albaniens sozialistischer Dauerpremier Edi Rama bei der Vorstellung seiner neuen Ministerriege letzte Woche stolz: „Albanien wird ein Land, in dem Ausschreibungen zu 100 Prozent nicht korrumpiert sein werden.“

Auf dem Korruptionsindex von Transparency International dümpelt Albanien allerdings noch auf dem 80. Rang – knapp vor Burkina Faso. Ob ausgerechnet eine fiktive Ministerin die Vetternwirtschaft effektiver bekämpfen kann, ist selbst in dem 2,4-Millionen-Einwohner-Staat umstritten.

Wie jedes andere System könne auch eine KI-Ministerin manipuliert, aber im Gegensatz zu Menschen von der Justiz weder verfolgt noch zur Rechenschaft gezogen werden, gibt der oppositionsnahe Jurist Genc Gjokutaj zu bedenken: „Diella“ sei nur ein Versuch der Politik, „die Korruption zu vertuschen“.

Doch Kritik an seiner virtuellen Kabinettsverstärkung ficht den bei der Parlamentswahl im Mai erneut klar bestätigten Rama nicht an. Mit „Diella“ ist ihm nicht nur ein PR-Erfolg geglückt, sondern hofft er auch, das lange als Europas Armenhaus verrufene Land bis Ende des Jahrzehnts in die EU zu führen.

Tatsächlich ist Albanien mit der Eröffnung von 28 der 33 Verhandlungskapitel in elf Monaten ein bisher ungekannter Blitzstart im Beitrittsmarathon geglückt. Bis zum Jahresende sollen nach den Plänen Tiranas alle Kapitel der faktisch erst vor Jahresfrist begonnenen Beitrittsverhandlungen eröffnet werden und bis 2027 abgeschlossen sein: 2030 hofft Rama den EU-Beitritt realisiert zu haben.

EU-Staaten wollen Reformen vor Beitritten

Fachleute halten seinen von ihm selbst als „ambitioniert“ bezeichneten Fahrplan indes für wenig realistisch. „Verhandlungskapitel zu eröffnen ist nicht dasselbe, wie sie abzuschließen“, sagt der frühere EU-Chefunterhändler Zef Mazi und dämpft den von Brüssel freudig verbreiteten Optimismus über den vermeintlichen „Spitzenreiter“ der EU-Erweiterung.

2012 war beispielsweise auch dem aussichtsreichsten EU-Anwärter Montenegro recht zügig die Eröffnung aller 33 Kapitel geglückt. 13 Jahre später sind davon allerdings nur sieben abgeschlossen. Doch was spricht dafür, dass Tirana den EU-Slalom zügiger bewältigen könnte – und was dagegen?

Albanien hat bei dem von der EU lange verzögerten Verhandlungsstart ein gutes Momentum erwischt. Nach Kroatiens EU-Beitritt 2013 grassierte in der Alt-EU die „Erweiterungsmüdigkeit“. Die EU müsse sich erst reformieren, bevor sie weitere Mitglieder aufnehmen könne, so das weit verbreitete Credo.

Doch der Ukrainekrieg hat der EU die Risiken eines Machtvakuums im lange vernachlässigten Wartesaal drastisch aufgezeigt. Bewusst müht sich Brüssel darum, den stockenden Erweiterungsprozess neu zu beleben. Um den Anwärtern wieder glaubhafte Beitrittsperspektiven zu bieten, hat die EU Erfolgsmeldungen nötig. Doch bis auf den tatsächlichen „Frontrunner“ Montenegro ist die Zahl aussichtsreicher EU-Anwärter auf dem Westbalkan begrenzt.

Andere Anwärter sind ins Stocken geraten

Die Verhandlungen mit dem zwischen West und Ost lavierenden und zunehmend autoritär regierten Serbien sind völlig ins Stocken geraten. Das jahrzehntelang wegen seines Landesnamen von Griechenland blockierte Nordmazedonien wird nach seiner Umbenennung nun von Bulgarien blockiert. Bosniens Vielvölkerstaat steht sich bei der EU-Annäherung selbst im Weg. Das erst seit 2008 unabhängige Kosovo hinkt im Beitrittshindernisrennen weit hinterher – auch weil noch stets fünf EU-Mitglieder den Staatenneuling nicht anerkennen.

Das klar auf Westkurs segelnde NATO-Mitglied Albanien scheint für die von Brüssel derzeit ersehnte Erfolgsgeschichte hingegen auf den ersten Blick ein idealer Kandidat. 97 Prozent der Albaner sind laut Umfragen für den Beitritt. Nach langer Durststrecke sorgt der boomende Tourismus für ein kräftiges Wirtschaftswachstum. Der seit 2013 amtierende Rama gilt als kooperativ und sorgt für die von Brüssel geschätzte Stabilität. Trotz mancher autoritärer Züge versteht er – im Gegensatz zu Serbiens Dauerregenten Aleksandar Vucic – welche Signale und Sprache die EU, aber auch die USA zu schätzen wissen.

Doch PR-Erfolge und eine gut vernetzte Führung garantieren noch keinen raschen Beitritt. Die Korruption, rechtsstaatliche Mängel, die bedrohte Pressefreiheit und demokratische Defizite bleiben bei der EU-Annäherung die größten Hindernisse. Auch die anhaltende Armutsemigration und einflussreiche Drogenkartelle trüben das in Tirana gerne gezeichnete Bild vom neuen KI-Vorreiter und künftigen EU-Musterstaat.

Nachhaltigkeit der Reformen sind wichtiger

Ein Unsicherheitsfaktor bleibt die politische Konjunktur – und das Prinzip der Einstimmigkeit bei der Aufnahme neuer Mitglieder. Nicht nur der streitbare EU-Nachbar Griechenland könnte sich noch als Blockade-Obstakel erweisen. Spätestens nach Ende des Ukrainekriegs dürften in der Alt-EU die Erweiterungsskeptiker erneut Oberwasser erhalten – und wieder kräftig auf die Bremse treten.

Noch hat Tirana kein einziges Verhandlungskapitel abgeschlossen. Doch egal, ob Albanien der Beitritt bis 2030 oder vor 2040 gelingen solle: Wichtiger als dessen Zeitpunkt wäre nicht nur für die EU-Partner, sondern auch für das Land selbst die Nachhaltigkeit der erforderlichen Reformanstrengungen.

Die Vorteile einer raschen EU-Integration liegen nicht nur aus geopolitischen Gesichtspunkten auf der Hand. Albanien könnte als EU-Mitglied einerseits vom vollen Zugang zum gemeinsamen Markt und den Segnungen des Brüsseler Subventionstopfes profitieren. Ein effektiverer Kampf gegen die Korruption und die grundlegende Reform der Justiz könnten andererseits helfen, mehr Auslandsinvestoren ins Land zu locken – und den Bevölkerungsschwund stoppen. Denn die allmähliche Angleichung der Lebensverhältnisse dürfte den Emigrationsaderlass zumindest abschwächen.

Reinertz Barriera Manfred
21. September 2025 - 9.03

Luxmann, richtig 2100 sehen wir mal weiter in dieser Angelegenheiten...

Luxmann
20. September 2025 - 11.35

Albanien wuerde der EU wohl weniger probleme bereiten als die Ukraine...trotzdem sollte man beiden laendern mal ein moratorium bis wenigstens 2100 vorschlagen...et on verra apres.